Föderalismus

131 Ministerien sind zu viel

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Luftaufnahme landwirtschaftlicher Flächen mit flickenteppichartigen Feldern.
Länder fusionieren - das wäre ein guter Anfang für eine Föderalismusreform, meint Hartmut Berghoff. © Picture Alliance / JOKER / Hady Khandani
Ein Standpunkt von Hartmut Berghoff · 30.10.2020
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Fast 1900 Abgeordnete und 131 Ministerien: Föderalismus verursacht hohe Kosten, viel Koordinierungsbedarf und Widersprüche, die Deutschland lähmen, findet der Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff. Zeit, den Föderalismus zu reformieren.
Gartenzäune dürfen in Niedersachsen höchstens 1,20 Meter hoch sein und in Berlin fünf Zentimeter mehr, in Sachsen-Anhalt aber 2 Meter. In Niedersachsen und Brandenburg müssen Eigentümer ihr Grundstück einzäunen, in Berlin und Hessen nur dann, wenn der Nachbar darauf besteht. Ein anderes Beispiel: Menschen im Umland von Stadtstaaten profitieren von deren Arbeitsplätzen und kulturellen Angeboten, führen aber ihre Steuern an die angrenzenden Flächenländer ab. Die Kultusbürokratien der Länder muten den Schülern 16 unterschiedliche Lehrpläne zu. Diese Beispiele lassen am Sinn der föderalen Vielfalt zweifeln.
Niemand braucht fast 1.900 Abgeordnete und 131 Ministerien in den Bundesländern. Sie produzieren unter hohen Kosten Komplexität und Widersprüche, die Deutschland lähmen. Die Koordinierung der Politik ist extrem aufwendig, man denke nur an den Länderfinanzausgleich oder die Kultusministerkonferenz. Schließlich stehen fast ständig Landtagswahlen an, sodass wahltaktische Überlegungen den Mut zu klaren Entscheidungen ersticken.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Dies ist kein Plädoyer gegen den Föderalismus. Deutschland hat eine lange föderale Tradition. Die Väter des Grundgesetzes hatten nach dem zentralistischen Hitler-Regime gute Gründe, den Föderalismus zu stärken. Der heutige Föderalismus ist aber nicht mehr zeitgemäß und angesichts der eskalierenden Staatsverschuldung bald auch nicht mehr finanzierbar. Er ist reformbedürftig. Die Fusion von Ländern wäre ein wichtiger erster Schritt.

Länderfusionen waren umstritten, aber zielführend

Dagegen wird meist eingewandt, dass es sich um historisch gewachsene Einheiten handelt und in größeren Ländern die Bürgernähe leiden würde. Sind denn die Menschen im Saarland ihrer Regierung wirklich näher als in Bayern? Müsste man mit diesem Argument nicht die Aufspaltung großer Bundesländer fordern, etwa die Abtrennung von Westfalen, Baden oder Franken?
Historisch betrachtet war der deutsche Föderalismus stets wandelbar und flexibel. Der langfristige Trend begünstigt größere Einheiten. Das Kaiserreich hatte 25 Bundesstaaten, darunter Zwerggebilde wie Schwarzburg-Sondershausen. 1920 wurden acht Miniaturstaaten in das neue Land Thüringen eingegliedert. Nach 1945 entstand Niedersachen aus vier und Baden-Württemberg aus drei Ländern. Solche Fusionen waren stets umstritten, aber im Ergebnis erfolgreich.

Modernisierungsoffensive als Mittel gegen Politikverdrossenheit

Die geschichtliche Erfahrung ermutigt uns also, eine sinnvolle Neuordnung der Länder anzugehen. Entgegen steht ihr eine diffuse Angst vor Veränderung und das Bestreben der politischen Parteien, den Zugriff auf Zehntausende wohldotierter Parlamentssitze und Beamtenstellen zu behalten, um ihre Mitglieder zu versorgen.
Das Interesse der Bürger an einem funktionierenden und bezahlbaren Staat sollte aber vor Patronage-Interessen rangieren. Gerade in Zeiten der Politikverdrossenheit und des Populismus muss der Staat zeigen, dass er keine Selbstbedienungsanstalt ist und sich zurückzunehmen bereit ist. Die zuweilen absurde Kleinstaaterei verstärkt nämlich die Entfremdung vieler Bürger von unserem Gemeinwesen. Eine lebendige Demokratie legitimiert sich dagegen durch ihre Reformfähigkeit. Daher sollte die Verschlankung unseres Staates kein Tabu sein. Die Neugliederung der Bundesländer könnte eine dringend überfällige Modernisierungsoffensive einleiten.

Prof. Dr. Hartmut Berghoff ist Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Göttingen. Von 2008 bis 2015 hat er das Deutsche Historische Institut in Washington D.C. geleitet. Er war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und hat Gastprofessuren in Harvard, Paris und an der Henley Business School wahrgenommen. Zuletzt erschien von ihm im Campus-Verlag das Buch "Verdienst und Vermächtnis. Familienunternehmen in Deutschland und den USA seit 1800" (gemeinsam mit Ingo Köhler).

Hartmut Berghoff
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