Geisterstadt im Dschungel
Vor 85 Jahren gründete Henry Ford im Herzen des brasilianischen Regenwalds Fordlândia. Heute ist die Stadt ein Sinnbild für die Globalisierung.
Time Magazine: "Schon bald werden die Boaschlangen ins Herz des Dschungels davon gleiten. Affen werden ein großes Geschnatter anstimmen. Schwarze Indianer, mit schweren Klingen bewaffnet, werden ihre Kultplätze niedermähen, um Platz zu machen für die Zukunft, für Scheibenwischer, Fußmatten und Ballonreifen."
Washington Post: "Henry Ford bringt die Magie des weißen Mannes in die Wildnis. Nicht nur den Kautschuk wird er im Amazonas kultivieren, nein: auch die Kautschuksammler."
Brasilianische Zeitung: "Der Moses des 20. Jahrhunderts."
Brasilianischer Autor: "Der Jesus Christus der Industrie."
Deutsche Zeitung: "Ein neuer Titanenkampf zwischen der Natur und dem modernen Menschen entbrennt."
Das 'Teatro Amazonas' in Manaus liegt mitten im Herzen des brasilianischen Dschungel, mitten im größten Regenwald der Erde. Das Amazonas Philharmonic Orchestra gibt Wagners Parsifal. Unter opulenten Deckenmalereien hängt ein Kronleuchter aus Murano-Glas. Handwerker und Künstler aus ganz Europa reisten ab 1884 nach Brasilien, um diesen Fiebertraum einer Oper zu bauen. Für die Elite der Kautschukbarone, die im Geschäft mit den Gummibäumen gewaltige Reichtümer angehäuft hatten, durfte es nur das Beste sein.
"Paris der Tropen" wurde Manaus zum Ende des 19. Jahrhunderts genannt, mit seinen Schauspielhäusern, seinen Kasinos und den von elektrischem Licht erleuchteten Boulevards. Der Stahl für das Opernhaus kam aus England, der Marmor aus Italien. Aus Deutschland kamen die Keramikkacheln, die außen die Kuppel kleiden wie ein Papageiengefieder, im Muster der brasilianischen Flagge. Der Vorplatz war mit Kautschuk gepflastert, damit das Geklapper der Kutschen nicht die Vorstellung störte. Manche sagten, der Aufwand galt vor allem einem Ziel: Enrico Caruso für das Eröffnungskonzert zu gewinnen
Luiz Fernando Malheirot: "Erst war es einfach ein exotisches Projekt, eine Oper inmitten des Dschungels zu betreiben. Inzwischen haben wir hier eine Tradition. Unsere Sänger kommen aus der ganzen Welt."
Nach dem Ende des Kautschuk-Booms um 1910 stand die Oper fast 90 Jahre leer. Bis der deutsche Geiger Michael Jelden 1996 das jährliche "Festival de Manaus“ ins Leben rief. Seit 15 Jahren leitet es der Dirigent Luiz Fernando Malheirot – gegen alle Widerstände des Klimas.
Luiz Fernando Malheirot: "Das Klima ist für die Instrumente ganz furchtbar. Wir können keine Open-Air-Konzerte spielen. Die Instrumente würden einfach bersten."
Ein Saal, samtige Sitze, ein weinroter Vorhang, wie bei Klaus Kinski
Noch heute betritt man den Saal, wie Klaus Kinski in seiner Rolle als Fitzcarraldo im gleichnamigen Film von Werner Herzog. Samtige Sitze, ein weinroter Vorhang.
Eine Oper im Regenwald … Ein Schiff über einen Berg ziehen... Das gleicht Henry Fords Plan, eine amerikanische Kleinstadt in den Dschungel zu bauen, mit Swimming Pool, Golfplatz, Kino und Kanalisation…Seine Stadt: Fordlândia.
Auf dem Platz vor der Oper rennen heute Kinder hinter Seifenblasen her. Gruppen junger Menschen sitzen an den Tischen der Bar Armanda, vor der eine Band spielt.
