Foodwatch: Verbraucherministerium "demokratische Missgeburt"

Aigner sei die "Industrieministerin" der Lebensmittelbranche, sagt der Chef der Organisation foodwatch, Thilo Bode. Er fordert, den Bereich Verbraucherschutz vom Landwirtschaftsministerium abzukoppeln.
Deutschlandradio Kultur: Herr Bode, haben Sie eigentlich noch Spaß am Essen, oder ist Ihnen der Appetit inzwischen schon vergangen?

Thilo Bode: Ich habe noch großen Spaß am Essen, weil ich glaube, es ist ein Unterschied, ob man sich mit Verbraucherrechten und Kennzeichnung befasst oder Spaß dran hat, gute, frische Lebensmittel auszuwählen und vor allen Dingen auch selber zu kochen.

Deutschlandradio Kultur: Und wie ernähren Sie sich, stets gesundheitsbewusst oder auch mal Fastfood?

Thilo Bode: Ich glaube, man kann alles essen, nur nicht im Übermaß. Der Gänsebraten, wenn man den nicht jeden Tag isst, ist eine Delikatesse, finde ich. Genauso geht’s mit anderen fetten und süßen Sachen. Die Frage der richtigen Ernährungsweise ist immer die Frage der Balance und der ausgeglichenen Ernährung. Das heißt überhaupt nicht, dass man auf Genuss verzichten muss.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie und wo kauft denn so ein Foodwatcher wie Sie jetzt ein?

Thilo Bode: Alles, überall. Ich gehe natürlich genauso in den Supermarkt. Ich gehe auch zu Aldi. Ich gehe zu Edeka, Kaisers und gehe auch ins Biogeschäft und kaufe dort ein, wo gerade meine Präferenzen sind oder wozu ich Lust habe. Wenn ich sehr gutes Fleisch kaufen will, dann gehe ich in den Biomarkt, weil ich da den Metzger kenne.

Deutschlandradio Kultur: Wir sind noch bei den Bekenntnissen. Herr Bode, wie finden Sie es eigentlich, wenn Kritiker Sie als "Nervensäge" oder als "Querulant mit Hand zum Skandalisieren" bezeichnen? Ehrt Sie das oder ärgert Sie das?

Thilo Bode: Mich lässt das relativ kalt, weil ich finde, wir greifen Skandale auf, weil aus unserer Sicht besteht ein permanenter Skandal. Und ich glaube, man kann gar nicht genug Querulant sein angesichts der Situation, was die Ernährung und das Angebot von Lebensmitteln anbelangt. Da bin ich gerne Querulant. Das lässt mich kalt.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben sich ja in den 90er Jahren einen Namen gemacht, als Sie Chef von Greenpeace waren, erst in Deutschland und dann ja auch von Greenpeace International. Dann sind Sie umgestiegen, haben Ihre eigene Organisation gegründet, nämlich Foodwatch, der Sie jetzt seit acht Jahren vorstehen. Was ist eigentlich aufregender, wenn Sie jetzt zurückblicken, für die Umwelt zu streiten oder gegen die großen Lebensmittelkonzerne anzugehen?

Thilo Bode: Bei Greenpeace war das aufregend. Da kam man ja in eine Organisation rein, die eine Tradition hat, unglaublich bekannt war und die sich mit den ganz großen Problemen der Naturzerstörung befasst hat. Das Wissen und das Fachwissen und der Mut meiner damaligen Kolleginnen und Kollegen hat mich sehr beeindruckt, aber im Grunde habe ich mich da in eine Organisation begeben, die mich eigentlich vielleicht nicht so gebraucht hat. Da habe ich dann schon meinen Beitrag leisten können, aber die Ideen hatten andere. Und es waren tolle Leute und sind auch tolle Leute da. Als ich nach zwölf Jahren dann gesagt haben, nee, jetzt muss ich mal was anderes machen, da wollte ich was selber ausprobieren, mal gucken, ob eine Idee sich vielleicht verwirklichen lässt.

Und bei Foodwatch macht mir natürlich Spaß, ein Thema aufgegriffen zu haben, was vor acht oder zehn Jahren noch kein Thema war, und dafür verantwortlich sein, selber die Kampagnen auch von Anfang an zu planen.

