"Kunst ist wie die große Pause in der Schule"
In Deutschland wird Devendra Banhart vor allem für seine entrückte Folkmusik geschätzt. Auf seinem neunten Album "Ape in Pink Marble"setzt er den reduzierten, manchmal rätselhaften Kurs der Vorgängerplatte "Mala" fort. Im Interview erklärt er die Magie von Lücken.
Carsten Rochow: Michael Gira, Sänger der Band The Swans und der Betreiber des Labels Young God Records, hat mal über Devendra Banhart gesagt, er sei der reinste, am wenigsten zynische oder berechnende Künstler, den er je getroffen hätte.
Bei uns wird Devendra Banhart vor allem für seine entrückte Folkmusik geschätzt. Auf "Ape in Pink Marble", dem inzwischen neunten Album, setzt er den reduzierten, manchmal rätselhaften Kurs der Vorgängerplatte "Mala" fort, treibt ihn sogar noch ein Stück weiter.
Devendra Banhart hat uns im Studio besucht und sitzt mir jetzt mit seiner Gitarre auf dem Schoß gegenüber – welcome!
Devendra Banhart: Hallo, hallo, hallo, mein Herr! Schön, hier zu sein! Sehr schöne neue Studios haben Sie! Dieses mexikanische Zitat hier gefällt mir besonders gut! – Ja, die Lampe! Sehr schön! Ich glaube, niemand kann Mexiko besser als die Deutschen.
Carsten Rochow: Ich habe über Sie gelesen, dass Sie so viele Einflüsse haben, dass Sie auch sehr viel Musik hören – wie schaffen Sie es dann eigentlich, selbst so reduzierte Musik zu machen, während der Ideentopf übersprudelt?
Devendra Banhart: Ich glaube, übergelaufen ist dieser Ideentopf noch nie.
Carsten Rochow: Aber wie kondensieren Sie all diese Einflüsse?
"Wenn ich ein Brett vor dem Kopf habe, höre ich Musik "
Devendra Banhart: Es gibt die Leute, die sich vollkommen von der Umwelt abschotten, wenn sie im kreativen Schaffensprozess sind, und das kann ich auch sehr gut nachvollziehen. Aber ich lasse mich gerne von Kunst inspirieren. Und wenn ich ein Brett vor dem Kopf habe, höre ich Musik oder gehe ich ins Museum.
Ich glaube eigentlich, dass die meisten Leute das so machen. Und es ist nicht so, dass ich dann diese Sachen nachahme, sondern mir hilft Kunst, wieder Platz in meinem Kopf zu bekommen. Kunst kann da eine ähnliche Funktion haben wie, na ja, die große Pause in der Schule.
Carsten Rochow: Ihre Kunst, Ihre Arbeit – wie würden Sie eigentlich einem freundlichen Fremden erklären, wie Ihre Musik klingt und wovon die Texte handeln auf "Ape in Pink Marble"?
Devendra Banhart: Einem freundlichen Fremden? Hm… so, als seien die Drei Tenöre stumm?
Carsten Rochow: Das ist eine schöne, prägnante, kurze Antwort. Sie sind ja nicht nur Musiker, sondern auch Bildender Künstler. Ihre Zeichnungen wurden in San Francisco sogar mal neben denen von Paul Klee ausgestellt. In welchem Verhältnis stehen bei Ihnen diese beiden Ausdrucksformen, Musik und Malerei, wie beeinflusst das eine das andere?
Devendra Banhart: Für mich existieren diese beiden Bereiche eigentlich eher getrennt voneinander, ich versuche auch, sie nicht zu vermischen. Ich arbeite eine Hälfte des Jahres an der Musik, mit dem Schreiben, aufnehmen und auf Tour, und die andere Hälfte male ich.
Aber, auch wenn ich das gewissermaßen als meine ernsthafte Arbeit betrachte, fühlt es sich doch nur an wie ein Spiel ohne Regeln. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn ich es mir aussuchen dürfte, würde ich den ganzen Tag lang Papayas fotografieren.