Eine halbe Stunde auswärts, an endlosen Hüttensiedlungen vorbei, ist ein neuer Stadtteil entstanden, gleichzeitig mit dem extra für die WM errichteten Stadion 'Arena de Amazônia', entworfen vom deutschen Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner. Hochhäuser mit gehobenen Apartments überblicken die Bucht und den neuen Park am Strand, wo Familien und Verliebte flanieren. In aller Schärfe zeigen sich in Manaus die Folgen des brasilianischen Wirtschaftsbooms, den die Reformen des früheren Präsidenten Lula da Silva einläuteten.
In den 1960er Jahren war Manaus unter der damaligen Militärdiktatur zur Freihandelszone erklärt worden und war fortan Sweatshop, vor allem für US-Unternehmen. Noch heute drängen sich vor der 2 Millionen Menschen Stadt Fabriken von Samsung, Sony und Harley Davidson. In allen laufen Fließbänder, wie Henry Ford sie um 1912 in seiner Automobilfabrik in Detroit, Michigan, eingeführt hatte.
"Stellen Sie sich einen Dschungel aus Rädern, Riemen und seltsamen Eisenformen vor",
schrieb der britische Journalist Julian Street 1914, nachdem er Fords Highland Park Werk in Detroit besichtigt hatte -
"… aus Menschen, Maschinerie und Bewegung – denken Sie sich dazu jede Sorte Geräusch, das Sie sich ausmalen können: von einer Million zwitschernder Eichhörnchen, einer Million zankender Affen, einer Million brüllender Löwen, einer Million grunzender Schweine, einer Million Elefanten, die durch einen Wald aus Eisenblech brechen, einer Million Knaben, die auf ihren Fingern pfeifen, einer weiteren Million, die den Keuchhusten hat, einer Million Sünder, die man in die Hölle zerrt – stellen Sie sich vor, all das spielt sich genau an der Kante der Niagarafälle ab, vor dem ewigen Getöse des Katarakts, und Sie dürften eine ungefähre Vorstellung von diesem Ort gewonnen haben."
Henry Ford war nicht der erste, der die einzelnen Montageschritte standardisierte. Und dass die Karossen an den Montagestationen entlang gleiten, das hatte er von den Schlachthöfen in Chicago und Cincinatti abgeschaut. Aber er war der erste, der beides kombinierte und so die Grundlage für das erfolgreichste Automobil der Geschichte, den Ford Model T, legte.
1911 genügen 7000 Arbeiter, um 78440 Model Ts zu bauen. Schon drei Jahre später gelingt mit nur 5000 zusätzlichen Arbeitern die vierfache Produktion. Ford konnte mit seinem Model T nun die Preise der Konkurrenz um die Hälfte unterbieten – obwohl er den doppelten Lohn zahlt.
"Hohe Löhne schaffen große Märkte",
erklärt Henry Ford. Und bekam Recht: 1921 beherrschte seine Ford Motor Company die Hälfte des US-Automobilmarkts.
"Das Glück liegt auf der Straße. Ich bin auf der Straße und ich bin glücklich."
Der Fordismus zähme den Dschungel der Industrialisierung, schrieb Julian Street. Doch es ist der echte Dschungel, in dem Fords standardisierte Massenproduktion an ihre Grenzen stieß.
30 Stunden dauert die Fahrt mit einer Barkasse von Manaus flussabwärts zur Hafenstadt Santarém. Von dort sind es noch einmal zwölf Stunden den Rio Tapajós hinauf, um nach Fordlândias zu kommen. Eingeklemmt zwischen Menschen und Gepäck liege ich in einem dicht gespannten Geflecht aus Hängematten. Der Dschungel ist bislang nur als ferner grüner Streifen zu beiden Seiten der riesigen Wasserfläche auszumachen.
