"Diese Gewalt kriecht unter die Haut"
Die Terroranschläge von Brüssel sind auch ein Angriff auf die Freiheit. Die Publizistin Carolin Emcke will sich diese nicht nehmen lassen. Doch auch ihr kriecht die Gewalt unter die Haut.
Am Tag nach den Terroranschlägen in Brüssel hat sich die Publizistin Carolin Emcke erschüttert gezeigt. "Man will natürlich sagen, man lässt sich die Freiheit, die da so verachtet wird, nicht nehmen. Aber ich muss zugeben, diese Gewalt kriecht einem dann doch irgendwann unter die Haut", sagte Emcke am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur.
Man müsse nun individuell, aber auch als Gesellschaft einen Weg finden, einerseits anzuerkennen, dass dieser Terrorismus nicht auf die Schnelle bekämpft werden könne. "Und trotzdem: Diese innere Stabilität und Zuversicht müssen wir behalten", forderte Emcke.
Balance zwischen Sicherheit und Freiheit finden
Auf die Angriffe könne man nun individuell reagieren, indem man weiter ins Theater und ins Konzert gehe. "Die gesellschaftliche und politische Antwort wird eine sein, die eine Balance finden muss zwischen Sicherheit und Freiheit", sagte Emcke weiter.
Es müsse die Frage gestellt werden, wie sich Informationen besser koordinieren lassen, aber der Ausnahmezustand dürfe nicht wie in Frankreich dauerhaft verlängert werden. Das seien Maßnahmen, die Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit zunehmend einschränken.
Erfahrungen mit Terrorismus in anderen Länder und historischen Phasen hätten gezeigt, dass er am stärksten geschwächt wurde, wenn sie keine Sympathisanten mehr hatten. Deswegen müsse nun die Frage gestellt werden, wie verhindert werden könne, dass Menschen solchen Terrorgruppen zulaufen. Mit Blick auf in Europa aufgewachsene potentielle Attentäter müsse darüber nachgedacht werden, "wie man deren Leben so lebenswert machen kann, dass sie nicht bereit sind, sich für eine menschenverachtende Ideologie in die Luft zu sprengen".
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Die Einschläge häufen sich und sie kommen näher. Terroranschläge sind längst Teil auch unserer europäischen Erfahrungen, und ich muss gar nicht groß erinnern, Sie werden die Bilder noch frisch genug vor Augen haben, vor allem die schlimmen Anschläge von Paris am 13. November. Gestern also Brüssel, neue Bilder, neue Ängste und die Frage, welche Folgen hat diese Gewalt für unsere Gesellschaften? Besprechen will ich das mit der Publizistin und Kolumnistin Carolin Emcke. Guten Morgen!
Carolin Emcke: Schönen guten Morgen!
Frenzel: Wir haben die Beschwörungen aus vielen Politikermündern gehört, die Freiheit, die wir uns nicht nehmen lassen dürfen durch den Terror. Entspricht das auch dem, wie wir de facto reagieren, oder haben sich unsere europäischen Gesellschaften durch die Anschläge bereits verändert?
Emcke: Ich muss ganz ehrlich zugeben, jetzt am Tag danach, also nach den Anschlägen von Brüssel höre ich zwar auch diese Beschwörungen, von denen Sie sprechen, aber ich muss schon zugeben, erst mal erfasst einen dann eben doch die Angst. Man möchte natürlich gerne sagen, es soll einem keine Angst machen, und man will natürlich auch sagen, man lässt sich die Freiheit, die da so verachtet wird, auch nicht nehmen. Aber ich muss jetzt doch zugeben, diese Gewalt kriecht einem dann doch irgendwann unter die Haut. Man wird eine Form finden müssen, glaube ich, individuell, aber eben auch als Gesellschaft, einerseits sich tatsächlich darauf einzustellen, dass wir dem nicht so schnell beikommen werden und dass es immer wieder diese Gewalt auch hier und eben nicht nur in fernen Ländern geben wird, und sich sozusagen nicht daran zu gewöhnen. Also man muss sozusagen eine Form finden, einerseits zu wissen, das wird weiter geschehen, wir werden diesen Terror nicht auf die Schnell bekämpfen können, und trotzdem, diese innere Stabilität und Zuversicht müssen wir behalten.
Frenzel: Was bedeutet das für den Einzelnen einerseits, aber was bedeutet das vor allem für die Gesellschaft, in dem Sinne dann die Politik? Wie kann man es schaffen, dass es keine Floskel ist, dass wir uns die Freiheit nicht nehmen lassen?
