Flussschwimmen in der Stadt

Mit dem „Wickelfisch“ ins Büro

23:41 Minuten
Flussschwimmer im Rhein in Basel
Flussschwimmer in Basel nutzen den Rhein auch auf dem Weg zur Arbeit. © Fritz Schütte
Von Fritz Schütte |
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Basel, Genf, Zürich: In der Schweiz schwimmen viele Menschen in Flüssen – auch auf dem Weg zur Arbeit. Mit dabei ist ein wasserdichter Beutel für Handtuch und Kleidung. In Berlin dagegen kämpft ein Verein gegen das Badeverbot in der Spree.
"Schwimmen im Fluss ist einfach das pure Vergnügen. Da geht es um Abkühlung, um Gesellschaft. Man braucht keinen Eintritt. Es gibt keine Öffnungszeiten. Was Einfacheres gibt es kaum", sagt Barbara Buser. Sie ist begeisterte Flussschwimmerin und war Kuratorin der Ausstellung "Swim City" des Architekturmuseums Basel. 
„Der Punkt ist ja, in der Stadt zu schwimmen, sich unter den Brücken durchtreiben zu lassen, den Leuten zuzuwinken. Und eben auch diese großen Schiffe, das hat natürlich auch eine Faszination.“

Mit dem "Wickelfisch" im Rhein

Zwei Rettungsschwimmer betreuen Gruppen mit jeweils zwölf Teilnehmern, die sich durch die Farbe der Badekappen unterscheiden.
Der "Wickelfisch", ein Sack aus Polyester, ist – siebenmal gefaltet – wasserdicht.  Ich setze das Bluetooth-Headset auf, drücke auf Aufnahme und stopfe mein Handy in den Sack.
Viele Flussschwimmer in Basel haben einen "Wickelfisch" dabei.
Viele Flussschwimmer in Basel haben einen "Wickelfisch" dabei - einen wasserdichten Beutel für Handtuch und Kleidung.© Fritz Schütte
Über glitschige Steine geht es ins Wasser. Badeschuhe empfehlen sich.  Ich ziehe den "Wickelfisch" an einer mit Klettband befestigten Schlaufe hinter mir her und gleite ins angenehm warme Wasser. Es ist grünlich.  Erste Schwimmzüge. Den Grund kann ich nicht sehen.
Rechts ziehen zwei hohe Bürotürme vorbei – Sitz der Roche-Holding, des größten Pharmakonzerns der Welt. Zur Mitte hin wird die Strömung stärker. Gegenüber mündet der St.-Alban-Teich, sagt der Rettungsschwimmer an meiner Seite, ein historischer Gewerbekanal. „Hier ist die chemische Industrie entstanden und die Papierindustrie. Und da gab es Färbereien auch. Da ist das dann losgegangen“, erklärt er.
Vor uns taucht die Wettsteinbrücke auf, über die die Straßenbahn fährt. Doch unser Ziel sind die Terrassen davor. „Langsam rausdriften!“ Der Bremsweg ist länger als erwartet. Ich knie auf den Steinen, ziehe meinen "Wickelfisch" aus dem Wasser und richte mich auf. Um mich herum glückliche Gesichter.

Berliner Verein will Spree zum Baden

700 Kilometer nordöstlich von Basel schaut Wasserbauingenieur Ralf Steeg in die Berliner Spree. Die Limnologen, also die Gewässerökologen, die sagen ja auch, dass die Spree kein richtiger Fluss mehr ist, sondern eine hintereinandergeschaltete Kette von Seen. Das graublaue Wasser sieht wenig einladend aus.
Richtig unappetitlich wird es, wenn Regenwasser aus den Gullys die Kläranlagen überlaufen lässt, und der Unrat aus Rohren direkt in den Fluss gelangt. Ralf Steeg hat vorgeschlagen, das Wasser in Pontons aufzufangen und dann ins Klärwerk zurückzupumpen:
„Alle denken immer: Umweltschutznation Nummer eins. Aber wenn ich dann den Leuten erzähle, dass, wenn sie auf Toilette gehen, dass sie bei starkem Regen 20 Minuten später auf dem Gewässer schwimmen sehen können, was sie dort hinterlassen haben, glaubt das überhaupt niemand. Alle denken, das Abwasser wird total geklärt, alles wird gereinigt und am Ende kommt aus den Klärwerken Trinkwasser raus. Aber das ist eine völlige Fehleinschätzung."

