Forscher: Den Winterblues hat es schon immer gegeben
Der sogenannten kleinen Eiszeit in der frühen Neuzeit haben die Menschen möglicherweise die Erfindung des Ofens zu verdanken, mutmaßt der Historiker Wolfgang Behringer. Eine saisonal bedingte Schwermut habe man zu allen Zeiten gekannt, so der Autor der "Kulturgeschichte des Klimas".
Jürgen König: In großen Teilen Deutschlands herrscht immer noch Eiseskälte, aber immerhin, auch in den östlichen Bundesländern gab es mal Sonnenschein am Wochenende, wo teilweise schon mehr als 14 Tage ohne Sonne gezählt worden waren. Nun ist das trübe Grau allenthalben wieder da, wer kann, flüchtet sich ins Warme, dreht die Heizung auf, macht das Licht an. In manchen Regionen Norwegens übrigens gibt es Häuser, die haben gar keine Lichtschalter mehr, weil das Licht ohnehin Tag und Nacht brennt. Wie sind die Menschen früherer Jahrhunderte mit solchen Situationen umgegangen? Haben sie sich auch in ihre Hütten zurückgezogen, wo es kalt war und dunkel, haben sie sich ums Feuer geschart und noch mehr getrunken als ohnehin schon? Wie hat sich überhaupt das Wetter ausgewirkt auf die Entwicklung des Menschen, fragen wir den Historiker Professor Wolfgang Behringer, Inhaber des Lehrstuhls Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, Autor unter anderem des Buches "Kulturgeschichte des Klimas". Guten Morgen, Herr Behringer!
Wolfgang Behringer: Guten Morgen!
König: Die Wochenendsonne war ja mancherorts wie eine Befreiung empfunden worden, nachdem sie in manchen Regionen 14, 15, 16 Tage lang überhaupt nicht geschienen hatte, eifrig hat man Rekorde gezählt, derlei habe es zuletzt zum Beispiel 1964 gegeben. Woher kommt dieses Bedürfnis, sich der Historie zu versichern, wann es zuletzt eine solche Sonnenlosigkeit gab?
Behringer: Na ja, wir sprechen ja in diesem Winter viel vom Schneechaos, ich kann mich halt nur erinnern, dass man das früher Winter genannt hat. Das ist nicht so überraschend, dass es im Winter schneit und mal paar Tage keine Sonne gibt. Aber Sie haben ganz recht, also langfristig gibt es natürlich eine erhebliche Klimavariabilität, und langfristig, wenn man als Historiker drüber spricht, sprechen wir meistens über die letzten 1000 bis 2000 Jahre. Wir können nicht sagen, dass das Klima relativ konstant ist und dass wir gerade mit einer globalen Erwärmung konfrontiert sind. Also wir sind natürlich mit einer Erwärmung konfrontiert momentan, aber auch über die letzten 1000 oder 2000 Jahre oder 10.000 oder 100 – Sie können einen beliebigen Zeitraum wählen – haben wir es mit einer Variabilität des Klimas zu tun. Und in der Periode, wo ich sozusagen Spezialist bin, die frühe Neuzeit, also das ist der Bereich der letzten 500 Jahre, da sind wir in einer Zeit, in der es ganz erhebliche Kältephasen gegeben hat. Die berüchtigten Jahre ohne Sommer, also nicht Winter ohne Sonne, sondern Jahre, in denen der Sommer praktisch ausgeblieben ist und wo man mit Dauerregen und Kälte und Ernteausfall ...
König: Wo auch die Winter sehr kalt waren, glaube ich.
Behringer: ... konfrontiert war und die Winter sehr kalt waren. Wir haben ja in dieser Zeit die Erfindung der Winterlandschaft in der Malerei nicht ganz von ungefähr. Nach einer Serie von Kaltwintern Anfang der 1560er-Jahre kommt das Genie Peter Brueghel oder Brueghel (Anm. d. Redaktion: Niederländisch ausgesprochen) wie die Niederländer sagen, auf die Idee, eine Winterlandschaft zu malen, in der alles also versinkt in Schnee und Eis und die winterlichen Tätigkeiten, die es natürlich sonst auch gegeben hat, ganz in den Vordergrund rücken und eben der Himmel gekennzeichnet ist durch trübes, bleiernes Grau.