Deutschlandradio Kultur: Aber inwiefern haben Sie davon profitiert, von Ihrer Zeit bei Greenpeace, jetzt für ihre Arbeit bei Foodwatch. Gelernter Campaigner?

Thilo Bode: Gut, Campaigner kann man eigentlich nicht lernen, weil, gute Kampagne machen, ist eine Kunst, weil, sonst könnte man ja eine Campaigner-Universität gründen und jeder würde dann gute Campaigner einstellen können. Die gibt’s aber nur sehr selten. Ich bin kein Campaigner. Ich glaube, ich bin ein einigermaßen passabler Stratege. Und zu den Kampagnen gehört eben auch strategisches Denken. – Wo ist der Gegner? Wo ist mein Verbündeter? Wie muss ich kommunizieren? Wo eröffne ich einen Konflikt? Wie kann ich die politische Lösung am besten durchsetzen?

Das macht unglaublich Spaß, weil es wie so ein – wir sagten immer – politisches Judo ist. Und meistens profitiert man ja in der Kampagne von Fehlern der Großen. Die Kunst ist eben, die dazu zu bringen, Fehler zu machen. Weil, Sie haben keine Polizei, Sie haben keine Armee. Sie haben im Grunde nur das Wohlwollen der Medien, wenn es Ihnen denn zufliegt. Und Sie haben kein Geld – vergleichsweise.

Deutschlandradio Kultur: Dann reden wir mal über Ihre eigentliche Arbeit. Jetzt ist sozusagen die Vorspeise vom Tisch, jetzt fangen wir an mit dem Hauptmenü. Eine Zeitschrift, Herr Bode, hat mal geschrieben: "Wer Bode länger zuhört, dem vergeht der Appetit." Wir wollen es trotzdem versuchen, auch wenn diese Sendung in der Mittagszeit ausgestrahlt wird.

Sie sagen von sich, Sie "interessiert das Politische am Thema Essen". Was genau ist damit gemeint?

Thilo Bode: Beim Thema Essen geht’s ja nicht nur darum, dass man satt wird oder nicht hungrig bleibt oder ins Restaurant geht, sondern darum: Habe ich das Recht überhaupt, mich vor Gefahren zu schützen? Habe ich die Möglichkeit zu erfahren, wo kommen die Lebensmittel her? Wie werden sie hergestellt? Das ist ja sehr wichtig, weil die Ökologie ist berührt, die sozialen Verhältnisse, der Rohstoffabbau. Und habe ich die Möglichkeiten zum Beispiel, dass alle Leute genug zum Essen haben? Und beeinflusst unser Ernährungssystem vielleicht den Hunger in der Dritten Welt? Das sind alles eminent politische Fragen. Und dann die Frage: Wenn ich das ändern will, lässt die Demokratie das zu? Oder habe ich da Schwierigkeiten?

Das heißt also, Sie können ein eminent politisches Thema aufgreifen von einer Tätigkeit, die jeder machen muss und ohne die keiner auskommt, nämlich Essen. Das hat einen ganz großen Vorteil taktisch, strategisch im Vergleich etwa zur Umweltpolitik.

Deutschlandradio Kultur: Jeder kann mitreden.

Thilo Bode: Jeder kann mitreden wie beim Fußball. Und jeder kann seinen Senf dazugeben, im wahrsten Sinne des Wortes.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist doch interessant, uns ist es in der Vorbereitung auch schon aufgefallen, dass wir alle gerne übers Essen reden. Wir essen auch gerne. Wir bereiten uns beim Kauf anderer Produkte sehr genau darauf vor und gucken vorher, was irgendwo getestet worden ist. Beim Essen machen wir das in der Regel nicht. Woran liegt das?

Thilo Bode: Das liegt, glaube ich an zwei Sachen. Einmal liegt's daran, ich glaube, das kommt noch aus der Vergangenheit, früher, wo das Essen relativ übersichtlich produziert war, wo eine Pizza nicht aus 55 Einzelteilen aus 14 Kontinenten bestanden hat, sondern man wusste, das Fleisch kommt vom anderen Ort und das Gemüse kommt von nebenan, und die Auswahl und die Vielfalt der Gerichte war bedeutend geringer. Da war eigentlich nur die Frage: Isst man zu viel oder zu wenig und hat man einen guten Geschmack.

