Folgen des Kaukasus-Krieges für die Welt
Der vorerst letzte europäische Krieg fand im Sommer 2008 zwischen Russland und Georgien statt. Der amerikanische Publizist Ronald Asmus versucht mit seinem Buch nachzuweisen, warum der sehr begrenzte Konflikt in Wahrheit große strategische Bedeutung und Folgen hatte.
Bricht in unserer Nachbarschaft ein Krieg aus, sind die Wenigsten wirklich unparteiisch. Deshalb zeichnet es den amerikanischen Autoren Ronald Asmus aus, dass er gleich zu Beginn seines Buches über den Georgien-Krieg 2008 erwähnt, wo seine Sympathien und meisten Kontakte liegen. Denn gerade die Geschichte des einzigen echten militärischen Konflikts in Europa seit dem Balkankrieg lässt sich nicht völlig ohne Wertung erzählen.
Wer immer in die Berichte über die August-Wirren im südlichen Kaukasus im Jahr 2008 eintaucht, bekommt viele Interpretationen zu hören. Georgische Flüchtlinge aus den abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien haben eine andere Sicht als die Abchasier, die unter der Georgiern gelitten haben. Aus Moskau und der georgischen Hauptstadt Tiflis betrachtet man die beiden Provinzen mit völlig unterschiedlichen Augen.
Also erwähnt Asmus lieber gleich, dass er in der US-Regierung von Bill Clinton einer der Vordenker der NATO-Osterweiterung gewesen war und enge Verbindungen nach Tiflis hält. Dennoch widersteht er der Versuchung, eine Verteidigungsschrift für den viel gescholtenen georgischen Präsidenten Saakaschvili zu schreiben.
Asmus' noch größerer Verdienst ist aber die Erklärung gerade an europäische Leser, wieso ein Krieg mit relativ wenigen Toten und mit der Dauer weniger Tage überhaupt unser Interesse finden sollte. Der Titel "Der kleine Krieg, der die Welt schockierte" trifft dabei zielsicher den entscheidenden Punkt. Zumindest in Washington und Moskau war und ist man sich einig, dass es um mehr ging als um die Unabhängigkeitswünsche weniger zehntausend Kaukasier. Der Georgien-Krieg war vielmehr das bisher letzte große dramatische Ringen zwischen Ost und West.
Eine Kernthese des Buches ist deshalb folgerichtig, dass der Krieg nicht erst am 7. August 2008 begann, sondern Monate, vielleicht sogar Jahre früher. Das ist weniger eine Entschuldigungsstrategie für den georgischen Präsidenten, der an diesem Tag seine Truppen in Südossetien losschlagen ließ, um einem erwarteten russischen Angriff zuvorzukommen.
Es ordnet den Konflikt vielmehr in den historischen Kontext ein. Über Monate hatte Moskau zuvor eine Drohkulisse gegen Georgien aufgebaut. Geradezu lustvoll hatte Georgiens Präsident dagegen alle Warnungen in den Wind geschlagen, dass die ersehnte schnelle NATO-Mitgliedschaft die Spannungen in der Region massiv erhöhen würde.
Deshalb hält sich Asmus auch nicht lange mit der Frage auf, wer nun wirklich den ersten Schuss abgegeben hatte, die Russen oder die Georgier.
"Vielleicht ist die wirkliche Frage, wie und warum Tiflis am Ende überhaupt vor die Wahl zwischen einem hoffnungslosen David-gegen Goliath-Kampf gegen Moskau und der Kapitulation angesichts einer russischen Strategie der schleichenden Annexion."
Für die Beantwortung dieser Frage ist Asmus tatsächlich besser geeignet als die meisten anderen Autoren. Denn als amerikanischer NATO-Stratege kennt er die Befindlichkeiten der Osteuropäer, die aus der Herrschaft Moskaus flüchten wollen. Doch als Strategieplaner beim German Marshall Fund in Brüssel kennt er auch die europäische Sichtweise und die Vorbehalte gegenüber einer von Washington forcierten Osterweiterung.
Das ermöglicht Asmus eine weitgehend korrekte Schilderung der Stationen, die zum Krieg führten: Georgiens Druck auf eine NATO-Aufnahme, die Hilfe des US-Präsidenten George Bush, der amerikanisch-europäische Streit auf dem NATO-Gipfel im Frühjahr 2008, wo Georgien eine rasche Mitgliedschaft verweigert wurde. Auf russischer Seite wuchs unterdessen auch wegen der Anerkennung der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo durch den Westen die Verärgerung.
