Stephan Lessenich ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Arbeitsgebiete sind die politische Soziologie sozialer Ungleichheit, vergleichende Makrosoziologie, Wohlfahrtsstaatsforschung, Kapitalismustheorie und Alterssoziologie. Er war 2013 bis 2017 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 2016 erschien sein Buch "Neben uns die Sintflut – Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis"
O Ewigkeit, du Donnerwort!
Die letzte Zeche in Deutschland schließt, doch das Kapitel Steinkohlebergbau ist damit nicht beendet. Denn die Folgeschäden werden in alle Zukunft reichen, von Ewigkeitskosten und Ewigkeitsschäden wird gesprochen. Mächtige Worte.
Weihnachtszeit ist Bach-Zeit. "Jauchzet frohlocket" – manch einer lobpreiset schon jetzt die Tage, an denen die unvermeidliche Oratoriumsseligkeit wieder ein Ende haben wird. Wer nach sinnstiftenden musikalischen Alternativen sucht, muss Bach nicht meiden, sondern kann auf eine seiner rund 200 erhaltenen Kantaten zurückgreifen. Gerade für die Jahresendzeit geben ihre vor Gottesfurcht strotzenden Titel auch dem eher agnostischen Zeitgenossen zu denken.
"O Ewigkeit, du Donnerwort": Zum Jahreswechsel hallt diese Bach-Sentenz besonders nach. In der Wiederkehr des Immergleichen, in der unvermeidlichen Folge von Abschluss und Neubeginn, von unwiderruflich letztem und neuerlich erstem Tag des Jahres, wird das metaphysische Konzept der Ewigkeit physisch erfahrbar. Und wenn dann, wie jetzt gerade, pünktlich zur Jahreswende ein ganzes Kapitel der Menschheitsgeschichte an seinen Endpunkt gelangt, ohne doch wirklich zu enden, werden wir zu Zeitzeugen ganz profaner, aber eben doch ewiger Verdammnis.
"O Ewigkeit, du Donnerwort": Zum Jahreswechsel hallt diese Bach-Sentenz besonders nach. In der Wiederkehr des Immergleichen, in der unvermeidlichen Folge von Abschluss und Neubeginn, von unwiderruflich letztem und neuerlich erstem Tag des Jahres, wird das metaphysische Konzept der Ewigkeit physisch erfahrbar. Und wenn dann, wie jetzt gerade, pünktlich zur Jahreswende ein ganzes Kapitel der Menschheitsgeschichte an seinen Endpunkt gelangt, ohne doch wirklich zu enden, werden wir zu Zeitzeugen ganz profaner, aber eben doch ewiger Verdammnis.
Lasten, die auf ewig angelegt sind
In diesen Tagen nämlich endet der deutsche Steinkohlebergbau, in Bottrop machen die letzten Kumpel Schicht im Schacht … und dann das Licht aus. Sollte man meinen. Doch es gibt Lichter, die niemals ausgehen – so auch in diesem Fall. Denn nicht nur die Nachwehen der Atomenergienutzung werden uns – oder genauer: noch dem letzten Menschen nach uns – nachhängen. Auch im dagegen eher harmlos anmutenden Steinkohlebergbau stecken Lasten, die auf ewig angelegt sind.
Das wiederum weiß man nun schon seit einer kleinen Ewigkeit, sodass schließlich im Jahr 2007 die privatrechtliche RAG-Stiftung gegründet wurde, um ab 2019 die sogenannten – Sisyphos lässt grüßen – "Ewigkeitsaufgaben" zu finanzieren. 100 Millionen Euro jährlich soll in Zukunft die riesige After-Work-Party an Ruhr und Saar kosten. Bei allfälligen Verzinsungsproblemen des Stiftungsvermögens haften die beiden deutschen Steinkohleländer und der Bund, sprich die Allgemeinheit.
Das wiederum weiß man nun schon seit einer kleinen Ewigkeit, sodass schließlich im Jahr 2007 die privatrechtliche RAG-Stiftung gegründet wurde, um ab 2019 die sogenannten – Sisyphos lässt grüßen – "Ewigkeitsaufgaben" zu finanzieren. 100 Millionen Euro jährlich soll in Zukunft die riesige After-Work-Party an Ruhr und Saar kosten. Bei allfälligen Verzinsungsproblemen des Stiftungsvermögens haften die beiden deutschen Steinkohleländer und der Bund, sprich die Allgemeinheit.
Ein Leben auf Pump
100 Millionen – so viel kostet pro Jahr zum Beispiel die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen, die in Brandenburg an der Havel die Riester-Renten der mittlerweile tendenziell ewig lebenden Deutschen verwaltet. Wie aber kommt es, dass der deutsche Kohlebergbau derartige Summen auch noch nach seinem vermeintlichen Ableben verschlingt?
Nun: Weil er zuvor so viel Erdreich verschlungen hat, dass große Teile des Ruhrgebiets abgesackt sind und mit über 1000 Pumpwerken vor der Überflutung bewahrt werden müssen. Zudem muss das Grubenwasser selbst beständig abgepumpt werden, damit das Grundwasser nicht verunreinigt wird, auch nach der Einstellung des Betriebs. Ein Leben auf Pump – und zwar auf ewig.
Emissionen werden die Menschheit über Jahrhunderte belasten
Doch damit nicht genug, die Bergbauschäden reichen weiter. Weil die Unterwelt des Ruhrgebiets teilweise einem Maulwurfsbau gleicht, dürften Grubenbeben die ehemalige Kohlregion noch für lange Zeit erschüttern. Beim Braunkohletagebau um die Ecke sieht es übrigens nicht besser aus: Auch hier fordern Umweltverbände schon seit Längerem einen Ewigkeitslasten-Fonds, denn nach dessen unausweichlich gewordener Einstellung wird auch dort permanentes Grundwassermanagement nötig sein, werden die Braunkohle-Kunstseen gesichert werden müssen, wird die Deponierung von Kraftwerkreststoffen anstehen. Und ob nun Braun- oder Steinkohle: Die Kohlendioxidemissionen aus deren jahrzehntelanger Verbrennung werden die Menschheit qua Klimaerhitzung über Jahrhunderte hinweg begleiten, bis zum bitteren Ende.
"Ewigkeit, du machst mir bange": Was für Bach galt, gilt heute mehr denn je. Denn unablässig werden Ewigkeitslasten produziert, ohne Ende werden die Kosten unserer Lebensweise externalisiert und in die Zukunft verlagert, auf dass andere die Sache ausbaden mögen. Wie heißt es doch in einer Kantate der Toten Hosen: "Ewig währt am längsten." In diesem Sinne: Uns allen ein abgrundtiefes "Glück auf"!
"Ewigkeit, du machst mir bange": Was für Bach galt, gilt heute mehr denn je. Denn unablässig werden Ewigkeitslasten produziert, ohne Ende werden die Kosten unserer Lebensweise externalisiert und in die Zukunft verlagert, auf dass andere die Sache ausbaden mögen. Wie heißt es doch in einer Kantate der Toten Hosen: "Ewig währt am längsten." In diesem Sinne: Uns allen ein abgrundtiefes "Glück auf"!