Das ist heute anders geworden. Und ich stelle immer wieder fest, dass Leute, die wir ansprechen, sagen, das kann doch gar nicht wahr sein. Wir dachten, der Staat sorgt dafür, dass alles in Ordnung ist – also, dieses grenzenlose Vertrauen in die Autoritäten. Und da setzt genau unsere Aufgabe an, den Leuten zu zeigen, nein, ihr habt keine Rechte, es ist nicht in Ordnung. Ihr werdet täglich belogen. Und zum Teil setzt man euch unnötig potenziellen Gesundheitsgefährdungen aus. Also, genau, was Sie sagen, ist unser Thema, das wir publik machen wollen.

Deutschlandradio Kultur: Und, auf den Punkt gebracht, Herr Bode, wie steht es denn um unsere Ernährung hierzulande?

Thilo Bode: Wir werden getäuscht. Wir kriegen das nicht, was wir erwarten zu bekommen. Wir verstehen nicht, was auf den Packungen draufsteht. Es gibt verdeckte Gesundheitsrisiken, die nicht unerheblich sind, wo wir nicht ausreichend geschützt sind. Und wir tragen mit unserer Ernährungsweise dazu bei, dass Leuten in anderen Ländern geschadet wird. Dazu kommt noch ein ganz eminent neues Problem. Es gibt drei Millionen Kinder, die täglich ohne Frühstück in die Schule kommen. Wir haben das erste Mal in Deutschland seit einigen Jahren Zustände wie in der Dritten Welt. Wir haben Hunger aufgrund von Geldmangel und nicht, weil's die Leute versaufen oder sich einen Buntfernseher dafür kaufen. Fragen Sie die sozialen Organisationen – ein Riesenproblem. Leider können wir nicht alle Themen bearbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Ich will jetzt keine Hartz-IV-Debatte vom Zaun brechen, aber ist es wirklich Hunger aufgrund von mangelndem Geld? Ist es nicht oft Hunger bei den Kindern, die Sie ansprechen, aufgrund mangelnder Sorgfaltspflege seitens der Eltern oder des Erziehungsteils, dass die ihre Kinder einfach losschicken und auch durchaus die Möglichkeit hätten, denen was anzubieten an Nahrungsmitteln, etwa vom Discounter?

Thilo Bode: Das gibt’s natürlich auch, aber es gibt dazu auch eben sehr seriöse wissenschaftliche Untersuchungen, zum Beispiel vom IKE, vom Institut für Kinderernährung in Dortmund, die gerade festgestellt haben, dass Hartz-IV-Kinder in gewissen Altersgruppen effektiv zu wenig ausreichend gute Ernährung haben aufgrund von Geldmangel. Das heißt, selbst wenn sie mit dem Geld, was sie haben, bei den billigsten Einkaufsquellen einkaufen würden, könnten sie sich nicht ausreichend ernähren. Und das finde ich ein Alarmzeichen.

Deutschlandradio Kultur: Das ist mir noch nicht so eingängig, warum es da noch nicht so ein Engagement gibt wie in anderen sozialen Bereichen.

Thilo Bode: Es ist nicht so, dass die Verbraucher nicht besorgt sind. Viele kaufen teure Lebensmittel und denken, sie kriegen dafür bessere Qualität. Beim Lebensmittel heißt "billig" nicht "schlecht" und "teuer" nicht "gut". Sie können gerade von den Markenprodukten so viel Schrott kaufen. Wenn Sie da lieber eine Eigenmarke aus dem Discounter kaufen, fahren Sie viel besser, weil sie Geld haben für andere gute Produkte.

