"Flugplätze sind zum Schreiben perfekt"

Von Johannes Kaiser |
Jo Nesbøs Krimis verkaufen sich nicht nur in Norwegen blendend - auch in anderen Ländern ist er ein Beststellerautor. Nesbø hat zahlreiche Preise gewonnen und Hollywood will jetzt einen seiner Romane verfilmen. Sein jüngster Roman, der gerade auf Deutsch erschienen ist, heißt "Headhunter".
Erster Anlauf des am 29. März 1960 in Oslo geborenen Norwegers Jo Nesbø, einen Beruf zu finden. Nachdem er mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern von Oslo nach Molde gezogen war, fühlt er sich furchtbar einsam und entdeckt den Sport als Gegenmittel:

"Ich habe angefangen, Fußball zu spielen. Das habe ich bis zu meinem 19. Lebensjahr gemacht und ich war mir ganz sicher, dass ich ausersehen war, Profi zu werden und zwar als Spieler für Tottenham in England. Ich habe für ein Team der ersten norwegischen Liga gespielt und dann habe ich mir in beiden Knien die Kreuzbänder gerissen. Da wusste ich, dass eine Karriere im Fußball nicht mehr zur Debatte stand."

Etwa 1,75 Meter groß, hellblaue Augen, Dreitagebart, Kurzhaarschnitt, schlanke, durchtrainierte Figur, schmales, markantes Gesicht. Man sieht Jo Nesbø an, dass ihm Sport immer noch viel bedeutet. Im Dachzimmer seiner Maisonettewohnung in Oslos Altstadtviertel Majorstuen hängt ein Expander und steht eine Kletterstange. Hobbys: Klettern an Berghängen – im Sommer in Norwegen, aber im Winter zieht er zusammen mit seiner Tochter thailändische Berge vor; im Tennis will der 50-Jährige so gut werden, dass er nach Wimbledon kommt; da blitzt einen Moment lang Nesbøs selbstironische Ader auf. Ansonsten liebt er Fahrradfahren - ein in Oslo ziemlich anstrengendes Unternehmen, denn es geht ständig bergauf und bergab.

Zweiter Anlauf einen Beruf zu finden: Ein Volkswirtschaftsstudium in Bergen. Der glänzende Abschluss verhilft ihm zu einem Job als Börsenmakler in Oslo. Doch das Studium hatte noch eine entscheidende Nebenwirkung. Jo Nesbø schließt sich einer Heavy-Metal-Band an. Die Musikleidenschaft nimmt er nach Oslo mit, gründet dort die Band "De Tusen Hjem" – übersetzt "1000 Wohnungen". Die nimmt vier Platten auf, die sich glänzend verkaufen, und füllt die Konzertsäle. Jo Nesbø als Leadsänger, Gitarrist und Texter ist plötzlich ein Popstar. Doch das Doppelleben fordert seinen Tribut:

"Ich spielte mit meiner Band, ging mit ihnen auf lange, anstrengende Tourneen, kam zurück, arbeite tagsüber als Börsenmakler und trat gleichzeitig nachts auf. Ich war schließlich so erschöpft, dass ich mir sechs Monate von Band wie Arbeit frei nahm. Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals wieder spielen wollte, verreiste und fing an, einen Roman zu schreiben."

Dritter Anlauf, mit 36 seine Berufung zu finden. Jo Nesbø fliegt nach Australien, doch statt sich zu erholen, setzt er sich fünf Wochen an die Schreibmaschine und tippt wie im Rausch seinen ersten Roman. Eigentlich kehrt er damit nur in seine Kindheit zurück.

"Wir waren eine Geschichten erzählende Familie. Beim Essen oder bei Familientreffen gab es immer so eine Art Wettstreit im Geschichtenerzählen. Man musste sich beweisen, bekam seine fünf Minuten im Rampenlicht des Geschichtenerzählens und da musste man gut sein."

Seine Mutter ist anfangs sehr skeptisch. Sie bittet ihn:

"Bitte, werd kein Alkoholiker. Ich sagte ihr:Okay, ich werde die ersten zwei Monate keinen einzigen Schluck trinken, einfach um mich an ein Schreiben ohne Alkohol zu gewöhnen."

Dafür erfindet Jo Nesbø den Ermittler Harry Hole, der Alkoholiker ist, ständig Abstürze erleidet, sich nur mit Mühe wieder ins Leben zurückkämpft.

"Wenn man einen Helden schafft, dann braucht der eine Achillesferse, sonst wäre er ein sehr langweiliger Held. In meinen Romanen ist Harry nicht der hartgesottene amerikanische Detektiv, der mit einem Kater aufwacht und coole Bemerkungen darüber macht. Für Harry ist es eine Krankheit."

Der antiautoritäre Harry legt sich regelmäßig mit seinen Vorgesetzten an. Nur seine extrem guten Ermittlungsergebnisse retten den norwegischen Polizisten vor dem Rauswurf.

"Seine Persönlichkeit ist einfach so, dass er immer dagegen ist, gegen alles, was ihn umgibt. Ihm ist die selbstzufriedene Gesellschaft zuwider, in der jeder glücklich ist und jeder sich selbst für diese großartige Gesellschaft beglückwünscht."

Ein bisschen des unangepassten Flairs strahlt auch Jo Nesbø aus. Nachdem er jahrelang Anzug, weißes Hemd und Schlips trug, bevorzugt der Schriftsteller jetzt T-Shirts und Jeans. Kein Schmuck, keine Ringe. Die für einen Alleinlebenden großzügige Eigentumswohnung, die Mutter seiner Tochter wohnt um die Ecke, ist alles andere als luxuriös eingerichtet. Man sieht den Räumen nicht an, dass ihr Besitzer Bestsellerautor ist.

Eine Gitarre in der Ecke erinnert daran, dass Jo Nesbø noch immer gerne auf die Bühne steigt, aber heute nur noch nebenher zum Spaß. Ein großer Flachbildschirm auf seinem bettgroßen Schreibtisch erinnert zwar an Arbeit, aber Zuhause fällt ihm allzu rasch die Decke auf den Kopf. So zieht er mit seinem Laptop ins Café.

"Ich bin viel konzentrierter, wenn ich mich bemühe, den ganzen Lärm und all die anderen Menschen um mich herum auszuklammern. Ich kann da stundenlang sitzen. Die kennen mich dort, kennen meine Ecke und meinen Lieblingstisch. Es ist ein Ort, an dem man sehr ungestört arbeiten kann."

Am liebsten sind Jo Nesbø allerdings Flughäfen.

"Flugplätze sind zum Schreiben perfekt. Ich bin sehr produktiv, wenn ich auf Flugzeuge warte. Ich liebe das, denn ich habe das Gefühl, dass ich zwei Sachen gleichzeitig machen und die Zeit verfliegt. Wann immer ich in einem Buch feststecke, dann hoffe ich stets darauf, dass mich jemand einlädt, und möglichst an einen Ort, der weit weg ist, dann komme ich mit meinem Schreiben voran."

Unter großen Schreibschwierigkeiten scheint der Norweger aber noch nie gelitten zu haben. In den 14 Jahren seit der Veröffentlichung seines ersten Romans sind inzwischen zehn Krimis erschienen, zuletzt ein Thriller über einen diebischen Headhunter, einen Mann mit Minderwertigkeitskomplex, aber Humor, der in tödliche Schwierigkeiten gerät.

"Ich habe kein anderes Ziel als zu unterhalten, aber für mich gehört zur Unterhaltung auch, über die norwegische Gesellschaft und Politik zu schreiben. Über Politik zu reden und zu diskutieren, ist Unterhaltung."