Die Zukunft zwischen den Kanalmauern

Fünf Kilometer flussabwärts schauen Teilnehmer einer Stadtführung in den Kupfergraben, ein Teil des Spreekanals, den fünfmal täglich ein Ausflugsboot befährt. Für große Schiffe ist die Brücke zu niedrig. „Aber egal“, sagt Erik Schmidt-Wergifosse, Geograf und ehrenamtlicher Stadtführer des gemeinnützigen Vereins "Flussbad Berlin":
„Es ist offiziell eine Bundeswasserstraße. Hier dürfen Lastkähne und Personenrundfahrtschiffe fahren. Ansonsten ist hier die weitere Nutzung verboten. Man darf hier nicht mit dem Ruderboot fahren, man darf nicht schwimmen, und Ziel vom Flussbad ist jetzt, das Wasser zu reinigen und diese Fläche nutzbar zu machen ohne Eintritt zu jeder Zeit zum Baden und Schwimmen.“
Erik hält ein Bild hoch, auf dem zu sehen ist, wie die Zukunft zwischen den Kanalmauern aussehen könnte. Schwimmer gleiten von der Treppe ins Wasser, an deren Fuß jetzt gerade ein paar Bierbüchsen unentschlossen vor sich hindümpeln.
Teilnehmer einer Berliner Stadtführung schauen in den Kupfergraben.
Erik Schmidt-Wergifosse bei einer Stadtführung des Vereins "Flussbad Berlin".© Fritz Schütte
Die Wände des Pergamonmuseums gehen in Kanalwände über. Eine uneinnehmbare Festung. Für Schwimmer kein Rein- und kein Rauskommen. An der Schlossbrücke läutet der Kapitän des Ausflugsbootes. Wasser plätschert aus einem Rohr. Dass Erik hier zuletzt geschwommen ist, ist schon ein paar Jahre her. Es ist nur beim Flussbad-Pokal erlaubt – einmal im Jahr und auch nur, wenn es gesundheitlich unbedenklich ist.

Wenn man im Wasser unten schwimmt, dann wirkt das gar nicht so, als wären das so hohe Mauern, sondern: Man ist einfach völlig geflasht von dieser anderen Perspektive auf die Stadt und man bewegt sich im Wasser, man schwimmt und gerade auf Höhe des Lustgartens eröffnet sich dann der Blick Richtung Dom und Fernsehturm und man schwimmt dort im Wasser. Und das ist ein irres Gefühl. Wir als Verein würden das gerne allen Berlinern ermöglichen und natürlich auch allen Touristen.

Erik Schmidt-Wergifosse, Stadtführer des Vereins Flussbad Berlin

Berlin hat eine Mischwasserkanalisation. Das heißt, Regenwasser fließt mit anderem Abwasser zusammen in die gleiche Kläranlage. Und wenn es ordentlich schüttet, läuft sie über.
„Dieser ganze zukünftige Schwimmbereich, so wie wir uns den vorstellen, der ist einmal komplett mit Abwasser vollgelaufen. Da hat man alles drinnen, was zu Hause im Spülbecken und in der Toilette landet. Das ist nicht lecker. Wir haben teilweise dann massives Fischsterben", erklärt Erik.
Neben der schmucklosen Fassade des Außenministeriums spiegelt sich  Berlins älteste Brücke im Wasser. Davor rauscht ein Wehr. Hier soll eine mit Schilf bepflanzte Kiesschicht das Wasser filtern.
„Es war mal angedacht, dass der Filter vom Wehr bis hinten zur nächsten Brücke geht. Aber inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Filter nicht mal halb so groß sein müsste. Aber es müsste vorher noch eine Grobreinigung geben, so ein Grobrechen, der halt Dosen und Tüten, die auf dem Wasser herumschwimmen, herausfiltert. Und dann fließt das Wasser durch den Filter und kommt halt sauber hinten wieder raus. Noch Fragen?“
Ob der Filter funktioniert, wurde bisher nur im Kleinen erprobt. Aber die Messergebnisse stimmen Erik optimistisch.