Der Amazonas berauschte die Fantasie europäischer Abenteurer
Im Rio Amazonas laufen die gesammelten Wassermassen des oberen Südamerikas zusammen und schieben sich an Manaus vorbei 1600 Kilometer bis zur Atlantikmündung. Neun Staaten bedeckt der dichteste Regenwald der Erde. 15 Prozent aller bekannten Landpflanzen der Welt sind hier zuhause, und in dem weit verzweigten Delta leben mehr Fischarten als in allen Flüssen Europas zusammen. Seit Beginn der Kolonisierung berauschte der Amazonas die Fantasie europäischer Abenteurer. Erzählungen vom sagenhaften Reich El Dorado mit seinem Indianerkönig, der sich mit Gold einpudern ließ, lockten seit dem 16. Jahrhundert Glückssucher in den Dschungel.
Alexander von Humboldt beschied Amazonien auf seiner Südamerikareise, einst die Kornkammer der Welt zu werden. Theodore Roosevelt erträumte auf seiner Brasilien-Expedition ein dichtes Netzwerk aus Eisenbahnen, Telegrafenmasten und Fabriken. Und als Henry Ford in seiner zweiten Lebenshälfte das idyllische Amerika des einfachen Farmers betrauerte, zu dessen Abschaffung er entscheidend beigetragen hatte, glaubte er, ausgerechnet hier, auf der anderen Seite des Äquators, sein Ideal des Einklangs von Landleben und Industrie neu zum Leben erwecken zu können. 1927 erwarb die Ford Motor Company an einem Nebenarm des Rio Amazonas ein Stück Regenwald von der Größe Schleswig-Holsteins, um eine Kautschukkolonie gründen zu können. Lange vor den Brandrodungen der Sojawirtschaft stand am Rio Tapajós der Wald in Flammen. Weil das Holz zur Regenzeit nicht brannte, halfen sich die Amerikaner mit Benzin.
"Es war vielleicht bis heute das größte menschengemachte Feuer im Amazonas."
Schreibt Greg Grandin. Der Historiker hat ein Buch über Fordlândia geschrieben, umfassend recherchiert und packend erzählt.
"Brennende Blätter wirbelten bis zum fernen Fluss, während Asche den Himmel verdunkelte, wo die Wolken der Regenzeit sich in einen blutorangenen Nebel verwandelten."
Es war ein dunkles Vorzeichen, das einen frühen Schatten über Fordlândia warf. Wie Fitzcarraldos Kautschukunternehmen würde auch Fords Reich im Amazonas zu einer beispielhaften Geschichte des Scheiterns geraten.
Seit dem späten 18. Jahrhundert bis zum Ende des 19. kam die Hälfte des Weltbedarfs an Kautschuk aus dem südlichen Amazonasbecken, Heimat der hevea brasiliensis, des brasilianischen Gummibaums. Die Industrialisierung schürte stetig die Nachfrage nach Ventilen, Dichtungsringen, Schuhsohlen, Gummistiefeln, Regenmänteln, Gürteln, Fahrradreifen, Autoreifen, Kondomen, Strapsen. Vor allem aus dem armen Nordosten des Landes strömten Arbeiter in den Südamazonas. Doch die meisten Kautschukzapfer lebten verarmt und auf Lebenszeit bei den Kautschukbaronen verschuldet in einer Art Sklavenwirtschaft.
Als der Brite Henry Wickham 1876 70.000 Kautschuksamen nach London schmuggelte, läutete er das Ende des brasilianischen Kautschukbooms ein. Bald beherrschten die Briten und Holländer den Markt mit Plantagen in Südostasien, die sich effizienter bestellen ließen. Als 1919 die Weltmarktpreise fielen, ließ Winston Churchill, damals britischer Kolonialminister, die Produktion künstlich senken. Schließlich versetzte das Gerücht eines neuen Kartells US-Industrielle in Aufruhr.