Und es gibt Verbraucher, denen ist alles Wurscht. Aber die neueste, im wahrsten Sinne des Wortes, die neueste Umfrage vor 14 Tagen vom Fresenius-Institut sagt immerhin, dass über die Hälfte der Verbraucher sich belogen fühlen. Und ich finde, das ist ein Alarmzeichen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich das recht in Erinnerung habe, haben sie nicht nur gesagt, sie fühlen sich belogen, von den Lebensmittelproduzenten hinters Licht geführt, sondern sie fühlen sich auch von der Politik nicht vertreten. Ich nenne jetzt mal zwei, drei anschauliche Beispiele von der Homepage von Foodwatch, Sie nennen das dann, "Verbrauchertäuschungen". Da geht es etwa um Brotaufstriche, die angeblich das Cholesterin senken. Es geht um Milchprodukte, die vermeintlich die Verdauung fördern, oder die zahlreichen Vitaminzusätze, die völlig überflüssig sind, weil der Körper sie wieder ausscheidet.

Warum, meinen Sie, hilft die Politik an der Stelle nicht so, wie sie es vielleicht in anderen Bereichen im Verbraucherschutz tut?

Thilo Bode: Die Antwort klingt jetzt super einfach.

Deutschlandradio Kultur: Lobby?

Thilo Bode: Nee, ein bisschen mehr. Lobby ist eben zu einfach. Lobby ist keine Aktivität mehr, sondern ein System. Und gerade, das darf man nicht vergessen, das ist nicht, weil da jetzt tausend oder zehntausend Lobbyisten sitzen, die mehr zu sagen haben und mehr Geld als die Verbraucherverbände, sondern bei den besonders globalisierten Industrien, und das haben wir im Lebensmittelbereich absolut genau wie im Finanzbereich, hat sich aus einem Staatsverständnis heraus, was auch der Globalisierung geschuldet ist, eine Auffassung herausgebildet, die so heißt: Der Staat muss grundsätzlich der Industrie als Dienstleister im globalen Wettbewerb dienen. So war das ganz eindeutig in der Finanzindustrie. Man wollte auf gleicher Augenhöhe mit London und New York sein, hat dafür alles in Kauf genommen.

Und wenn ich heute mit den verantwortlichen Politikern spreche oder diskutiere, dann wird mir nicht deutlich, aber doch mehr oder weniger suggeriert: Alles können wir machen, aber bitte doch keine Gesetze gegen die Lebensmittelindustrie. – Das ist sehr, sehr stark verflochten. Und das geht dann los in den verschiedenen Bereichen, im Parlament bei der Exekutive, in der Lebensmittelkontrolle. Und der Einfluss, auch das Fachwissen der Industrie ist übermächtig. Und es gilt nach wie vor, dass der Verbraucher überhaupt nicht zählt.

Also, wir haben ein Verbraucherministerium, was ja im Grunde ein Klientelministerium ist. Es vertritt ja die Interessen der Landwirtschaft. Da sitzen ein paar Hanseln drin, die Verbraucherpolitik machen, aber es ist eine demokratische Missgeburt, dass eine wirtschaftliche Branche einen Platz am Kabinettstisch hat. Das ist ja schon in gewissem Sinne verfassungswidrig. Und damit setzen wir uns auseinander.

Deutschlandradio Kultur: Zugespitzt: Frau Aigner, die Ministerin, ist im Grunde genommen der verlängerte Arm der Lebensmittelindustrie am Kabinettstisch?

Thilo Bode: Ja. Sie ist die Industrieministerin.

Deutschlandradio Kultur: Würden Sie den Verbraucherschutz lieber woanders angesiedelt sehen?

Thilo Bode: Ich bin natürlich nicht dazu da, bestimmte Ressortaufteilungen Frau Merkel vorzuschreiben, aber natürlich, wenn schon, denn schon, dann ein unabhängiges Verbraucherministerium, was nicht verquickt wird mit Wirtschaftsinteressen. Frau Aigner versteigert sich ja zu dieser abenteuerlichen Bemerkung: "Die Interessen von Landwirten und Verbraucher sind identisch." Ich meine, das ist hausgemachter Blödsinn. Die Verbraucher wollen die beste Ware zum billigsten Preis. Und die Bauern wollen möglichst teuer verkaufen und so, dass der Verbraucher nicht an die Qualität die allerhöchsten Ansprüche stellt. So ist nun mal die Wirtschaftswelt. Und das ist auch ganz natürlich.

