Hören Sie zum Thema auch die Beiträge von Paul Vorreiter und Peter Zudeick in "Studio 9 am Abend"
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"Dann müsste man auch Fleischsalat verbieten"
Dem Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) geht's um die Wurst. Er will Fleischnamen für vegetarische und vegane Produkte verbieten. Auf Twitter erntet er Häme - und auch die Foodbloggerin Aileen Kapitza fragt sich im Interview, was der Vorstoß soll.
Wo Wurst drauf steht, soll Fleisch drin sein - das fordert der Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). Bezeichnungen wie "vegane Currywurst" seien irreführend, sagte Ministeriumssprecher Jens Urban. Der Minister selbst hatte der "Bild"-Zeitung gesagt, durch solche Begriffe würden Verbraucher verunsichert. "Ich möchte nicht, dass wir bei diesen Pseudo-Fleischgerichten so tun, als ob es Fleisch wäre."
Geht es nach Schmidt, sollte der Bezeichnungsschutz, der zum Beispiel für Käse gilt, ausgeweitet werden auf Produkte, wie etwa "Schnitzel", "Boulette", oder "Hackfleisch". Außerdem forderte der Agrarminister, Fleisch gehöre auf den Speiseplan der Kitas und Schulen.
Spott und Häme via Twitter
Twitter-User reagieren belustigt auf Schmidts Forderungen. Sie listen allerlei pseudo-fragwürdige Bezeichnungen von Lebensmitteln auf - oder sollte eine Bärchenwurst wirklich Bärenfleisch enthalten?
Die Foodbloggerin Aileen Kapitza teilt auf ihrer Website vegetarische und vegane Rezepte. Sie verzichtet auf Fertigprodukte, also auch auf Veggie-Schnitzel und ähnliche Produkte. Trotzdem kritisiert sie den Vorstoß des Ministers.
Deutschlandradio Kultur: Was halten Sie von dem geforderten Verbot von Fleischnamen für vegane und vegetarische Ersatzprodukte?
Aileen Kapitza: Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Ich frage mich auch, wer sich tatsächlich davon gestört fühlt. Der Markt für sogenannte Ersatzprodukte ist riesig und wächst ganz sicher nicht, weil man versehentlich zu einem vegetarischen Schnitzel anstatt einem original Wiener Schnitzel greift.
Deutschlandradio Kultur: Wovon lenkt die Debatte ab?
Aileen Kapitza: Man sollte besser darüber nachdenken, Verbraucher nicht mehr durch "clean labelling" in die Irre zu führen.
Deutschlandradio Kultur: Was bedeutet das?
Aileen Kapitza: Dabei werden Fertigprodukte als gesund deklariert. Ich finde es auch seltsam, dass beispielsweise niemand die Bezeichnung Erdbeerjoghurt verbieten lässt, wenn dieser nur aus Aromen besteht - die im Übrigen aus Sägespänen gewonnen wurden. Auch an Schokopudding, der nur ein Prozent Kakao beinhaltet oder Kalbsleberwurst, die zu 50 Prozent aus Schwein besteht, stört sich niemand.
Bewusster Griff zu Alternativprodukten
Deutschlandradio Kultur: Und was ist mit der Gefahr, dass Verbraucher sich von Bezeichnungen wie "vegane Currywurst" oder "vegetarisches Schnitzel" in die Irre führen lassen könnten?
Aileen Kapitza: Wer zu Fleischalternativen auf Pflanzenproteinbasis greift, macht dies aus eigenem Interesse und damit bewusst. Die Produkte sind klar als vegetarisch oder vegan gekennzeichnet, meist auch in einer grünen, also "natürlich-gesund" anmutenden Verpackung. Hier liegt wohl eher das Problem - denn diese sogenannten Fleischersatzprodukte sind ein kleiner Chemiebaukasten aus Aromen und Geschmacksverstärkern und keinesfalls gesund. Fertigprodukte eben.
Deutschlandradio Kultur: Müsste der Minister - streng genommen - auch Leberkäse verbieten, weil kein Käse drin ist?
Aileen Kapitza: Wenn es darum geht, dann müsste er wohl vieles verbieten - Fleischsalat, Marzipankartoffeln und auch alkoholfreies Bier.
Deutschlandradio Kultur: Nutzen Sie denn überhaupt Veggie-Ersatzprodukte?
Aileen Kapitza: Ich bin selbst Vegetarierin und habe sehr bewusst wahrgenommen, wie die ersten Fleischersatzprodukte den Markt eroberten. Mittlerweile sind die Regale voll davon. Einige probierte ich aus Neugier und war erstaunt wie sehr sie in Textur und Geschmack dem Fleischoriginal ähneln. Vielleicht helfen sie dem ein oder anderem bei einer Ernährungsumstellung, grundsätzlich sollten sie aber eine Ausnahme auf dem Speiseplan bleiben.
Bewusstsein für Lebensmittel geht verloren
Deutschlandradio Kultur: Kommen Anbieter solcher Produkte auf Sie zu, um mit Ihnen zu kooperieren oder damit Sie für sie Werbung machen?
Aileen Kapitza: Ja, sehr oft. Mit meinem vegetarisch-veganen Foodblog spreche ich natürlich auf den ersten Blick die richtige Zielgruppe an. Ich stelle meinen Lesern jedoch nur Produkte vor, die mich selbst voll und ganz überzeugen - dazu gehören aber keine Fertigprodukte.
Deutschlandradio Kultur: Warum wollen Vegetarier überhaupt etwas essen, das so wie Fleisch schmeckt?
Aileen Kapitza: Nicht alle Vegetarier oder Veganer verzichten auf Fleisch, weil es ihnen nicht schmeckt, sondern aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen. Wenn es eine pflanzliche Alternative gibt, die geschmacklich an das Original heran kommt - warum nicht probieren? Dennoch handelt es sich hier meiner Meinung nach um ein Luxusproblem.
Deutschlandradio Kultur: Agrarminister Schmidt warnt auch davor, auf Fleisch in Kitas und Schulen auf Fleisch zu verzichten. Hat er nicht in einer Hinsicht auch Recht - ist es intolerant, Menschen die Möglichkeit zu nehmen, zum Mittag auch mal Fleisch zu essen?
Aileen Kapitza: Es ist viel wichtiger, den Jüngsten nahe zu bringen, woher unsere Nahrungsmittel kommen und ihnen zu zeigen, was in vielen Produkten wirklich steckt. Durch die ständige Verfügbarkeit und die Fülle an Nahrungsmitteln geht das Bewusstsein und die Wertschätzung für das, was täglich auf unserem Teller landet, leider völlig verloren.
Deutschlandradio Kultur: Was gibt es bei Ihnen an Silvester zu essen?
Aileen Kapitza: Ich wurde an Weihnachten leider vom Norovirus heimgesucht und verbrachte die Feiertage bei Kamillentee und Zwieback. Das Weihnachtsmenü wird also an Silvester nachgeholt: Klöße, Rotkraut und Nussbraten. Ich freu mich schon!
Das Interview führte Maurice Wojach.
Der Foodblog "Minzgrün"