König: Auf dem Bild von Brueghel?
Behringer: Auf dem – er hat eine ganze Serie gemalt von Winterbildern. Und die Frage ist natürlich schon, wie hat sich das auf die Psyche der Menschen ausgewirkt. Wir kennen ja heute das Krankheitssyndrom der Seasonal Affective Disorder, also mit dem schönen Kürzel SAD, also traurig, als Chiffre für ...
König: Saisonal bedingte Traurigkeit oder Schwermut.
Behringer: Ja, genau. Oder was auch populär Winterblues genannt wird, also diese Schwermut, die sich dann im Winter auf die Gemüter senkt.
König: Und wie war der Winterblues um 1350?
Behringer: Um 1350 wissen wir es noch nicht so gut, aber für die nächste große Welle der Abkühlung im späten 16. und 17. Jahrhundert, da können wir also mit Sicherheit sagen, dass die Traktate über Melancholie, die Beschäftigung mit Selbstmord, Traurigkeit, die nehmen einen ganz erheblichen Anteil im Ausstoß an Literatur an. Also das war ein Thema der Zeit. In England, im viktorianischen Zeitalter, spricht man von der "Elizabethan Malady", also die Elisabethanische Krankheit, weil eben auffallend war, dass sehr viel mehr Menschen in allen Teilen, ja Schichten der Gesellschaft an dieser Traurigkeit erkrankten.
König: Nun haben die Menschen immer auch versucht, diese Traurigkeit zu überwinden, also die Abhängigkeit vom Wetter loszuwerden, indem sie sich ja was haben einfallen lassen. Ich habe in Ihrem Buch zum Beispiel gelesen, der Kachelofen sei in dieser Phase entstanden. Ich konnte mir das so schön vorstellen, dass man plötzlich mit dem Holz oder der Kohle, was man eben hat, irgendwie sorgsamer umgeht und versucht, die Wärme länger zu behalten. Ist dieses Ringen um Souveränität dem Wetter gegenüber auch so eine kulturgeschichtliche Konstante?
Behringer: Ja, das ist ganz klar. Wir sprechen ja heute oft drüber, dass die Veränderung des Klimas irgendwelche automatischen Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte, und das ist eben gerade nicht der Fall. Also Gesellschaften, die reagieren ja nicht mechanisch, sondern flexibel, also bedingt durch die kulturellen Gegebenheiten in der Gesellschaft. Und in Europa sehen wir eben, dass man sich recht sehr viel hat einfallen lassen, sowohl kurzfristig, also dass man praktisch an der, wie man modern sagen würde, Wärmedämmung arbeitet. Also es verbreiten sich zum Beispiel Glasfenster in der Zeit anstelle von terpentingetränkten Lappen oder Pergament, die vorher zur Abdichtung der Fenster gedient haben, oder Fensterlappen. Man sieht einen Zug zu einer stärkeren, solideren Bauweise, Steinbauten verbreiten sich stärker, und man sieht, dass sich die Beheizungsformen ganz stark verbessern. Also der Kachelofen – Sie haben den schon angesprochen –, der ist natürlich schon eine ältere Entwicklung, im Alpenraum finden wir den auch im Hochmittelalter schon, aber in der frühen Neuzeit sehen wir, dass er sich verbreitet sehr stark in Mitteleuropa. Man muss ja sehen, dass bis dahin auf dem Land viele Häuser noch mit offenen Feuern beheizt worden sind, die sogenannten Rauchhäuser. Also wir finden noch so im späten 17., sogar im 18. Jahrhundert in Reiseberichten aus Dänemark, dass die Reisenden schauen, wie viele Kamine gibt es denn in den Häusern, und häufig findet man, dass nur das Pfarrhaus einen Kamin besitzt, und die anderen sitzen sozusagen in ihrem eigenen Rauch, das muss man sich mal vorstellen. Das verändert ja natürlich vollkommen die Möglichkeiten des Lebens in diesen kalten Zeiten, denn wo es verräuchert ist, da hat man nur einen Raum, der abgetrennt ist, in dem die Lebensmittel gelagert werden und vielleicht das gute Bettzeug, und der Rest des Hauses ist einfach in Rauch gehüllt.