Aber beide konträren Interessen, die sich auseinandersetzen müssen, dadurch, dass man sie in einem Hause hat, das zu behaupten, die sind ja konform, das ist die allerhöchste Form der Verbrauchertäuschung.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bode, das ist ja jetzt alles nicht sehr erfreulich, was Sie uns da erzählen. Viele ernährungsbewusste Verbraucher setzen auf Biolebensmittel. Ist denn Bio generell besser oder nur teurer?

Thilo Bode: Ich wollte noch was zur Erfreulichkeit sagen. Natürlich ist es nicht erfreulich und natürlich sind wir jedes Mal neu und ich persönlich geschockt, weil ich habe schon einige politische Erfahrungen, aber seitdem ich in Berlin bin, weg von Amsterdam, und die Nähe zur Politik habe, bin ich echt wirklich erstaunt, mit welchem Zynismus Wirtschaftsinteressen verfolgt werden, muss ich Ihnen ganz deutlich sagen.

Deutschlandradio Kultur: Parteiübergreifend?

Thilo Bode: Ja. Ich meine, es gibt überall Klientel, aber vor allen Dingen auch in der Regierung. Die jeweilige Regierungspartei ist eben der Dienstleister der Industrie. In der Opposition kann man immer mal dagegen reden, aber wenn an der Regierung ist, sieht es schon anders aus.

Das war jetzt noch mal die Frage zur Erfreulichkeit. Aber, was ich damit sagen will: Es ist die Basis für Veränderungen. Nur wenn wir eine realistische Analyse haben, deswegen schockiert mich das gar nicht so, gibt es die Chance, dass die Verbraucherpolitik nicht als Kuschelpolitik wahrgenommen wird, sondern als Frage der Demokratie. Weil, hier werden ja Bürgerrechte verletzt, das Recht auf Information, das Recht auf Wahlfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und deswegen finde ich das Thema Foodwatch so interessant.

Deutschlandradio Kultur: Klar. Wollen wir noch mal die Biofrage nachschieben, die war jetzt nämlich noch nicht beantwortet. Ist Bio sozusagen die Flucht in Lebensmittel, die dann doch in Ordnung sind?

Thilo Bode: Bio bezieht sich auf die Herstellungsweise von Produkten. Aber das ganz aktuelle Beispiel: Unter Schutzatmosphäre verpacktes Fleisch hat verminderte Qualität und täuscht den Verbraucher, weil es rot und frisch erscheint, aber nicht ist. Das haben Sie natürlich auch bei Biofleisch. Ob das Biofleisch jetzt so verpackt ist oder das konventionelle Fleisch, Sie haben dieselben Gesundheitsrisiken und dieselbe Täuschung. Deswegen, Sie haben auch Getränke, Bio-Apfel-, Birne von Carlsberg, wo überhaupt, dieses Getränk hat nie in seinem Leben einen Apfel gesehen, noch eine Birne. Da sind Aromen drin und die sind möglicherweise aus Abfall hergestellt. Das alles erlaubt die Bioverordnung. Deswegen muss man sich klar darüber sein: Bio bezieht sich auf die Herstellungsweise, ist eine wichtige Errungenschaft der Landwirtschaft, aber die Biokennzeichnung, das muss wirklich verbessert werden, weil die Leute, wenn sie Bio kaufen, haben ja bestimmte Vorstellungen.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt von Ihnen das Zitat und das passt, wie ich finde, auch sehr gut zu dem, was Sie bisher gesagt haben. Das Zitat Bode, "in der Lebensmittelindustrie ist der Skandal der Normalfall", das schafft natürlich Aufmerksamkeit, kostet aber vielleicht auch ein wenig Glaubwürdigkeit. Denn Ihre Kritiker, bis zu den Grünen, sagen: Der Bode, der übertreibt. Gehen Sie bewusst dieses Risiko ein oder übertreiben Sie gar nicht?

