Forderungen nach "Gastarbeiter"-Denkmal
Gerade die Erinnerungen älterer Migrantinnen und Migranten finden zu wenig Beachtung, sagt die SPD-Politikerin Sevim Aydin. © picture alliance / dpa / Robert Schlesinger
Würdigung einer Lebensleistung
05:45 Minuten
Eine SPD-Politikerin fordert in Berlin-Kreuzberg ein Denkmal für türkische Arbeitsmigrantinnen und -migranten der ersten Generation. Mit ihren Lebensgeschichten seien sie schließlich Teil der deutschen Gesellschaft.
In einem Familiengarten in Berlin-Kreuzberg sitzen etwa 30 türkische Rentnerinnen an langen Holztischen bei Tee und Gebäck beisammen und schwelgen in Erinnerungen. "Wir mussten auf Platinen bunte Kabel und Teile festlöten. Maschinen gab es ja damals nicht", erinnert sich Zahide an ihre erste Arbeitsstelle in einem Siemenswerk vor über 50 Jahren. Eingestellt wurde sie vor allem wegen ihrer kleinen Hände.
"Ich stand morgens um 4 Uhr auf, um um 6 Uhr bei der Arbeit zu sein", erzählt die 81-jährige Hatice. "Von da rief ich dann zu Hause an, um meine Kinder für die Grundschule zu wecken: Mädchen, seid ihr wach?"
Endlich Respekt und Anerkennung
Hatices wache braune Augen füllen sich mit Tränen. Es war schwer, den Kindern eine gute Mutter zu sein, sagt sie. Doch auch Stolz liegt in ihrer Stimme, wenn sie erzählt, was heute aus ihnen geworden ist. Keines der Kinder muss drei Schichten am Stück arbeiten, wie sie einst. Keines muss Schmerzen ertragen, weil es sich dem deutschen Arzt nicht verständlich machen kann. Die Mühe, so findet Hatice, hat sich gelohnt.
Hatice, Zahide und die anderen an den Tischen könnten noch viele Stunden weitererzählen. Meist aber bleiben sie mit ihren Geschichten unter sich. Sevim Aydin will das ändern. Ihr Wunsch ist es, auf dem wenige Meter entfernten Oranienplatz ein Denkmal für die "Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter" der ersten Generation entstehen zu lassen. Der Generation ihrer eigenen Eltern, die - so Sevim Aydin - nie genug Respekt und Anerkennung erhalten hat.
Hatice, Zahide und die anderen an den Tischen könnten noch viele Stunden weitererzählen. Meist aber bleiben sie mit ihren Geschichten unter sich. Sevim Aydin will das ändern. Ihr Wunsch ist es, auf dem wenige Meter entfernten Oranienplatz ein Denkmal für die "Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter" der ersten Generation entstehen zu lassen. Der Generation ihrer eigenen Eltern, die - so Sevim Aydin - nie genug Respekt und Anerkennung erhalten hat.
"Das soll ein Zeichen sein, dass sie ein Teil dieser Gesellschaft sind. Außerdem sollte die Bevölkerung auch erfahren, was für Lebensgeschichten diese Menschen hatten. Ich glaube nicht, dass, wenn man in der heutigen Gesellschaft einen Schüler fragt, der weiß, was die sogenannten Gastarbeiter hier geleistet haben."
Überfüllte Wohnheime und unbezahlte Überstunden
Von den Gründen ihrer Anwerbung, den oft erniedrigenden Gesundheitsuntersuchungen in Istanbul, der Unterbringung in überfüllten Wohnheimen in Deutschland, von unbezahlten Überstunden und fehlenden Deutschkursangeboten spreche heute kaum jemand. Genauso wenig, wie von dem großen Beitrag, den die Menschen leisteten - und der längst nicht nur die Wirtschaft betreffe. Sevim Aydin lässt den Blick schweifen und sagt:
"Sie haben Kreuzberg zu dem gemacht, was es ist. Diese Vielfalt, die wir haben, das Essen, das wir genießen und auf das wir auch stolz sind, die haben diesen Bezirk und dieses Land geprägt."
Sevim Aydins Idee eines "Gastarbeiterdenkmals" stand im Wahlprogramm der Kreuzberger SPD, ist nun Teil der laufenden Koalitionsverhandlungen. Schon bald könnte es konkrete Formen annehmen. Gut so, findet der Berliner Denkmalforscher Volker Wild. Auch und gerade in Zeiten, in denen Zuwanderung in Teilen der Gesellschaft durchaus kritisch gesehen wird, könne es die Erinnerungskultur entscheidend bereichern:
"Nur muss man natürlich versuchen, dass aus dieser Denkmalsetzung ein öffentlicher Akt wird und nicht nur ein Signal einer Minderheit. Es muss darüber diskutiert werden! Dieser Prozess der Diskussion eines Denkmals, ist der entscheidende Prozess. Weil in diesem Kontext dann Widersprüche, Konflikte thematisiert werden können, die ja reale Konflikte in unserer Gesellschaft reflektieren."
Ein Denkmal, dass auch Probleme reflektiert
Diese Konflikte müssten ins Bewusstsein gehoben und in einem Denkmal aufgearbeitet werden, so Volker Wild. Eine einfache Statue würde der Sache daher nicht gerecht:
"Es müsste auch in gewissem Umfang Wissen transportieren und versuchen, fehlende Kenntnisse aufzuarbeiten. Ich würde es allerdings fatal finden, wenn das Denkmal sich auf die Botschaft begrenzen würde, dass die Türken so und so viel zum Bruttoinlandsprodukt der BRD beigetragen haben. Sondern es muss hier die ganze Dimension des In-unserer-Gesellschaft-Lebens sichtbar werden."
Auch die Ablehnung, die die einst euphorisch angeworbenen Arbeiter mit der ansteigenden Arbeitslosigkeit in den 70er-Jahren häufig erfuhren, müsse damit thematisiert werden, so Volker Wild. Genauso wie die Folgen politischer Irrtümer wie etwa den Berliner Ausländerklassen.
Da sei auch ein bisschen Innovation gefragt, sagt Sevim Aydin mit Blick auf die letztendliche Form eines Denkmals für die Generation ihrer Eltern: "Es gibt Künstler, die diesen 'Gastarbeiterprozess' begleitet haben. Ich kann mir vorstellen, dass diese Leute sich einschalten und Ideen entwickeln." Ein Prozess, der noch einige Jahre dauern könnte - durch Aydins Vorschlag nun aber immerhin angestoßen ist.