Carsten Rochow: In einem Interview zum Vorgängeralbum "Mala", auf dem es viel um die Komplexität der Liebe ging, haben Sie gesagt, die nächste Platte werde mehr vom Verliebtsein handeln und der Freude, die das mit sich bringt. Inwieweit konnten Sie das erfüllen?
Beim nächsten Mal House Music?
Devendra Banhart: Daran kann ich mich gar nicht erinnern (lacht), das klingt gar nicht nach mir. Wahrscheinlich habe ich "vielleicht" gesagt. Das neue Album ist gar nicht so ruhig, weich und sanft, wie ich es mir gewünscht hätte. Wir haben uns in die Richtung bewegt, aber das Album ist misslungen in der Hinsicht, dass es noch viel ruhiger hätte sein sollen. Und darum sage ich jetzt, dass mein nächstes Album sooo ruhig und sooo sanft werden soll.
Wenn ich also beim letzten Album gesagt habe, der Weg solle von dysfunktionaler zu funktionierender Liebe gehen, werden wir beim nächsten Album wohl bei House Music landen.
Carsten Rochow: Ich habe noch ein anderes interessantes Zitat von Ihnen gefunden, über das ich nachdenken musste. Es lautet: "Ich weiß nicht, ob ich die Musik mag, die ich mache. Aber ganz sicher liebe ich es, sie zu machen." Welches Gefühl haben Sie da in Bezug auf Ihre neue Platte, die ja schon seit Mai fertig ist?
Devendra Banhart: Das habe ich tatsächlich gesagt, und ich würde das Zitat gerne präzisieren: Ich weiß, dass ich die Musik nicht mag, die ich mache, aber ich liebe es, sie zu machen. (lacht)
Ich bin sicher nicht der einzige, dem es so geht: Irgendwann merkt man, dass man nie den einen Song schreiben wird, den man eigentlich schreiben möchte, dass alles nur ein Prozess ist und man nie das Ziel erreicht, auf das man zuzulaufen meint. Ich jedenfalls versuche dauernd, denselben Song zu schreiben, aber nicht einmal das gelingt mir.
Ich versuche eigentlich nur, wenigstens einen guten Song zu schreiben. Und ich scheitere immer wieder.
Carsten Rochow: Der Song "Linda" ist eines der auffälligsten Stücke. Nach ungefähr drei Minuten kommt er fast zum Stillstand, Sie schlagen nur einen Akkord an, lassen ihn wieder ausklingen, und dann, ein, zwei Augenblicke später, da schlagen Sie ihn wieder an und machen dann wieder eine Pause. Und als ich das gehört habe, da hat sich über die Akkorde das Geräusch von spielenden Kindern im Park gelegt, die ich durchs Fenster gehört habe. Und meine Aufmerksamkeit ist von Ihrer Musik und den Geräuschen im Park hin- und hergewandert. Das fand ich ganz interessant. Haben Sie das so beabsichtigt?
"Es gibt gar keine Stille"
Devendra Banhart: Ich glaube, als wir den Song zum ersten Mal aufgenommen haben und diese Lücken blieben, dachten wir, wir werden sie bestimmt füllen, mit einem Synthesizer, vielleicht mit entferntem Trompetenspiel oder etwas anderem. Aber am Ende hatten wir keine Lust, und ich dachte, warum müssen wir die Lücke füllen?
Ich habe auf dieser Platte das erste Mal überhaupt versucht, diesen Gedanken zu durchbrechen: Wenn man eine Lücke schafft, muss man sie auch füllen. Und das haben wir auf denkbar unelegante, primitive Weise gemacht.
Mein Freund, der Musikproduzent Hal Willner, hat mir mal erzählt, dass Lou Reed ihn gewarnt habe: Fülle nicht die Lücken! Und ich dachte: Das ist der beste Ratschlag der Welt! Und dann stellt sich heraus: Es gibt gar keine Stille, wie Sie es beschreiben, es gibt gar keine Lücke, man hört plötzlich die spielenden Kinder, man hört den Wind wehen.
Und es ist doch seltsam, wir können alle Körperöffnungen schließen, nur nicht die Ohren. Warum ist das wohl so?