Thilo Bode: Ich glaube, wir übertreiben nicht. Also, wenn Sie jetzt mal diesen Fall nehmen, gasverpacktes Fleisch, was jetzt auf dem Tisch ist, da schreien natürlich alle möglichen Leute, "Skandalmacherei und Panikmacherei". Aber letzten Endes haben wir nur das abgeschrieben, was die wissenschaftlichen Institute uns bestätigt haben. Und natürlich vermitteln wir das auch emotional, damit es auch ankommt. Natürlich sprechen wir die Leute an. Aber ich glaube, das ist sogar unsere Pflicht und unsere Aufgabe.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja jetzt gerade schon vom gasverpackten Fleisch noch mal gesprochen. Ich will das jetzt nur noch mal erläutern, damit auch unsere Hörer das verstehen, nicht jeder hat diese Nachricht diese Woche vielleicht mitgekriegt - Foodwatch hat es ja in dieser Woche in die Hauptausgabe auch von "heute" geschafft im ZDF. Und da ging es ja darum, dass das abgepackte Fleisch mit Sauerstoff und bestimmten Gasen behandelt wird, damit das Produkt dann länger frisch aussieht, ohne tatsächlich auch noch so frisch zu sein.

Die Reaktion des Bundesverbraucherschutzministeriums war dann, dass kosmetisches Aufpeppen von Fleisch rechtlich zulässig und nicht gesundheitsschädlich sei. Täuscht die Ministerin Aigner da die Öffentlichkeit und geht fahrlässig mit der Gesundheit der Verbraucher um?

Thilo Bode: Zum Teil ja, eben, weil sie sich als Dienstleisterin der Industrie versteht. In dem Fall war's besonders interessant. Bei unserer ersten Veröffentlichung hat das Bundesministerium für Verbraucherschutz erst mal gesagt, "es gibt keine Probleme, alles ist legal". Das sagt übrigens die Industrie auch. Immer, wenn wir die Industrie kritisieren wegen Verbrauchertäuschung, Mogelpackung, sagen die: Ist alles legal. Sage ich, ja, mag sein, muss aber nicht richtig sein. Man kann die Gesetze auch ändern. Früher war es ganz legal, Chlorabfälle in die Flüsse einzuleiten und es ist heute verboten aufgrund der Umweltbewegung. Und ich hoffe, dass das bei vielen Problemen im Nahrungsmittelbereich auch der Fall sein wird.

Dann haben wir nachgelegt in der zweiten Stufe, das war natürlich ein bisschen taktisch auch geschickt, und zwar das Ministerium konfrontiert mit den Aussagen des bundeseigenen Instituts, Max Rubner-Institut. Und dann hat Frau Aigner plötzlich zugegeben, dass es ein Problem gibt. Und dann hat sie einen Runden Tisch angekündigt. Wir brauchen keine Runden Tische, wir brauchen Maßnahmen. Abgesehen davon: Erst auf Drängen und aufgrund von medialem Druck zu sagen, es gibt ein Problem, wir müssen uns um die Verbraucher kümmern, ist an sich schon ein Skandal. Die muss doch sagen, "danke Foodwatch, dass ihr das Problem aufgegriffen habt. Natürlich, ich kümmere mich sofort um die Verbraucher, denn ich bin ja die Verbraucherministerin". – Denkste.

Deutschlandradio Kultur: Ich fand noch einen anderen Aspekt ganz interessant an der ganzen Geschichte. Sie haben das eben in einem Nebensatz schon angedeutet, dass Sie etwas aufgegriffen haben, was bekannt ist. Wenn man sich das dann anguckt auf der Homepage von Foodwatch, das ist ja alles schön dokumentiert - die Untersuchungsergebnisse, da sind viele Proben im Februar genommen worden. Das heißt, Sie haben – das gehört wohl auch dann zum Campaigning – jetzt einen alten Hut noch mal aufgegriffen und neu in den Ring geworfen, weil Sie ja auch immer wieder, zum Beispiel in der Rubrik "Abgespeist", etwas aufpieksen und dann sagen, "so Leute, da müsst ihr euch mal jetzt drum kümmern. Wir von Foodwatch haben da was entdeckt".

Thilo Bode: Da muss ich mal widersprechen, es tut mir leid. Bei dem mit Gasen verpackten Fleisch, das ist kein alter Hut. Also, wir haben vor ungefähr acht, neun Monaten Hinweise bekommen, auch übrigens oft aus behördeninternen Quellen.