Völlig zu Recht stellt Asmus den Konflikt in den Zusammenhang, in dem ein wieder selbstbewussteres Russland sich nicht mehr vom Westen herumschubsen lassen wollte.
"Tiflis war das perfekte Ziel für Russlands Vergeltung. Moskau wollte seine Antwort so schmerzhaft für Washington machen wie die Anerkennung Kosovos schmerzhaft für Moskau gewesen war."
Asmus zitiert zudem aus einem Bericht über ein Gespräch Putins mit dem georgischen Präsidenten vom 17. Februar 2008, in dem Russlands Ministerpräsident offen zugab:
"Sie wissen, dass wir dem Westen auf Kosovo antworten müssen. Und es tut uns sehr leid, aber Sie werden Teil der Antwort sein."
Eindrucksvoll zeichnet Asmus dann nach, wie die Russen über Monate den
Druck verstärkten, Ärzte und Waffen in den Südkaukasus verlegten, wie sich die Rhetorik verschärfte. Spannender als die Beschreibung des seltsames Minikrieges ist aber die Passage, in der Asmus schildert, wie sich die Amerikaner bei den Versuchen zur Beendigung des Krieges systematisch zurückzogen und damit Frankreichs Präsidenten, dem damaligen EU-Ratsvorsitzenden Nicolas Sarkozy, das Feld überließen. Obwohl US-Präsident Bush in den Monaten zuvor persönlich den NATO-Kurs vorgetrieben hatte, zog er nun die Supermacht bewusst aus dem Konflikt heraus.
Hier offenbart sich auch eine Schwäche des Buches. Denn Asmus fragt nicht nach, ob der Krieg nicht vielleicht der Preis für die ganze NATO-Erweiterungsstrategie war.
Es war keineswegs Naivität oder Russland-Hörigkeit, die damals auch Bundeskanzlerin Merkel dazu bewegte, Washington zu warnen. Vielmehr hatte die US-Regierung Moskau an vielen verschiedenen Stellen gleichzeitig gereizt, auch mit der von Bush geplanten Raketenabwehr in Osteuropa.
Zudem übertreibt Asmus das Ausmaß der russischen strategischen Ziele und übersieht ihren Hintergrund. Nicht einmal Premierminister Putin ging es um ein generelles "Roll-Back" in den ehemaligen Sowjetrepubliken.
Trotz des eigentlich geforderten Sturzes Saakashwilis und trotz erdrückender Überlegenheit marschierten die russischen Truppen eben nicht in die nur zwei Stunden entfernte georgische Hauptstadt. In dem Buch fehlt zudem der Hinweis, dass aus russischer Sicht die Lage in Südossetien stets mit Blick auf die Separatisten im russischen Nordossetien bewertet wurde.
Dennoch kommt Asmus am Ende zum richtigen Schluss, der zunächst bitter klingt, in Wahrheit aber Hoffnungen weckt. Denn der Augustkrieg kennt eben keine Gewinner, sonder nur Verlierer. Georgien hat mit dem Vorgehen die Chance verwirkt, in absehbarer Zeit in die NATO aufgenommen zu werden. Russland zahlt gleich für zwei Fehler: Erstens hat es seine Truppen die Grenze zu einem souveränen Staat überschreiten lassen. Zweitens hat sich Moskau mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens in eine diplomatische Sackgasse manövriert.
Aber auch der zuschauende Westen hat verloren. Washington hatte sich erkennbar verkalkuliert, weil man mit einem immer weiter zurückweichenden Russland gerechnet hatte. Zum anderen hat der Krieg aller Welt gezeigt, wie begrenzt die Mittel der Supermacht sind, die einen Verbündeten im Kaukasus eben nicht schützen kann und will. Den Georgien-Krieg kann man deshalb als letzte unselige Episode der Außenpolitik von US-Präsident George Bush betrachten.
