Folklegende Stephen Stills

"Wir wollen uns nicht mit dem modernen Pop-Mist messen"

Stephen Still fotogratiert bei einem Auftritt in England 2009 mit einem Handy
Stephen Stills, Gründungsmitglied von Crosby, Stills and Nash bei einem Auftritt am 27. Juni 2009 in England © picture alliance / dpa / epa / Jonathan Brady
Von Marcel Anders |
Gezeichnet von Woodstock und anderen Exzessen, hofft die 71-jährige Folklegende, Stephen Stills, auf den letzten großen Coup. Mit den Rides ist Stills derzeit auf US-Tournee und plant für den Herbst auch Konzerte in Europa. Sein Traum: vier Abende in Berlin.
"Du musst schon zu mir rüberkommen und mir direkt ins Ohr sprechen, weil ich völlig taub bin. Außerdem habe ich alle möglichen Arten von Arthritis, und der alte Schlaghammer-Daumen ist auch nicht mehr, was er mal war. Ich kann auch nicht mehr klar sprechen – es sei denn ich bin aufgewärmt oder stehe vor Publikum. Dann erzähle ich zwischen meinen Songs Witze und ganze Geschichten, die einen Anfang, ein Mittelteil und ein Ende haben. Was sehr befriedigend ist."

Das wilde Rockstarleben kostete ihn Millionen und seine Gesundheit

Stephen Stills ist 71, klein, beleibt, mit dicker Hornbrille, grauem Ziegenbart und einer halbseitigen Gesichtslähmung, die auf einen Schlaganfall hindeutet. Weshalb er beim Reden sein Kinn nachzieht, ganze Worte verschluckt und schwer verständlich ist. Die Spätfolgen seines wilden Rockstarlebens in den 60ern, 70ern und 80ern, bestehend aus Alkohol, Kokain und Crack, das ihn Millionen von Dollar und seine Gesundheit gekostet hat.
"Wir waren Tiere, die sich wie Diven aufgeführt haben und mit einer riesigen Entourage gereist sind. Dabei haben wir unglaubliche Summen verpulvert. Klar, die Stones konnten sich das leisten, weil sie viel verdient haben – aber wir haben trotzdem mitgehalten. Und ich habe ein paar blöde Sachen gemacht, bin damit aber nicht durchgekommen - während andere Leute geradezu kugelsicher scheinen."
Namen nennt er keine – ins Detail geht er auch nicht. Und er wird sogar ein bisschen sauer, wenn er auf die wohldokumentierten Ausschweifungen der 74er CSN&Y-Tournee angesprochen wird. Da betont er: Alles, was im Internet über ihn kursiere, sei erstunken und erlogen, und keiner kenne den wahren Stephen Stills, der zurückgezogen am Mulholland Drive in Los Angeles wohnt. Auf einer gigantischen Ranch, die schon bessere Tage gesehen hat. Die plüschig und verwohnt wirkt und wo er aktuell an etwas arbeitet, dem er sich lange verwehrt hat – seine Autobiographie.

"Lest gefälligst Keith Richards!"

"Ich hasse die Idee, meine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Das einzige, was die Verlage wollen, ist der ganze Dreck. Also wie abgefuckt ich war. Da kann ich nur sagen: 'Ihr könnt mich mal. Lest gefälligst Keith Richards!' Denn besser kann man solche Geschichten nicht erzählen. Die meisten Biografien sind so dröge wie Artikel im 'People Magazine'. Sprich, es ist Getippe. Und das ist etwas anderes als Literatur."
Wie viel er von sich preisgeben will, lässt Stills offen. Dass er einiges zu erzählen hätte, steht dagegen außer Frage. Schließlich war er Teil der New Yorker Folk-Szene, dann der Hippie-Bewegung in Los Angeles, hat Hendrix, Mama Cass, John Lennon und Janis Joplin gekannt, zahlreiche Solo-Alben veröffentlicht und auf Platten befreundeter Künstler mitgewirkt. Zudem war er mit dem französischen Superstar Veronique Sanson verheiratet, hatte Affären mit Joan Baez und Judy Collins und galt als Draufgänger. Jetzt, mit 71, ist er nachdenklicher.
"Ist es nicht seltsam, dass so viele aus einer Generation kurz hintereinander sterben? Also sieben begnadete Musiker – bang, bang, bang! Gerade bei Bowie frage ich mich, wie das passieren konnte. Hat er etwas unter den Teppich gekehrt – ist er nicht jedes Jahr zum Check-up gegangen? Ich meine, ich kannte Jungs, die nicht das Richtige getan haben, als bei ihnen Prostata-Krebs festgestellt wurde. Denn da muss man konsequent sein und etwas machen lassen. Es ist zwar nicht angenehm, aber besser als der Tod!"

Für den Herbst sind Konzerte in Europa geplant

Der Tod seiner Weggefährten ist Stephen Stills eine Warnung. Und sei es nur, niemals stehen zu bleiben oder sich bietende Chancen auszulassen. So hat er vor drei Jahren eine Blues-Band namens "The Rides" gestartet, bei der er von Gitarrist Kenny Wayne-Shepherd und Keyboarder Barry Goldberg unterstützt wird, und die nun – nach dem Ende von CSN - seine Hauptband ist. Mit ihr serviert er ein Album namens "Pierced Arrow", das altmodische, erdige Klänge mit Knödelgesang und jeder Menge Soli bietet. Ganz bewusst.
"Wir wollen uns nicht mit dem modernen Pop-Mist messen. Und es soll 'old school' sein. In dem Sinne, dass wir uns treffen, Sachen einüben und sie dann im Studio aufnehmen. Wenn etwas nicht funktioniert, gehen wir halt zum nächsten Song über – und probieren es noch einmal an einem anderen Tag."
Mit den Rides ist Stills seit Anfang Mai auf US-Tournee und plant für den Herbst auch Konzerte in Europa. Sein Traum: vier Abende in Berlin. Zum einen, weil er mehr von der Hauptstadt sehen möchte, die er für das neue kulturelle Zentrum des alten Kontinents hält. Zum anderen, weil er Geld braucht. Denn finanziell – daraus macht er kein Geheimnis – ist er nicht auf Rosen gebettet. Auch das ist eine Folge seiner Exzesse sowie teurer Scheidungen und der Ausbildung von sieben Kindern an Elite-Universitäten.
"Mein Plan ist, noch ein paar Mal den Jackpot zu knacken und mich dann zu verdrücken, um nur noch Dinge zu tun, auf die ich Lust habe - und ohne mir Gedanken zu machen, wie ich jedes Jahr den Betrag X einspiele. Denn ohne Einkommen hätte ich ein Problem. Aber ich ende nicht in einem Holiday Inn Express in Daytona Beach. Das wird nicht passieren."
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