Dem Bösen auf der Spur
35:43 Minuten
Gerichtsgutachter Hans-Ludwig Kröber erforscht die Seelen von Mördern und Vergewaltigern. Er erkundet, ob sie voll schuldfähig sind oder nicht. Seine eigene Angst holt ihn dabei nur selten ein.
Hans-Ludwig Kröber ist in Bethel aufgewachsen. Als Sohn des Chefs der dortigen Psychiatrischen Klinik waren ihm Diagnosen wie "manische Depression" und "Schizophrenie" von Kindesbeinen an vertraut. Als kleiner Junge ging er in die Tagesbetreuung der Psychiatrischen Klinik, um Weihnachtssterne zu basteln und stibitzte mit seinen Freunden Kirschen aus dem Klinik-Garten. "Ich glaube schon, dass man von Anfang an gelernt hat, ganz gelassen und normal mit psychisch Kranken umzugehen", sagt Kröber.
"Was Bethel trägt, ist der Respekt vor Kranken, dass sie genauso viel wert sind wie Gesunde und einfach nur anders sind. Die Bethel-Kinder können, bis sie in die Grundschule kommen, unterscheiden zwischen gesund und krank. Man lernt Diagnostik, weil die Gesunden dürfen einen kommandieren, die Kranken dürfen das nur eingeschränkt."
Heute ist Hans-Ludwig Kröber einer der meistbeschäftigten Gerichtsgutachter des Landes. Sein soeben erschienenes Buch "Mord im Rückfall" berichtet von 45 Mördern, die nach dem Verbüßen einer Strafe für einen begangenen Mord noch einmal einen Menschen töteten. "Was sind das für Leute, die dann tatsächlich noch einmal töten, obwohl sie die Erfahrung der Bestrafung gemacht haben und obwohl sie eigentlich draufgezahlt haben bei dieser ganzen Geschichte? Das war eine Neugierde, die geweckt wurde durch Männer, bei denen das Töten doch kein Ausrutscher gewesen ist."
Bei diesen Männern habe das Töten "mit dem Selbstkonzept" zu tun: "Dass man jemand ist, der so etwas kann und der diese Lösung für bestimmte Problemsituationen, wenn man das so bezeichnen darf, einsetzen kann und der weiß, wie das geht. Das ist auch für den wahrscheinlich eher eine Notfall-Situation."
Mörder meinen, sie müssten für sich selbst sorgen
Nur wenige Mörder seien psychisch krank, sagt Kröber. "Sie haben noch nicht mal Aggressionsprobleme, dass sie nun ständig zuschlagen würden oder immer in die Luft gehen. Sondern Morde sind häufig Taten, die überlegt und vorbereitet sind, über die der Täter nachgedacht hat, ob das nun sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, und für die sich der Täter dann schließlich entschieden hat."
Mörder hätten oft kriminelle Vorerfahrungen und neigten dazu, Grenzen zu überschreiten. "Sie haben ein anderes Konzept von ihrem Leben entwickelt: dass man für sich selbst sorgen muss, dass es keinen Sinn hat, darauf zu hoffen, dass andere einen unterstützen. Es gibt einen längeren Annäherungsprozess an eine Tötungsbereitschaft. Dieser Prozess bis jemand sagt ‚ich mache das jetzt‘, dauert manchmal Jahre."
Bei seinen Einschätzungen eines Täters gehe es immer darum zu verstehen, warum der Täter so handelte wie er handelte. Es gehe um die bewussten und unbewussten Gründe für einen Mord. "Verstehen heißt natürlich nicht, dass ich das für den richtigen Weg halte. Aber wenn ich sehe, wie jemand zu einem falschen Ergebnis kommt, dann verstehe ich, wie er dahin gekommen ist und kann vielleicht mit ihm darüber reden, wie es anders geht."
"Mitgefühl kann man ausschalten"
Es sei falsch anzunehmen, dass Mörder nicht empathiefähig seien, sagt Kröber: "Mitgefühl kann man ausschalten. Ein Chirurg, der einen Schwerverletzten sieht, darf nicht anfangen zu heulen, sondern muss ihn versorgen. Und der Mörder, der sagt, ‚jetzt muss es aber sein‘, der muss bei einer solchen Tat Ekelgefühle und anderes unterdrücken."
Bei Raubmorden sei es "immer wieder frappierend" zu sehen, dass die Täter andere Menschen oft für einen vergleichsweise geringen Ertrag töten. "Moralisch ist es wahrscheinlich kein Unterschied, ob man für zehn D-Mark umbringt oder für eine Million."
(ruk)