Dazu passt der schöne Dialog zwischen Sarkozy und Putin, den Asmus gegen Ende zitiert. Vor einem Waffenstillstand forderte der russische Präsident, den georgischen Präsidenten hängen zu sehen. Schließlich hätten die Amerikaner Saddam Hussein auch hingerichtet. Sarkozy ging nicht auf den schiefen Vergleich ein, sondern fragt nur zurück: "Aber wollen Sie wie Bush enden?" Putin zögerte und sagte dann einlenkend: "Ah, da haben Sie einen Punkt."
Ronald Asmus: A little war that shook the world
Palgrave Macmillan
Wer immer in die Berichte über die August-Wirren im südlichen Kaukasus im Jahr 2008 eintaucht, bekommt viele Interpretationen zu hören. Georgische Flüchtlinge aus den abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien haben eine andere Sicht als die Abchasier, die unter der Georgiern gelitten haben. Aus Moskau und der georgischen Hauptstadt Tiflis betrachtet man die beiden Provinzen mit völlig unterschiedlichen Augen.
Also erwähnt Asmus lieber gleich, dass er in der US-Regierung von Bill Clinton einer der Vordenker der NATO-Osterweiterung gewesen war und enge Verbindungen nach Tiflis hält. Dennoch widersteht er der Versuchung, eine Verteidigungsschrift für den viel gescholtenen georgischen Präsidenten Saakaschvili zu schreiben.
Asmus' noch größerer Verdienst ist aber die Erklärung gerade an europäische Leser, wieso ein Krieg mit relativ wenigen Toten und mit der Dauer weniger Tage überhaupt unser Interesse finden sollte. Der Titel "Der kleine Krieg, der die Welt schockierte" trifft dabei zielsicher den entscheidenden Punkt. Zumindest in Washington und Moskau war und ist man sich einig, dass es um mehr ging als um die Unabhängigkeitswünsche weniger zehntausend Kaukasier. Der Georgien-Krieg war vielmehr das bisher letzte große dramatische Ringen zwischen Ost und West.
Eine Kernthese des Buches ist deshalb folgerichtig, dass der Krieg nicht erst am 7. August 2008 begann, sondern Monate, vielleicht sogar Jahre früher. Das ist weniger eine Entschuldigungsstrategie für den georgischen Präsidenten, der an diesem Tag seine Truppen in Südossetien losschlagen ließ, um einem erwarteten russischen Angriff zuvorzukommen.
Es ordnet den Konflikt vielmehr in den historischen Kontext ein. Über Monate hatte Moskau zuvor eine Drohkulisse gegen Georgien aufgebaut. Geradezu lustvoll hatte Georgiens Präsident dagegen alle Warnungen in den Wind geschlagen, dass die ersehnte schnelle NATO-Mitgliedschaft die Spannungen in der Region massiv erhöhen würde.
Deshalb hält sich Asmus auch nicht lange mit der Frage auf, wer nun wirklich den ersten Schuss abgegeben hatte, die Russen oder die Georgier.
"Vielleicht ist die wirkliche Frage, wie und warum Tiflis am Ende überhaupt vor die Wahl zwischen einem hoffnungslosen David-gegen Goliath-Kampf gegen Moskau und der Kapitulation angesichts einer russischen Strategie der schleichenden Annexion."
Für die Beantwortung dieser Frage ist Asmus tatsächlich besser geeignet als die meisten anderen Autoren. Denn als amerikanischer NATO-Stratege kennt er die Befindlichkeiten der Osteuropäer, die aus der Herrschaft Moskaus flüchten wollen. Doch als Strategieplaner beim German Marshall Fund in Brüssel kennt er auch die europäische Sichtweise und die Vorbehalte gegenüber einer von Washington forcierten Osterweiterung.
Das ermöglicht Asmus eine weitgehend korrekte Schilderung der Stationen, die zum Krieg führten: Georgiens Druck auf eine NATO-Aufnahme, die Hilfe des US-Präsidenten George Bush, der amerikanisch-europäische Streit auf dem NATO-Gipfel im Frühjahr 2008, wo Georgien eine rasche Mitgliedschaft verweigert wurde. Auf russischer Seite wuchs unterdessen auch wegen der Anerkennung der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo durch den Westen die Verärgerung.
Völlig zu Recht stellt Asmus den Konflikt in den Zusammenhang, in dem ein wieder selbstbewussteres Russland sich nicht mehr vom Westen herumschubsen lassen wollte.