Das Holz für die Interieurs der Model Ts kam aus Fords Wäldern. Das Eisen, das in seinen Stahlwerken gestampft wurde, stammte aus seinen Eisenminen. Die Kohle aus seinen Bergwerken brannte in seinen Kraftwerken. Der einzige Rohstoff, den Henry Ford nicht kontrollierte, war der Kautschuk für die Reifen, Scheibenwischer und Fußmatten.. Als bekannt wurde, Ford würde am Tapajós investieren, wurde er von brasilianischen Politikern begeistert gefeiert. Endlich würde die Kautschukwirtschaft wiederbelebt.
Das Boot legt an in Santarém, mit seinen bunten Fassaden und der belebten Uferpromenade. Seit 2003 gibt es in Santarém einen großen Sojahafen, gebaut vom US-Agrarkonzern Cargill. Cargill ist wie die Ford Motor Company ein Familienunternehmen aus dem puritanischen Milieu des Mittleren Westens. 1865 gegründet, leistet es heute ein Viertel der US-Getreideexporte, beliefert den deutschen Markt mit Futtermittel, Biodiesel und Schokolade und engagiert sich auch im Amazonas.
Nach einer weiteren Nacht in Hängematten an Bord der San Tomeo, die sich von Santarém den Tapajós hinauf gegen die Strömung bis Itaituba kämpft, klingelt um halb vier Uhr morgens der Wecker. Während das ganze Schiff noch schläft, stehe ich am hölzernen Bug, der das schwarze Wasser unter dem weiten Nachthimmel teilt und fühle mich jetzt wirklich wie in Fitzcarraldo.
Zum ersten Mal ziehen die grünen Wipfel des Dschungels ganz nah vorbei. Zu hören ist nur der Schiffsmotor. Was wird übrig sein von Fordlândia? Wer wird dort noch leben, außer Kautschukzapfern im Greisenalter? Immerhin, es gibt einen regulären Halt. Doch was sich vor meinen Blicken ausbreitet, als die San Tomeo die nächste Biegung des Flusses nimmt, verschlägt mir die Sprache: Fordlândia sieht so aus, als hätte sich hier nichts verändert, seit 1945 die Ford Motor Company abzog. Wie auf alten Schwarz-Weiß-Fotos ragt der riesige Wasserturm über dem Fluss auf.
Einen goldenen Faden aus Licht hinter sich herziehend, verschwindet die San Tomeo flussaufwärts in der Nacht. Die Grillen werden wach, Fledermäuse zappeln über meinen Kopf. Hin und wieder zeigt sich der Rücken eines Flussdelfins.
Sieht so aus, als hätte Fordlândia ein Gemeindeleben
Aus dem Morgennebel ragt ein Kirchberg. Zu seinen Füßen ist ein liebevoller Platz gestaltet, mit Blumenbeeten, Sitzbänken und Skulpturen eines Kautschukzapfers und eines Jaguars. Sieht so aus, als hätte Fordlândia ein Gemeindeleben.
Neben dem Wasser glimmt elektrisches Licht aus der Glasfront einer Lagerhalle. Gebaut mit vielen filigranen Bleistreben erinnert sie an die Architektur, die man auf Fords alten Werkgeländen in Detroit findet, und sie stammt vom selben Architekten – Albert Kahn, der im Ersten Weltkrieg für eine Kriegsschiffsfabrik Henry Ford das Satteldach erfand, das ohne Stützpfeiler auskommt und heute in jedem Industriegebiet zum Einsatz kommt. Zu lagern gibt es hier offenbar nichts, auch wenn sich die Halle erstaunlich gut gehalten hat.
Dagegen wirkt das alte Sägewerk, das auf einem Hügel über dem Fluss liegt, deutlich mitgenommen. Das Dach wellt sich zur Seite, gesplitterte Scheiben schillern im Sonnenaufgang wie angefressene Insektenflügel. In der Halle ist ein alter Krankenwagen aus der Ford-Zeit aufgebockt, und auch einer der Stahlsärge, die wie alles Material aus Michigan kamen. Am Ende der Halle steht ein kleiner verwaister Maschinenpark: Sägen, Pressen, Drehbänke. Das Öl wirkt noch frisch.
