Flugzeugabsturz von Smolensk

Polnischer Streit um eine nationale Tragödie

Jaroslaw Kaczynski steht mit gesenktem Kopf vor einem Schwarz-Weiß-Bild seines Bruders Lech Kaczynski und seiner Frau, vorne links im Bild sind Teile der polnischen Flagge zu sehen.
Jaroslaw Kaczynski bei einer Kranzniederlegung vor dem polnischen Präsidentenpalast am 1. Jahrestag des Unglücks, dem 10. April 2011. © picture alliance / dpa
Von Florian Kellermann |
Vor fünf Jahren starben bei einem Flugzeugabsturz nahe dem russischen Smolensk 96 Menschen, darunter auch der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski. Über die Ursache für den Absturz wird bis heute diskutiert - die Spekulationen und Theorien spalten die polnische Gesellschaft. Trotzdem wird in Warschau zum Jahrestag eine Ausstellung eröffnet.
Wenn Lena Dabkowska-Cichocka über ihre Ausstellung spricht, stapelt sie absichtlich tief.
"Diese Ausstellung soll in politischer Hinsicht so neutral sein wie nur irgend möglich. Der Besucher soll innehalten, nur einen Moment lang, und diesen Moment nur den Gestorbenen widmen. Selbst wenn da ein Politiker ist, denn ich nicht mochte, dann halte ich an, denke daran, dass er nicht mehr lebt und dass mein sein Gedächtnis würdig ehren soll."
Die Ausstellung des Museums für polnische Geschichte wird heute zum Jahrestag der Katastrophe mitten in Warschau eröffnet - am Pilsudski-Platz.
Der Besuchter betritt einen kreisrunden, zum Himmel hin offenen Raum. Die Wand ist drei Meter hoch. Ringsherum hängen Porträts der 96 Verstorbenen mit einer kleinen biografischen Notiz. Die Opfer sind alphabetisch angeordnet - bis auf drei Personen. Direkt gegenüber dem Eingang befinden sich der damalige Präsident Lech Kaczynski, seine Gattin Maria Kaczynska und der letzte polnische Präsident der Londoner Exilregierung, Ryszard Kaczorowski.
Lena Dabkowska-Cichocka betont, dass keine der Opferfamilien gegen die Ausstellung ist. Sie versteht, dass das Unglück die Angehörigen immer noch aufwühlt.
"Als ich eine Familie anrief, stellte sich heraus: Eine Stunde zuvor hatte die Staatsanwaltschaft angerufen und mitgeteilt, dass der Leichnam des Verstorbenen exhumiert wird. Das wurde ein schwieriges Gespräch für mich. Oder nehmen wir Anna Walentynowicz, eine Legende der Solidarnosc-Bewegung, eine große Figur. Ihre Familie weiß, dass in ihrem Grab nicht ihr Leichnam beerdigt ist. Und sie weiß nicht, wo sich der Leichnam befindet. Natürlich findet diese Familie keinen Frieden."
Anhänger der Anschlagstheorie "geistig verwirrt"
Die Ausstellung versucht, über den zerstrittenen Lagern zu stehen. Denn der Flugzeugabsturz in Smolensk war zwar eine nationale Tragödie für Polen. Doch er spaltet bis heute nicht nur die Gesellschaft, sondern sogar die Familien der Getöteten.
Auf der einen Seite sind die, die den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk anklagen: Er sei schuld daran, dass Russland die Untersuchung so schlampig führte. Deshalb müssten heute noch Leichen exhumiert werden. Außerdem habe die Regierungskommission zu Unrecht ausgeschlossen, dass es sich bei dem Absturz um ein Attentat Russlands gehandelt haben könnte. Dariusz Fedorowicz, Bruder des verunglückten Übersetzers von Präsident Kaczynski:
"Ich erinnere mich genau, wie schon 40 Minuten nach der Katastrophe vom Fehler der Piloten die Rede war. Schon da wurde ausgeschlossen, dass es ein Anschlag war. Das Wort 'Anschlag' hat sich in den vergangenen fünf Jahren zu einem Tabu-Wort entwickelt. Dabei bleibt das doch die wahrscheinlichste Version, es gibt keine echte Alternative."
Hauptargument für diese These ist das Verhalten Russlands: Die Untersuchung des Unglücks verlief hinter verschlossenen Türen, bis heute hat Moskau die Wrackteile Polen nicht ausgehändigt. Außerdem galt der verunglückte Präsident Lech Kaczynski doch als scharfer Kritiker Moskaus.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen Polen, die in der Anschlags-Theorie eine intellektuelle Zumutung sehen, etwas für ihre Nation Peinliches. Die gegenseitigen Beleidigungen schraubten sich immer weiter hoch. Ex-Ministerpräsident Tusk wird als Verräter beschimpft, als Handlanger Putins. Umgekehrt stellen die liberalen Polen die Anhänger der Anschlagstheorie als geistig verwirrt dar.
Tragende Rolle im Wahlkampf
Eine Versöhnung der Standpunkte sei derzeit kaum denkbar, sagt Robert Kostro, Direktor des Museums für polnische Geschichte:
"Es gibt gute Gründe, Donald Tusk und die Untersuchung der Katastrophe zu kritisieren. Das Problem ist eher, wie scharf die Vorwürfe vorgetragen werden. Da kommen Anschuldigungen von schwerstem Kaliber, obwohl die Faktenlage dünn ist. Da fällt es der Regierung dann schwer, ihre Fehler einzugestehen."
In diesem Jahr stehen in Polen eine Präsidenten- und eine Parlamentswahl an. Noch spielt die Smolensk-Katastrophe keine tragende Rolle im beginnenden Wahlkampf. Aber das könnte sich schnell ändern, meinen Experten. Vor allem für die rechtskonservative Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, ist das Thema wichtig. Ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski war der Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten. Er formulierte die These von einem Anschlag Russlands immer wieder.
Wenn Kaczynski die Stammwähler der PiS mobilisieren will, dann könnte er etwa das geplante Denkmal in Warschau zum Thema machen. Die Stadt hat drei Orte im Zentrum vorgeschlagen, mit keinem ist die PiS zufrieden. Sie will einen Standort direkt vor dem Präsidentenpalast. Viele Warschauer dagegen, die mehrheitlich die rechtsliberale "Bürgerplattform" unterstützen, wollen gar kein Denkmal im Zentrum. Dasjenige, das bereits auf dem Powazki-Friedhof steht, sei genug, meinen sie.
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