"Tiflis war das perfekte Ziel für Russlands Vergeltung. Moskau wollte seine Antwort so schmerzhaft für Washington machen wie die Anerkennung Kosovos schmerzhaft für Moskau gewesen war."
Asmus zitiert zudem aus einem Bericht über ein Gespräch Putins mit dem georgischen Präsidenten vom 17. Februar 2008, in dem Russlands Ministerpräsident offen zugab:
"Sie wissen, dass wir dem Westen auf Kosovo antworten müssen. Und es tut uns sehr leid, aber Sie werden Teil der Antwort sein."
Eindrucksvoll zeichnet Asmus dann nach, wie die Russen über Monate den
Druck verstärkten, Ärzte und Waffen in den Südkaukasus verlegten, wie sich die Rhetorik verschärfte. Spannender als die Beschreibung des seltsames Minikrieges ist aber die Passage, in der Asmus schildert, wie sich die Amerikaner bei den Versuchen zur Beendigung des Krieges systematisch zurückzogen und damit Frankreichs Präsidenten, dem damaligen EU-Ratsvorsitzenden Nicolas Sarkozy, das Feld überließen. Obwohl US-Präsident Bush in den Monaten zuvor persönlich den NATO-Kurs vorgetrieben hatte, zog er nun die Supermacht bewusst aus dem Konflikt heraus.
Hier offenbart sich auch eine Schwäche des Buches. Denn Asmus fragt nicht nach, ob der Krieg nicht vielleicht der Preis für die ganze NATO-Erweiterungsstrategie war.
Es war keineswegs Naivität oder Russland-Hörigkeit, die damals auch Bundeskanzlerin Merkel dazu bewegte, Washington zu warnen. Vielmehr hatte die US-Regierung Moskau an vielen verschiedenen Stellen gleichzeitig gereizt, auch mit der von Bush geplanten Raketenabwehr in Osteuropa.
Zudem übertreibt Asmus das Ausmaß der russischen strategischen Ziele und übersieht ihren Hintergrund. Nicht einmal Premierminister Putin ging es um ein generelles "Roll-Back" in den ehemaligen Sowjetrepubliken.
Trotz des eigentlich geforderten Sturzes Saakashwilis und trotz erdrückender Überlegenheit marschierten die russischen Truppen eben nicht in die nur zwei Stunden entfernte georgische Hauptstadt. In dem Buch fehlt zudem der Hinweis, dass aus russischer Sicht die Lage in Südossetien stets mit Blick auf die Separatisten im russischen Nordossetien bewertet wurde.
Dennoch kommt Asmus am Ende zum richtigen Schluss, der zunächst bitter klingt, in Wahrheit aber Hoffnungen weckt. Denn der Augustkrieg kennt eben keine Gewinner, sonder nur Verlierer. Georgien hat mit dem Vorgehen die Chance verwirkt, in absehbarer Zeit in die NATO aufgenommen zu werden. Russland zahlt gleich für zwei Fehler: Erstens hat es seine Truppen die Grenze zu einem souveränen Staat überschreiten lassen. Zweitens hat sich Moskau mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens in eine diplomatische Sackgasse manövriert.
Aber auch der zuschauende Westen hat verloren. Washington hatte sich erkennbar verkalkuliert, weil man mit einem immer weiter zurückweichenden Russland gerechnet hatte. Zum anderen hat der Krieg aller Welt gezeigt, wie begrenzt die Mittel der Supermacht sind, die einen Verbündeten im Kaukasus eben nicht schützen kann und will. Den Georgien-Krieg kann man deshalb als letzte unselige Episode der Außenpolitik von US-Präsident George Bush betrachten.
Dazu passt der schöne Dialog zwischen Sarkozy und Putin, den Asmus gegen Ende zitiert. Vor einem Waffenstillstand forderte der russische Präsident, den georgischen Präsidenten hängen zu sehen. Schließlich hätten die Amerikaner Saddam Hussein auch hingerichtet. Sarkozy ging nicht auf den schiefen Vergleich ein, sondern fragt nur zurück: "Aber wollen Sie wie Bush enden?" Putin zögerte und sagte dann einlenkend: "Ah, da haben Sie einen Punkt."
Ronald Asmus: A little war that shook the world
Palgrave Macmillan

Cover: "Ronald Asmus: A little war that shook the world"© Palgrave Macmillan