König: Heute arbeiten wir mit Lichttherapie oder mit Wohlfühlleuchten. In Russland, habe ich gelesen, wird versucht, die Wolken mit Dünger, der aus Spezialflugzeugen abgeworfen wird, zum Abregnen oder Abschneien zu bringen, damit über Moskau die Sonne scheint. Was sagt das über eine Epoche wie die unsrige jetzt aus, dass dieses Phänomen des Winterblues reflektiert wird, aber dass auch Maßnahmen dagegen ergriffen werden?
Behringer: Also das ist eigentlich die interessanteste Beobachtung in der Auseinandersetzung mit der sogenannten kleinen Eiszeit, also dieser langfristigen Abkühlung in der frühen Neuzeit, die eigentlich bis ans Ende des 19. Jahrhunderts reicht, dass man die großen Probleme, die die Abkühlung verursacht hat – das waren ja eben zum Beispiel die Missernten, die ständige Unterernährung, akute Hungersnöte –, dass man gelernt hat durch verbesserten Anbau, durch die Revolution im Agrarsektor und natürlich auch dann durch die industrielle Revolution, hier ganz andere gesellschaftliche Spielräume zu schaffen, vielleicht zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte, die Bevölkerung anständig zu ernähren, anständig zu kleiden, sozusagen um einen nachhaltigen Ausweg aus dieser Misere zu finden. Und man kann ja sehen, dass das auch bis zu einem gewissen Grad sehr erfolgreich war, zumindest in den westlichen Gesellschaften oder in Europa, von dem wir jetzt gerade hier sprechen. Nur ironischerweise, die Lösung von damals, also der Übergang zur Benutzung von fossilen Energien zur Wärmeerzeugung, zur Krafterzeugung, ist Teil unseres heutigen Problems, denn durch diese Verfeuerung von fossilen Energien tragen wir ja nach dem derzeitigen Stand des Wissens zu unserer gegenwärtigen Erwärmung bei.
König: Aber um den Kreis unseres Gesprächs dann auch zu schließen, man kann auch einfach sagen, der Januar ist halt nun mal in unseren Breiten der kälteste Monat, und da gibt es nun mal Schnee und Eis und Kälte und keine Sonne, und das ist alles ganz normal?
Behringer: Das ist normal, aber trotzdem kann man ja sagen, eigentlich ist es mir ein bisschen zu kalt. Wenn ich das ganz persönlich sagen darf, ich hätte es gern ein bisschen wärmer. Und es ist ja in der gegenwärtigen Klimadiskussion immer die Rede davon, wie schrecklich es ist, dass sich etwas ändert. Dazu muss man als Historiker sagen, es ändert sich immer etwas, und wenn sich's zum Wärmeren ändert, dann ist es vielleicht noch günstiger, als wenn das Klima insgesamt kälter wird. Also das mag vielleicht ein bisschen herzlos klingen, denn natürlich, die Erwärmung bringt alle möglichen Probleme mit sich, aber man muss vielleicht auch überlegen, dass es auch positive Entwicklungen dabei geben kann. Also wenn es wärmer wird, wir brauchen ja hoffentlich mal weniger Energie zum Heizen, wir können die Solarenergie nutzen, und man muss natürlich sich ohnehin auf die Veränderung des Klimas einstellen, das haben die Menschen immer geschafft. Das Einzige, was uns heute von früheren Epochen unterscheidet, das ist, dass es einfach sehr viel mehr Menschen gibt als in allen früheren Epochen der Menschheitsgeschichte, und man könnte sagen, vielleicht unser größeres Problem ist die Überbevölkerung, weil wir weniger flexibel auf die Veränderung des Klimas reagieren können, als wenn wir sagen wir mal nur 500.000 Menschen auf der Welt leben hätten und nicht sechs Milliarden.