"Eine Maschine ist wie ein Buch. Man kann in ihr lesen. Sie ist eine Aufzeichnung des menschlichen Geistes."
Schrieb Henry Ford.
Sein Name ist verbunden mit dem gnadenlosen Gleichtakt von Fließbändern und Maschinen, mit dem Lärm von Autos und Fabriken. Tatsächlich schimpfte er gerne gegen die Rastlosigkeit des Konsumkapitalismus, den er selbst mitentfesselte hatte, wie gegen die Börse und die Banken, den Alkohol und den Jazz.
Henry Ford war ein Pazifist, der Kriegsschiffe und Panzer baute – auch für die deutsche Wehrmacht. Er liebte den Frieden der Natur, hasste aber alles Primitive. Kühe waren für ihn "ineffiziente Maschinen". In Fordlândia gab es nur Sojamilch. Säuglinge wurden mit importiertem Milchpulver gefüttert.
Ford war nicht nur besessen vom Ideal autarker Selbstversorgung, sondern er war auch ein früher Verfechter des Recyclings. So sollte der Verkauf des Tropenholzes, das für die Plantage gerodet wurde, Fordlândia finanzieren. Nur fanden sich nach der Weltwirtschaftskrise keine Abnehmer mehr. Heute grasen auf den einstigen Rodungen die Rinder, die Ford so hasste.
Duca Silva dos Santos: "Hier war alles voller Kautschukbäume. Du konntest eine Stunde mit dem Auto fahren, ohne ein Ende zu sehen."
Duca Silva dos Santos war schon als Junge mit seinem Vater im Wald zum Kautschukzapfen. Der Vater hatte als junger Mann in Fordlândia angeheuert.
Santos haut mit der Machete ein Muster aus nach unten zulaufenden Ritzen in die Rinde eines Baums. Ein paar Sekunden später rinnt ein dickflüssiger weißer Saft heraus. Unter stundenlangem Drehen über Feuer verhärtet sich dieser Saft langsam zu Kautschukballen, die sich stapeln und verschiffen lassen. Doch dazu kam es in Fordlândia nie.
In Indonesien und Malaysien kann die hevea brasiliensis dicht beieinander wachsen, weil sie keine natürlichen Feinde hat. In Fordlândia wurde die Plantage zum Inkubator für Pilze und Blattfäule und zum Kletterpark für Tausendfüßler, die Pflanzung um Pflanzung zunichte machten.
Die Arbeiter schlugen Fordlândia in Stücke
Und das war nur der Widerstand der Natur. Stechuhren und eine Fabriksirene zwangen die Angestellten, auch während der unerträglichen Mittagshitze zu arbeiten. In der Cafeteria wurde täglich gleiche Einheitskost aus Fisch mit Vollkornreis serviert. Als Selbstbedienung eingeführt wurde, schlugen die Arbeiter Fordlândia in Stücke. Die leitenden Mitarbeiter versteckten sich im Wald oder retteten sich auf Boote, um später mit brasilianischem Militär zurückzukehren. Von 5000 Arbeitern wurden 4500 auf der Stelle entlassen – nicht ohne sie vorher auszuzahlen. Nun nahm sich der Chef persönlich der Lösung an. Die sozialen Unruhen konnte sich Ford nur mit einem Mangel an ausgewogener Lebensführung erklären. Deshalb ließ er zu Lesungen aus protugiesischen Übersetzungen des Naturphilosophen Ralph Waldo Emerson laden, Filme zeigen und Square Dance Abende veranstalten.
Humberto da Silva Porto: "Dieses Land gehörte meinem Onkel Luiz Franco."
