Die Ausstellung "For for the Eyes" ist noch bis zum 7. September 2019 im C/O Berlin zu sehen.
Von Hunger, Gier und Überdruss
Nicht erst seitdem es das Internet und die Sozialen Medien gibt, tauschen sich Menschen über das, was sie essen, aus. Dass die Lebensmittelfotografie keine Erfindung der Gegenwart ist, zeigt nun eine Ausstellung in der Berliner C/O Galerie.
"Es wird auch ekelig", warnt Hauptkurator Felix Hoffmann, und das schon gleich zu Beginn der Ausstellung "Food for the Eyes" in der Galerie C/O Berlin. "Das Irre ist, dass die Ausstellung anfängt mit Bildern, die kurz nach der Fotografie angefangen haben, das ist alles so um 1850, also die Fotografie ist gerade zehn, fünfzehn Jahre alt."
Die fotografierten Körbe mit Obst wirken wie exakte Schwarz-Weiß-Kopien gemalter Stillleben, und wie bei den gemalten Vorlagen gilt für die Fotografien: "Das Stillleben hat immer was Metaphorisches."
Bilder des Verfalls
Es geht um Vergänglichkeit. In der Malerei wurde die etwa durch die Stubenfliege auf dem prallen Apfel symbolisiert. Die konnten die frühen Fotografen nicht auf ihre Platten bannen, aber dafür den Verfall selbst: Die welken Blätter, das fleckige Obst.
Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung: In dem Riesenabzug einer aktuellen Arbeit von Keirnan Monaghan scheint das Erdbeereis aus der Verkaufstheke dem Betrachter direkt auf die Schuhe zu tropfen.
"Was soll das Bild?", fragt Felix Hoffmann. "Ist es 'ne Werbung? Ist es 'ne Anti-Werbung? Ist es 'ne Reaktion auf die Gesellschaft? Oder zeigt's 'ne Reflexion auf die Instagram–Gesellschaft?"
Sehnsuchtsbilder aus der Nachkriegswelt
Das Auge isst mit und die Kameralinse erzählt vom Überdruss, der Gier oder dem Hunger der Esser. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden auch die Bilder vom Essen bunt. Die Kochbücher der 50er-Jahre präsentieren Käse-Igel, Hawaii-Toasts und Schweinebraten, "die so farbig sind, dass man das Zeug gar nicht essen will. Ist das Plastik oder Haarspray? Was ist das eigentlich?", fragt Hoffmann.
Vor allem sind es Sehnsuchtsbilder aus der kargen grauen Nachkriegswelt. "Ich bin, was ich esse." Das Ausstellungskapitel "Around the table" rückt die Tischgesellschaft ins Bild: Der Fotograf Peter Wenzel hat Familien in der ganzen Welt fotografiert - zusammen mit ihren Lebensmitteln für eine Woche.
Die Mendozas aus Guatemala hocken hinter Körben mit Gemüse, die amerikanische Kleinfamilie sitzt vor Riesenpackungen mit Cornflakes. Alle Menschen müssen essen, aber was wir essen, verweist auf Ungleichheit.
Vom Essen als Statussymbol erzählen vergilbte Fotos, wie sie in jedem Familienalbum zu finden sind: Das stolze Brautpaar vor der Hochzeitstorte, die Familie sitzt an Weihnachten zu Tisch, die Kollegenschar auf der Betriebsfeier mit erhobenen Gläsern.
Zwischen heiler Welt und Überflussgesellschaft
Die Ausstellung zeigt beides: Den gedeckten Tisch als Bild einer heilen Welt und das verwüstete Hotelbuffet als Symbol der Überflussgesellschaft. In Martin Parrs Großfotografie "Hot Dog Stand" stellt sich der Ekel nicht durch die wie besessen mit Ketchup-Flaschen und Würsten hantierenden Kundinnen ein.
Die Fotografien der Ausstellung zeigen die selbstvergessene Gier beim Essen, genauso wie sinnlich in Szene gesetzten Lebensmittelprodukte, neben dem welken Gemüse und dem fauligen Obst. Die Ausstellung "Food for the Eyes" ist nicht für Besucher mit empfindlichen Mägen geeignet, aber für solche, die über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Guten Appetit!