Ein Münchner schwimmt zur Arbeit
Benjamin David planscht täglich zwei Kilometer stromabwärts in der Isar zu seinem Arbeitsplatz. Kleidung, Handy und Wertsachen verstaut der Münchner Unternehmer in einer roten Nylontasche. Die kann er auch als Schwimmblase nutzen, wenn er mal müde wird.
Ich begleite den Mann mit dem außergewöhnlichsten Arbeitsweg Münchens:
"Hallo, mein Name ist Benjamin David. Ich bin Münchner und schwimme täglich zur Arbeit."
Einfach mal treiben lassen. Immer mit dem Strom. Die Einstiegs-Haltestelle ist ein bisschen glitschig:
"Wir sind hier gerade unter der Wittelsbacher Brücke. Da beginnt mein täglicher Arbeitsweg. Denn ich wohne am Baldeplatz und arbeite zwei Kilometer die Isar runter vorm Deutschen Museum. Da gibt's den ganzen Sommer lang ein Projekt: den Kulturstrand. Das veranstalte ich, und da schwimme ich jetzt hin."
Bevor Benjamin in die Isar springt, verstaut er seine Kleidung, das Handy und die Wertsachen in einer roten Nylontasche, dem Wickelfisch:
"Das Ding ist wasserdicht, und da kann man alles reintun, Laptop etc. Aber man kann das auch, wenn es so zusammengeknubbelt ist, als Schwimmblase benutzen und sich darauf treiben lassen. Wenn man beim Schwimmen mal müde wird."
Der Wasserstand-Check ist entscheidend
Jeden Morgen, bevor sich Benjamin auf den Weg zur Arbeit macht, prüft er im Internet den Wasserstand. Das ist wichtig. Schließlich ist die Isar ein Wildfluss und an manchen Tagen lebensgefährlich:
"Also heute ist die Isar ganz wunderbar. Sie hat 74cm Pegelstand. Das ist wichtig, weil ich nur bis 1,20m schwimmen mag. Sie hat zarte 18,4 Grad, also alles im grünen Bereich. Letzte Woche hatte sie 20 Grad, sie wird manchmal auch bis 22 Grad warm. Aber so wie heute mag ich es eigentlich am liebsten. Schön erfrischend auf dem Weg zur Arbeit."
Während wir im glasklaren Wasser der Isar flussabwärts treiben, hören wir am linken Ufer den Verkehrslärm der Stadt:
"Tatsächlich ist es auf der Isar-Parallelen inzwischen so anstrengend geworden. Das ist ein einziges Hauen und Stechen zwischen allen Verkehrsteilnehmern. Da sind die Fußgänger nicht besser als die Autofahrer, die Radfahrer nicht besser als die Busfahrer. Jeder kämpft um seinen Quadratmeter. Das ist eine Art von Zusammenleben im öffentlichen Raum, die mich traurig macht. Und ich umschiffe oder besser: umschwimme das ganz dezent, indem ich die Isar nehme. Die ist doppelt so breit wie eine Autobahn, und ich bin weitgehend allein."
Die Isar-Schwimmer grüßen sich freundlich
Ganz allein sind wir heute nicht. Zwei junge Münchner treiben in gelben Schwimmringen an uns vorbei. Man grüßt sich freundlich.
"Servus!"
"Servus!"
"Seid Ihr hier zum ersten Mal?"
"Ja."
"Denkt dran: hinten, unter der zweiten Brücke, ist rechts eine Leiter. Wenn Ihr die verpasst, dann landet Ihr im Wehr. Zwei Brücken noch, rechts ist die Leiter!"
"Servus!"
"Seid Ihr hier zum ersten Mal?"
"Ja."
"Denkt dran: hinten, unter der zweiten Brücke, ist rechts eine Leiter. Wenn Ihr die verpasst, dann landet Ihr im Wehr. Zwei Brücken noch, rechts ist die Leiter!"
Die kleine Unterhaltung zeigt: Ganz ohne Tücken ist Benjamin Davids Arbeitsweg nicht. Die Uferwände sind steil. Es gibt nur wenige Ausstiegsstellen. Deshalb ist unser Schwimm-Abenteuer auch nur fast legal, grinst Benjamin:
"Denn es ist so: in den ersten 70 bis 80 Prozent der Strecke darf man schwimmen. In den letzten 20 Prozent ist es nicht erlaubt."
Allerdings zeigt sich die Stadt München liberal. An der Isar wie auch am Eisbach im Englischen Garten stellt sie zwar Warnschilder auf, überlässt es aber den Bürgern, das Risiko selbst einzuschätzen.
Denn wenn die Stadt energisch kontrollieren würde, sagt der Münchner Stadtrat Alexander Reissl:
"Dann müssten Sie dort permanent dafür sorgen, dass da eine Aufsicht ist, die in der Lage ist, das durchzusetzen. Und da genügt kein Grünanlagen-Wärter, sondern da brauchen Sie dann die Polizei. Denn nur die Polizei ist in der Lage, jemanden mit unmittelbarem Zwang daran zu hindern. Ein anderer darf das gar nicht."
Benjamin David schwimmt nach der Maxime: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und er achtet darauf, körperlich fit zu sein, wenn er in die Isar springt. Die Verfassung spielt für ihn eine wesentliche Rolle, in jeder Hinsicht:
"Es steht ja in der bayerischen Verfassung, dass ich das darf. Bürger dieses Bundeslandes dürfen jederzeit die Gewässer und sonstigen Naturschönheiten genießen. Insofern berufe ich mich jetzt mal auf die Verfassung."
Der Traum vom Isar-Flussbad mitten in München
Benjamin David, der dreifache Familienvater, träumt von einem Isar-Flussbad in München. Öffentlich, für alle Bürger. Am besten vor dem Deutschen Museum. Dort ist das Wasser heute nur hüfttief. Benjamin deutet auf die Ufermauern:
"Eigentlich wäre es gar nicht so schwer. Man müsste rechts und links ein paar Pontons anbringen. Oder auch Flöße. Oder man macht's wie in Zürich in den sogenannten 'Badis'. Und dann könnten hier tausende Menschen schwimmen. Das Faszinierende ist übrigens: Wenn man ein echtes Schwimmbad baut, kostet das 30 Millionen Euro. Hier würde es nicht mal eine Million kosten für ein Schwimmbad, das doppelt so groß ist wie alle Münchner Schwimmbäder zusammen."
Aber das ist alles noch Zukunftsmusik. Wir sind mittlerweile am Ziel angekommen. Steigen über eine kleine Leiter ans Ufer und ziehen uns unter den erstaunten Blicken der Passanten um. Jetzt geht Benjamin in die Arbeit. Und am Abend? Auf dem Weg zurück? Nimmt er den Bus. Warum nicht die Isar?
"Nee, gegen den Strom, dafür bin ich nicht gut genug."