Humberto da Silva Porto stammt aus der Familie des Kautschukbarons Alberto José da Silva Franco, dem einst das Land gehörte. Er hat im Krankenhaus gearbeitet, das die Ford Motor Company hinterließ und zu dem noch in den Sechzigern Patienten aus ganz Brasilien reisten. Vor drei Jahren sollte es renoviert werden. Doch als das Dach abgenommen war, waren plötzlich die Gelder weg. Nur der Stumpf eines gynäkologischen Stuhls ragt noch aus den Schlingpflanzen empor.
Humberto da Silva Porto: "Es gibt Leute, die sagen, es sei keine gute Zeit gewesen. Ich finde, es war eine gute Zeit. Man hielt zusammen und man hat Befehle befolgt. Heute gibt es diesen Respekt nicht mehr."
Die Identifikation mit dem Erbe der Ford Motor Company ist groß, gerade unter den Älteren, die selbst die Geschichte nur von ihren Eltern kennen. Aus da Silva Porto klingt die Melancholie, die über Fordlândia liegt. Die Vergangenheit dient offenbar zur Abgrenzung gegenüber dem, was in der Gegenwart als Mangel empfunden wird.
Drei Bars gibt es heute in Fordlândia. Dort fährt man mit Motorrädern vor und steht ohne Musik mit dem Bier der Hand einfach nur rum.
Die einzige Musikquelle scheint das Soundsystem zu sein, das Jugendliche abends auf der Ladefläche eines Ford-Trucks die Straße hoch und wieder runter fahren, um es mit Blick auf den Tapajós zu parken. Eigentlich ein ganz normales Dorf.
Vor zwei Jahren, heißt es, lebten 800 Menschen im ehemaligen Stadtgebiet. Heute, erzählt Schuldirektor Pedro Paulo da Silva Porto, sind es 2000.
Schuldirektor: "Die Gegend hier bestand früher aus Wald. Seit der Agrarreform wandern jetzt sehr viele Leute hierher, aus dem Osten oder aus dem Mato Grosso, aus Grande du Sul, Bahia."
Wie zu Fords Zeiten strömen auch heute arme Familien an den Rio Tapajós. Seit 1945 gehört das Land der Bundesregierung. Seitdem bildet Fordlândia eine wirtschaftliche Sonderzone. Die Agrareform der Regierung erlaubt es nun, hier zu roden und Land zu bestellen.
Schuldirektor: "Man lebt vom Verkauf von Obst, Gemüse und Fischen. Wir kaufen mit der Schule auch Früchte an. Eine Familie von acht Leuten kommt locker mit 600 Reais im Monat über die Runden."
Greg Grandin beschreibt in seinem Buch die überwucherten Villen abseits des Zentrums, in denen Fords Manager lebten. Hier tanzte der Direktor des Sägewerks am Abend mit seiner Frau unter den Korkeichen zu Schlagern aus dem amerikanischen Radio, die über Relaisstationen in Nicaragua und Kolumbien auch nach Fordlândia kamen.
And now. Rudy Vallée and his Connecticut Yankees with Deep Night!
"Als ich mich hier 2011 umsah, waren überall nur Bäume und Büsche, die Häuser waren völlig zugewachsen. Ich fing an, das Gestrüpp am Wegrand zurückzuschneiden, damit es die Wege nicht völlig verschlang. Dann schickte ich einen Antrag in die Bundeshauptstadt nach Belém und bat um Erlaubnis, hier wohnen zu dürfen um mich um die Häuser zu kümmern."
Expedito Duarte de Brito, ein herzlicher alter Mann mit braungebranntem Oberkörper, war bis vor kurzem Gemeindevorsteher Fordlândias. Da niemand in der Bundeshauptstadt Briefe aus Fordlândia beantwortet, war es an de Brito zu entscheiden, wer Grund und Häuser nutzen darf. Er führt durch Räume mit edlem Parkett und Antiquitätenmöbeln, ein bewohntes Freilichtmuseum aus Häusern im Cape-Cod-Stil der US-amerikanischen Westküste. Gegenüber liegt die Villa, die für Besuche Henry Fords vorgesehen war. Doch der der vermeintliche Retter der brasilianischen Kautschukwirtschaft flog nie nach Brasilien. Er blieb für Fordlândia ein Phantom. Sein Haus steht heute als letztes noch verwaist, verrammelt und Spinnwebenverhangen im hohen Gras.
