"Follower"-App

Stalking als Kunst

Von Tabea Grzeszyk |
Die New Yorker Künstlerin und Programmiererin Lauren McCarthy hat eine App entwickelt, mit der man sich einen Tag lang von ihr beschatten lassen kann. Freiwillig! Autorin Tabea Grzeszyk hat das Experiment in Berlin nachgestellt - mit gemischten Gefühlen.
Ausschnitt aus "Follower"-Video, weibliche Stimme:
"Ich stehe auf, ich ziehe mich an, ich gehe aus, ich mache Sachen. (...) Ich möchte Dinge mit Leuten teilen, aber ich möchte nicht mit Leuten reden müssen und ihnen sagen, was ich mache. Ich denke es wäre großartig für sie, wenn sie SEHEN, was ich mache."
... so klingt es ziemlich unschuldig im Video der New Yorker Künstlerin und Programmiererin Lauren McCarthy. Ihre "Follower"-App vermittelt einen "echten Anhänger für einen Tag", der beobachtet, ohne einzugreifen. Per GPS-Signal weiß der Verfolger stets, wo sich die Person aufhält. Zum Schluss schickt er ein Foto, einen Schnappschuss als Erinnerungs- und Beweismittel zugleich. In die Rolle des Verfolgers schlüpft die Künstlerin selbst.

Die Idee ist nicht neu

Schon 1969 verfolgte der Performancekünstler Vito Acconci einen Monat lang willkürlich New Yorker Passanten bis zur Haustür. Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum waren en vogue, Acconci bezeichnete später das "Following Piece" als eine seiner persönlichsten Arbeiten überhaupt. Doch die vielleicht bekannteste Verfolgungsjagd der Kunstgeschichte stammt von der französischen Künstlerin Sophie Calle aus dem Jahr 1980:
"Ich habe angefangen, Leute zu verfolgen, und es hat mir Spaß gemacht. Ich begann, Fotos zu schießen, bis ich letztlich eines Tages einem Mann folgte, ihn wieder verlor, und ein paar Stunden später wiedersah. Ich dachte, das ist ein Zeichen, ich sollte ihn verfolgen. Und ich bin überall hingegangen, wohin er ging, und ich habe gelauscht und gehört, dass er nach Venedig reisen wollte. Also bin ich nach Venedig gegangen und habe den Mann verfolgt. Und sofort wurde ich beschuldigt, sein Privatleben zu verletzen. Ich habe das Werk Jahre später als Geständnis ausgestellt. Leute konnten meiner Beichte zuhören, dass ich jemanden verfolgt habe, und ich gestehe mein Eindringen."
... das erzählt Sophie Calle im Jahr 2011 bei einer Vorlesung am California College for the Arts. Für die Künstlerin war es eine "Suite Vénitienne", für den Mann die Verletzung seiner Privatsphäre. Was unterscheidet "Following" vom "Stalking"? Ich möchte es selbst herausfinden.

Die Bitte an einen Freund, sie zu beschatten

Weil es "Follower" bislang nur in New York gibt, bitte ich einen Freund, mich zu beschatten. Der Autor Florian Schwebel erklärt sich bereit. Ich habe einen Follower. Am Tag X machen sich kleine Veränderungen schon morgens bemerkbar.
"Normalerweise würde ich jetzt in der Küche frühstücken, aber da gibt's nur ein ganz kleines Fenster, das zum Hof rausgeht, da kann man mich nicht sehen. Also gehe ich mal raus, ich muss ja meinem Follower was bieten!"
Das Experiment macht tatsächlich Spaß, ich sehe meine Stadt mit neuen Augen. Doch als ich etliche Stunden später durch das Berliner Technikmuseum spaziere, kippt die Stimmung.
"So langsam vergeht mir die Lust, ich würde den Verfolger einfach gerne selbst sehen. Also nicht nur beobachtet werden, sondern auch zurückschauen. Es ist ein bisschen, wie in einer Mausefalle zu sein."
Die Beschattung ist vorbei, ich bin unglaublich erleichtert. Mein Verfolger und ich treffen uns in einem Café. Florian Schwebel bringt ein Beweisfoto mit, ein Schnappschuss aus dem Museum.
"Da bist du ja ganz schön nah dran. Also da hätte ich dich ja locker sehen können."
Florian Schwebel: "Ich habe das Handy nicht leise gekriegt, ich war der festen Überzeugung, du hättest das Fotogeräusch gehört."
"Es haben ja ganz viele Leute fotografiert, und bei jedem Foto dachte ich irgendwie – hm, ich habe mich umgeschaut, also dann wurde es auch so langsam unangenehm."
Florian Schwebel: "Ich denke, es geht in solchen Situationen darum, dass man zum Objekt wird. Und zwar ohne, dass man tatsächlich in Interaktion stehen würde, und auch ohne, dass eine wirkliche Bedrohung da wäre."
Irgendeine Form von Interaktion hat dennoch stattgefunden, das wird uns an einem seltsamen Detail klar.
"Wir haben die App nicht gehabt, du konntest also nicht nachvollziehen, jetzt ist sie in dem Raum dritter Stock links und jetzt geht sie in den Raum dritter Stock rechts."
Florian Schwebel: "Faktisch gefunden habe ich dich in dem Moment, in dem du mir eine SMS geschrieben hast mit einer kleinen Hilfestellung. (lacht) Und das halte ich für keinen Zufall."
Ausschnitt aus "Follower"-Video, weibliche Stimme: "Wer weiß, was jemand gerne sehen möchte, aber wenn ich mein bestes Selbst zum Vorschein bringe, vielleicht löst das etwas in dem anderen aus?"
Die Künstlerin Lauren McCarthy sagt, dass sie Menschen zum Nachdenken über zwischenmenschliche Beziehungen bringen möchte. Verfolgung hin, Stalking her – die Anregung zum Nachdenken ist ihr jedenfalls geglückt!
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