Der Traum, am Rhein in Basel zu wohnen

Fährifrau Sabine steuert die Münsterfähre über den Rhein, eine von vier Basler Gierfähren. Das sind Holzboote mit Kajüte, die an über den Fluss gespannten Seilen hängen, sie nutzen die Kraft der Strömung.
„Ich habe ein Steuerruder und damit kann ich die Geschwindigkeit der Fähre bestimmen. Wenn ich sehe, ein Schwimmer ist in Not, kann irgendwie nicht ausweichen oder weiß nicht, wie die Fähre funktioniert, dann warte ich, bis der vorbei ist", erklärt Barbara Buser und schließt ein Gartentor auf. Das Haus ist eine Baustelle. Barbara gehört zum Team der Firma "unterdessen".
„Wir übernehmen ganze Häuser, Gebäude und vermieten die dann unter. Das ist jetzt mein zweites Büro. Ich habe immer davon geträumt, am Rhein zu wohnen und jetzt leiste ich mir mal das Büro für drei Jahre. Dann schauen wir, wie es weitergeht. Hier habe ich wirklich den Überblick über alles, was passiert im Rhein", sagt sie.
"Ich bin in Basel aufgewachsen. Und bei uns war klar: Man geht nicht mehr in den Rhein schwimmen, weil man dann ohne Haare herauskommt. Und wenn man krank ist, geht man in den Rhein, dann braucht man keine Apotheke mehr. Also, das waren so die Sprüche, weil das Wasser wirklich schmutzig war. Und die Wende fand eigentlich 1986 statt mit dieser Katastrophe in der Schweizerhalle.“

Die Katastrophe von 1986

Am 1. November 1986 wecken Sirenen die Basler. Die Nachrichten melden, dass eine Lagerhalle im Industriegebiet brennt. Giftige Dämpfe steigen auf. Die Feuerwehr löscht, aber damit nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Giftiges Löschwasser gelangt in den Rhein und sorgt für ein gigantisches Fischsterben.
„Und die Biologen haben gesagt, das dauert mindestens zehn Jahre, bis das Leben wieder zurückkehrt", berichtet Barbara. "Und das hat ja dann zum Glück nach zwei Jahren alles wieder funktioniert. Großartig, die Selbstheilungskräfte der Natur! Und da haben sich die Leute gesagt: Hey, der Rhein gehört uns. Wir lassen uns den nicht nehmen. Wir nutzen den jetzt auch.“
Und das rät Barbara auch Berlinern, die in der Spree schwimmen wollen: "Wir haben niemanden gefragt. Wieso fragt ihr überhaupt? Schwimmt doch einfach!"
Sandoz-Werke am Rhein bei Basel
Am 1. November 1986 kam es zur Katastrophe - und zu einem nie gekannten Fischsterben.© Imago / Sven Simon

"Flussbad Berlin" entstand in der Zeit des Umbruchs

„In einem Teilbereich des Kanals wäre es für unsere Begriffe ganz gut möglich. Und das wollen wir versuchen, in den nächsten Jahren zu erreichen", sagt Jan Edler. Er und sein Bruder Tim sind Initiatoren von "Flussbad Berlin". Vor 25 Jahren blickten sie vom Fenster ihres Büros auf den Kanal.
„Das Projekt ist auch nicht geboren worden als Schwimmprojekt, sondern eigentlich aus Interesse für die Entwicklung der Stadtmitte und diese große Brachfläche: 1,8 Kilometer Fluss, der keine wirkliche Nutzung hat.“ Das Flussbad ist auch eine Idee aus der Zeit des Umbruchs: „Also, es war eine sympathische Utopie, aber da wurde nicht ernsthaft dran gearbeitet eine ganz lange Zeit.“
Vor elf Jahren reichten die Initiatoren die Idee bei einem Wettbewerb für nachhaltige Stadtentwicklung und Architektur ein, ohne sich große Hoffnungen zu machen.
„Und da haben wir dann gewonnen und 150.000 Dollar Preisgeld bekommen und haben dann erste Gespräche mit der Verwaltung und der Politik in Berlin geführt und beschlossen, einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Das kam eigentlich daher, dass schon die ersten Gespräche mit der Politik gezeigt haben, wenn das was werden soll, muss es ein Projekt werden, das auf vielen Schultern ruht.“
500 Vereinsmitglieder halten den Traum wach. In der Zwischenzeit haben Regierung und Zuständigkeit der Behörden mehrfach gewechselt.