Emcke: Ja, ich glaube in der Tat, auf die Angriffe kann man einerseits natürlich genau, da haben Sie recht, individuell reagieren, indem man sagt, ich will weiter ins Konzert gehen, ich will weiter ins Theater gehen, ich will weiterhin auch großen Respekt vor der Individualität haben – das muss man auch sehen, was da als Ideologie angreift, ist eben eine Ideologie, die das Kollektiv preist, die "wir gegen sie" denkt, die auch diese Form von Individualität, die wir gerne leben und schätzen, regelrecht verachtet. Nur so lässt sich erklären, dass Menschen auch bereit sind, auch ihr Leben zu geben für diese menschenverachtende Ideologie. Das ist, glaube ich, sicherlich eine individuelle Antwort, dass man sich das nicht nehmen lässt. Und die gesellschaftliche, die politische Antwort wird eben eine sein, die eine Balance finden muss, auch das ist jetzt nicht neu, was ich sage, dass man zwischen Sicherheit und Freiheit abwägen muss, dass man überlegen muss, wie lassen sich Informationen besser koordinieren, wie lassen sich nationalstaatliche Egoismen in dieser Zusammenarbeit überwinden auf der einen Seite und gleichzeitig aber nicht – wie ich glaube, wie es Frankreich falsch gemacht hat, umgehend einen Ausnahmezustand nicht nur in einer akuten Notsituation zu verhängen, sondern eben dauerhaft zu verlängern. Ich glaube, diese Maßnahmen sind erstens welche, die solche Anschläge nicht verhindern, aber die vor allem auch diese Freiheitsrechte eben zunehmend einschränken und auch die Rechtsstaatlichkeit einschränken. Das darf, glaube ich, keine voreilige Reaktion sein.
Frenzel: Frau Emcke, das Neue wäre vielleicht, dass gerade die, die immer auf die Liberalität gepocht haben, diese Preisfrage ein wenig anders beantworten, den Preis, den wir bereit sind zu zahlen für die Freiheit. Brauchen wir am Ende ein bisschen mehr Sicherheit, und wenn sie nur darin besteht, dass eben in Flughäfen vorher kontrolliert wird, dass das Leben ein wenig unbequemer wird?
Emcke: Ich habe jetzt gar nichts gegen ein unbequemes Leben, aber ich bezweifle, dass die Kontrolle an den Flughäfen, wenn sie etwas früher einsetzen würde, würden diese Menschen sich früher sprengen. Da bin ich nicht zuversichtlich, dass das wirklich was bringt. Wenn wir die Erfahrungen des Terrorismus in anderen Ländern und in anderen historischen Phasen uns anschauen, müssen wir leider sagen, dass es vor allem, am stärksten Terrorgruppen geschwächt hat, wenn sie keine Sympathisanten mehr hatten, also wenn es nach und nach keine Zustimmung mehr gab zu diesen Anschlägen und wenn sie auch nicht mehr rekrutieren konnten. Und da, glaube ich, muss man sich fragen, wie schafft man es denn, dass Menschen nicht solchen Terrorgruppen zulaufen. Und meine Einschätzung, eine meiner Vermutungen wäre, darüber nachzudenken, wie man das Leben der Menschen – das sind ja hiesige Attentäter, die sind aufgewachsen in unseren Gesellschaften, die sind sozusagen mitten unter uns politisiert worden und dann eben irgendwann abgedriftet, – wie man deren Leben so lebenswert machen kann, dass sie nicht bereit sind, sich für eine menschenverachtende Ideologie in die Luft zu sprengen.
Frenzel: Bei der Frage verantwortungsvoller Umgang mit dieser Situation möchte ich noch kurz auf die Medien kommen, quasi von Journalist zu Journalistin – werden wir dieser Verantwortung, die wir da haben, gerecht?
Emcke: Ich weiß es nicht. Ich muss aber zugeben, ich zweifle da auch selbst. Manchmal frage ich mich, muss es wirklich zu jeder Gewalttat einen Live-Ticker geben? Muss ich wirklich im Minutentakt informiert werden, wenn wir eigentlich noch gar keine Informationen haben? Andererseits gebe ich zu, ich hänge dann auch dran und verfolge es auch. Ich bin auch da wahnsinnig ambivalent. Aber sicherlich ist es in Zeiten, in denen eigentlich der Druck auf Medien, besonders schnell zu berichten , sich erhöht, erst recht, weil sonst ihnen vorgeworfen wird, sie würden irgendetwas zurückhalten, würde ich doch eher dafür plädieren, etwas langsamer und etwas ruhiger zu arbeiten.
Frenzel: Also weniger Breaking News, weniger dramatisieren. Caroline Emcke, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Emcke: Sehr gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.