Deutschlandradio Kultur: Ein nicht mehr ganz neuer Hut, also ein paar Monate alt.

Thilo Bode: Es gibt Verdacht, aber wir mussten es erst mal testen. Und dann haben wir die Sachen getestet, umfangreich getestet, über 100 Tests. Und dann haben wir uns natürlich versichern müssen der wissenschaftlichen Rückendeckung. Und da haben wir gedacht, nehmen wir am besten ein Institut, was der Bundesregierung gehört. Und erst dann waren wir sicher, dass wir nicht falsch liegen. Also, die Vorbereitung war enorm. Und jetzt wird es zum politischen Thema. Und ich kann Ihnen sagen, das werden wir gewinnen. Das werden wir gewinnen!

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sagen, "das werden wir gewinnen", gab es auch schon andere Fälle, wo auf Ihre Initiative hin Produkte, sagen wir mal, nachgebessert worden sind oder sogar vom Markt genommen worden sind?

Thilo Bode: Ja, da gibt’s also viele Beispiele. Das sind natürlich dann Einzelfälle. Es gibt diesen berühmten "Frucht-Tiger, der gesunde Durstlöscher" von Eckes Granini. Die hatten ein unmögliches Getränk mit Zitronensäure und Aromen etc. Die haben das völlig geändert, die Rezepturen völlig geändert, dass wir sagen, absolut okay. Andere haben auf Unterlassungsklagen reagiert, wie McDonalds und andere große Firmen. Dioxinverseuchte Fischleber wurde vom Markt genommen und so. Wir haben viele kleine Erfolge und auch größere, die sich anbahnen. Das ist schön, aber im Grunde brauchen wir natürlich schon grundlegende Änderungen, wie zum Beispiel ein richtig gutes Recht der Verbraucher auf Information.

Deutschlandradio Kultur: Und umgekehrt, haben Sie sich schon mal eine blutige Nase geholt? Gab's mal eine Unterlassungsklage? Wir haben nichts gefunden, aber vielleicht wissen Sie ja da anderes zu berichten.

Thilo Bode: Gott sei Dank noch nicht. Ich muss Ihnen sagen, Gott sei Dank noch nicht, weil, die Glaubwürdigkeit von einer auch manchmal frechen Organisation hängt natürlich davon ab, dass man keine falschen Sachen behauptet. Falsche Sachen behaupten ist tödlich. Und wir geben uns Mühe, wirklich Mühe, das zu vermeiden. Weil, wenn wir es machen, dann haben wir ein Problem.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben ja jetzt über die Lage in Deutschland gesprochen, aber jetzt Mitte Juni hat sich das Europaparlament ja auch gegen die Einführung der Ampelkennzeichnung für Lebensmittel ausgesprochen. Zeigt das, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch EU-weit die Verbraucher eigentlich stiefmütterlich behandelt werden?

Thilo Bode: Wir haben generell in Europa eine mangelnde Vertretung der Verbraucher, gerade im Lebensmittelbereich. Deswegen versuchen wir auch zurzeit Foodwatch in Europa zu etablieren in anderen Ländern. Wir haben gesehen, dass das sehr schwer ist. Gut, wir haben ja immerhin geschafft, dass das überhaupt ein Thema war im Europaparlament. Und die Abstimmung haben wir mit 80 Stimmen verloren. Das finden wir eigentlich ein gutes Ergebnis, ehrenhaft, auch ohne Ampel. Aber wenn wir in anderen Ländern, in Frankreich, Italien, Spanien, keine Öffentlichkeit herstellen können, dann werden die Abgeordneten das Thema auch nicht ernst nehmen. Also, wir schaffen es nur, wenn wir Verbraucherrechte europaweit organisieren. Und das ist unser Ehrgeiz.

Deutschlandradio Kultur: Und so etwas wie Foodwatch gibt’s ja in anderen Ländern bisher nicht.

Thilo Bode: Doch, jetzt schon Foodwatch in Holland seit 1. Januar. Da haben wir mit einem Fernsehsender zusammengearbeitet. Und die Organisation wird da auch sehr gut aufgenommen.