Kritik von Anrainern

Es gibt aber auch Kritik von Anrainern. Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, sagt:
„Wenn da jeden Abend Massen in den Parks unterwegs sind, kann man sich vorstellen, wie es in jeder Ecke aussieht. Und ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn das sozusagen auch noch das Freibad der Stadt hier wird.“
Der CDU-Politiker und ehemalige DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke fragt:
„Muss jede Stadt wirklich Flussschwimmen mitten in der Stadt machen? Also ich bin nicht davon überzeugt, dass das am Ende überhaupt funktioniert, weil man ein paar Genehmigungen Flussbad Berlin entstand in der Zeit des Umbruchs. Es muss sauber sein, es muss sicher sein.“
Nooke gehört zu den Initiatoren des Freiheits- und Einheitsdenkmals vorm Stadtschloss, einer 50 Meter langen Schale, die sich neigt, wenn auf einer Seite 50 Menschen mehr stehen als auf der anderen, wie er erklärt:
„Die Bürger selber können da raufgehen und eben darüber diskutieren, wie man etwas in Bewegung setzt. Eigentlich ein ganz schönes Gesamtkonzept und, ob das durch Badehosen und Bikinis jetzt wirklich so viel besser wird, das bezweifle ich eben.“ 

Wasserbauingenieur ist hartnäckigster Gegner

Hartnäckigster Gegner von "Flussbad Berlin" ist der Wasserbauingenieur Ralf Steeg. Sein eigenes Projekt sieht vor, an allen Rohren, aus denen bei Starkregen Abwasser in den Fluss gelangt, schwimmende Auffangbehälter zu parken:
„Also, als Vorbemerkung muss ich unbedingt sagen, dass die Kritik am Flussbad, die ich ja jetzt seit drei Jahren übe, mir eigentlich nur Nachteile gebracht hat. Die Nachteile sind zum Beispiel auch, dass mich das eine Menge Geld gekostet hat, ein paar 1000 Euro für Akteneinsichten und eine Menge Zeit, über 1500 Stunden, um mich in das Thema einzuarbeiten.“
Spreekanal in Berlin
Schwimmen im Berliner Spreekanal ist nur beim Flussbad-Pokal erlaubt - bis jetzt.© Fritz Schütte
Ihn stört, dass viele Millionen für das Flussbad-Projekt ausgegeben werden, während an anderen Stellen weiter Abwasser eingeleitet wird:
„Das Geld, das das Flussbad kostet, wenn man das nehmen würde, um die Einleitung zu verhindern, wäre der ökologische Effekt wesentlich größer und die Schwimmstrecke, die man damit umsetzen könnte, wesentlich länger. Von mir aus baut Becken unter der Erde, Betonbecken, oder macht dezentrale Maßnahmen, dass der Niederschlag gar nicht erst in die Kanalisation kommt! Macht, wie ihr wollt! Aber Hauptsache, ihr macht es mal.“
Jan Edler lässt die Kritik nicht gelten. Flussbad wolle die Reinigung der gesamten Spree ja nicht verhindern:
„Das Projekt ist ja nicht dafür da, dass wir jetzt den Spreekanal hübsch machen und dann können die Leute schwimmen gehen und das war's, sondern wir wecken damit den Appetit der Menschen, zu sagen: Warum können wir eigentlich nicht den ganzen Fluss nutzen?“

Schwimmen in der Spree nur einmal im Jahr

Bisher darf man nur einmal im Jahr im Spreekanal schwimmen – beim Flussbad-Pokal.
„In der Vergangenheit war es eben so, dass diese Veranstaltung mit Wohlwollen ermöglicht wurde. Da hat man gesagt: Es ist ja keine Badeveranstaltung, sondern es ist eine Ausnahmesportveranstaltung, und darauf basierend müssen wir es gar nicht genehmigen. Das heißt, sie haben gesagt, sie sind nicht zuständig für die Genehmigung.“
Viermal fiel der Flussbad-Pokal ins Wasser wegen vorheriger starker Regenfälle oder wegen Corona. Beim letzten Mal, 2019, gingen mehrere hundert Schwimmer an den Start. "Flussbad Berlin" hat das Ereignis auf Videos dokumentiert. Darauf zu sehen und zu hören sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
„Ich wohne hier an der Ecke, gehe hier öfters spazieren und wollte unbedingt mal hier schwimmen. Also für mich war das so ein bisschen eine Sightseeing-Tour, wo man sonst nie lang kommt.“
„Das Wasser war total sauber. Das hätte man gar nicht erwartet so mitten in der Stadt. Wenn man sich vorstellt, dass man das hier bald jeden Tag machen kann und baden. Das wäre geil. War ein schöner Auftakt.“

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