Die Stadt wächst so schnell wie seit 70 Jahren nicht mehr
Es scheint, als hätten das Eintreffen Greg Grandins und dessen Setzung von Fordlândia als Gegenstand der Wissenschaft auch die Bewohner einen neuen Blick auf ihre eigene Geschichte werfen lassen.
Expedito: "Es ist ein gutes Buch, fantastisch."
Lagerverwalter: "Ehrlich gesagt wäre es wirklich toll, ein Museum zu haben. Für all die Alltagsgegenstände, die es heute nicht mehr gibt."
Die meisten Gegenstände aus den amerikanischen Villen lagern nun in einem großen Verschlag im Sägewerk, behütet vom Lagerverwalter Waldemar Gomes de Aguiar.
Lagerverwalter: "Das ist unser Traum. Die Geschichte ist wichtig für die, die diesen Ort lieben. Wir wollen die Erinnerung bewahren und Mittel auftreiben, auch um Fordlandia als Stadt zu stärken. Mit Stadtrechten wird es viel einfacher sein, Gelder zu bekommen und ein Museum zu gründen."
Tatsächlich wandelt sich Fordlândia zurzeit so schnell wie seit siebzig Jahren nicht mehr. Der neue Präfekt der Region ist in Fordlândia geboren und er will den Ort entwickeln. Gerade wirbt er in der Hauptstadt Brasilia für eine Bodenreform, die es erlauben soll, den Grund zu privatisieren. Eine große Fläche am Hafen wurde bereits gekauft - durch eine Gruppe von Getreidekonzernen unter der Führung von Cargill. Hier soll einer von sieben Sojahäfen entlang des Tapajós entstehen, die die Lieferwege von den großen Feldern im Mato Grosso verkürzen werden. Schuldirektor Pedro da Silva Porto scheint noch nicht ganz zu wissen, was er von der neuesten Entwicklung halten soll.
Schuldirektor: "Ein positiver Aspekt ist dass der Hafen etwa 400 Arbeitsplätze schaffen wird. Der negative Aspekt ist, dass es mit der Ruhe und dem einfachen Leben vielleicht bald vorbei sein wird und hier überall schnelle Autos herumfahren werden. Aber alles in allem ist es doch positiv. Wir wollen uns entwickeln."
Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen – ausgerechnet mit Soja, in das auch Ford so große Hoffnungen steckte. Allerdings ohne dessen weltverbessernde Ideen. Cargill arbeitet mit Kleinbauern zusammen, die ihre armen Lebensverhältnisse durch illegale Rodungen und Zwangsarbeit zu bessern suchen. Besonders die Nachfrage aus China treibt die Gewinne in die Höhe.
85 Prozent des Amazonas-Regenwaldes sind heute noch intakt. Noch leben hier 180 indigene Völker mit 220 000 Menschen.
Doch es scheint, als sei Alexander von Humboldts Prophezeiung, der Amazonas würde zur Kornkammer der Welt werden, zwei Jahrhunderte später dabeisich zu erfüllen.
"Bis vor kurzem betonten Erzählungen vom Amazonas die unbezwingbare Größe des Amazonas, seine gewaltige Gleichgültigkeit gegenüber den kümmerlichen Anstrengungen des Menschen, ein Plot, der die Geschichte Fordlandias ganz gut einfängt."
… schreibt Greg Grandin am Ende seines Buchs.
"Das hat sich natürlich gewandelt. Jetzt ist es Wald, der gebrechlich erscheint."