Deutschlandradio Kultur: Und in Brüssel haben Sie vor, dort auch anzutreten, weil da ja im Wesentlichen gerade auch diese Politik gemacht wird?

Thilo Bode: Wir wollten da erst ein festes Büro machen, wie andere Organisationen auch, aber wir haben festgestellt, da muss nicht dauernd jemand sitzen, sondern wir gehen dann hin temporär, wenn eine richtig große Abstimmung ansteht, wie zum Beispiel bei der Ampelkennzeichnung. Also, da wollen wir uns erst mal nicht mit einem Büro etablieren, weil, das kostet sehr viel Geld.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir gerade schon bei Geld sind, also, Sie wollen sich ausbreiten, Sie sind hier eine etablierte Organisation, Sie wollen aber auch mal gucken, Brüssel, jetzt vielleicht Niederlande. Wie wollen Sie das eigentlich alles als NGO, als Nichtregierungsorganisation, bezahlen?

Thilo Bode: Wir haben nur ein Budget von 1,2 Mio. Euro. Und das wird im Wesentlichen finanziert durch Einzelspenden von 60 Euro, die unsere Förderer im Jahr bei uns zurücklassen.

Deutschlandradio Kultur: Und 17.000 sind es.

Thilo Bode: Wir haben jetzt 17.000 Förderer. Und wir sind natürlich über jeden Förderer, der zu Foodwatch kommt und sich unter www.foodwatch.de anmelden kann bei uns, dankbar, denn je mehr Förderer wir haben, desto größer wird unser politischer Einfluss. Aber wir können nur so schnell wachsen, in dem Maße, indem wir Förderer bekommen.

Auf der anderen Seite: Nicht so viel Geld zu haben, ist auch manchmal nicht so schlecht. Das heißt jetzt nicht, dass wir uns nicht über jede Spende freuen, aber es macht auch kreativ, glaube ich.

Deutschlandradio Kultur: Was tun Sie aber im worst case, wenn Sie jetzt zum Beispiel einen der Großspender haben oder, Sie kriegen ja auch Zuwendungen von Stiftungen, und wenn die dann stiften gehen?

Thilo Bode: Wir können unsere operativen Ausgaben, die liegen etwa bei 1,1 Mio. Euro, die können wir ausschließlich durch Förderer unterstützen. Und von den Förderern haben 95 Prozent bei uns eine Bankeinzugsermächtigung. Und da haben wir eine sehr gute Finanzgrundlage. Und unser Bestreben ist es eben, mehr Förderer zu gewinnen und für Projekte, wie zum Beispiel eine große Studie zum Beispiel über Rohstoffspekulationen an Finanzmärkten, für landwirtschaftliche Rohstoffe, spannendes Thema, dass wir da Großspender oder Stiftungen gewinnen. Aber wir wollen nie abhängig von einzelnen Großspendern werden.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt schließen wir den Kreis. Ganz zu Anfang haben wir kurz über Greenpeace geredet. Da haben Sie ja nach einem sehr erfolgreichen Jahrzehnt aufgehört. Sie haben auch früher schon andere Dinge gemacht, können wir jetzt alles gar nicht erörtern. Jetzt sind Sie Anfang 60. Kommt für Sie persönlich noch etwas ganz Neues nach Foodwatch? Oder sagen Sie, das mach ich jetzt nicht mehr…

Thilo Bode: Das weiß ich nicht. Es kommt darauf an, wie lange man fit ist. Ich finde die Tätigkeit ein ausgesprochenes Privileg. Ich bin glücklich, dass ich das machen darf. Ich bin happy. Ich glaube, es gibt nicht viele, die so einen tollen Beruf haben. Wenn ich mich jetzt verdoppeln könnte, würde ich die Organisation Moneywatch gründen, weil ich finde, es fehlt ein Gegenpart zu den wirklichen Auswüchsen auf den Finanzmärken. Aber ich bleibe bei Foodwatch.

Deutschlandradio Kultur: Herr Bode, ganz herzlichen Dank.

Thilo Bode: Bittesehr, danke auch.