König: Kalte Tage ohne Sonne, wie der Mensch sich durchs Winterwetter beeinflussen ließ und lässt. Ein Gespräch mit dem Historiker Wolfgang Behringer. Sein Buch "Kulturgeschichte des Klimas" ist bei C. H. Beck erschienen. Herr Behringer, ich danke Ihnen!
Wolfgang Behringer: Guten Morgen!
König: Die Wochenendsonne war ja mancherorts wie eine Befreiung empfunden worden, nachdem sie in manchen Regionen 14, 15, 16 Tage lang überhaupt nicht geschienen hatte, eifrig hat man Rekorde gezählt, derlei habe es zuletzt zum Beispiel 1964 gegeben. Woher kommt dieses Bedürfnis, sich der Historie zu versichern, wann es zuletzt eine solche Sonnenlosigkeit gab?
Behringer: Na ja, wir sprechen ja in diesem Winter viel vom Schneechaos, ich kann mich halt nur erinnern, dass man das früher Winter genannt hat. Das ist nicht so überraschend, dass es im Winter schneit und mal paar Tage keine Sonne gibt. Aber Sie haben ganz recht, also langfristig gibt es natürlich eine erhebliche Klimavariabilität, und langfristig, wenn man als Historiker drüber spricht, sprechen wir meistens über die letzten 1000 bis 2000 Jahre. Wir können nicht sagen, dass das Klima relativ konstant ist und dass wir gerade mit einer globalen Erwärmung konfrontiert sind. Also wir sind natürlich mit einer Erwärmung konfrontiert momentan, aber auch über die letzten 1000 oder 2000 Jahre oder 10.000 oder 100 – Sie können einen beliebigen Zeitraum wählen – haben wir es mit einer Variabilität des Klimas zu tun. Und in der Periode, wo ich sozusagen Spezialist bin, die frühe Neuzeit, also das ist der Bereich der letzten 500 Jahre, da sind wir in einer Zeit, in der es ganz erhebliche Kältephasen gegeben hat. Die berüchtigten Jahre ohne Sommer, also nicht Winter ohne Sonne, sondern Jahre, in denen der Sommer praktisch ausgeblieben ist und wo man mit Dauerregen und Kälte und Ernteausfall ...
König: Wo auch die Winter sehr kalt waren, glaube ich.
Behringer: ... konfrontiert war und die Winter sehr kalt waren. Wir haben ja in dieser Zeit die Erfindung der Winterlandschaft in der Malerei nicht ganz von ungefähr. Nach einer Serie von Kaltwintern Anfang der 1560er-Jahre kommt das Genie Peter Brueghel oder Brueghel (Anm. d. Redaktion: Niederländisch ausgesprochen) wie die Niederländer sagen, auf die Idee, eine Winterlandschaft zu malen, in der alles also versinkt in Schnee und Eis und die winterlichen Tätigkeiten, die es natürlich sonst auch gegeben hat, ganz in den Vordergrund rücken und eben der Himmel gekennzeichnet ist durch trübes, bleiernes Grau.
König: Auf dem Bild von Brueghel?
Behringer: Auf dem – er hat eine ganze Serie gemalt von Winterbildern. Und die Frage ist natürlich schon, wie hat sich das auf die Psyche der Menschen ausgewirkt. Wir kennen ja heute das Krankheitssyndrom der Seasonal Affective Disorder, also mit dem schönen Kürzel SAD, also traurig, als Chiffre für ...
König: Saisonal bedingte Traurigkeit oder Schwermut.
Behringer: Ja, genau. Oder was auch populär Winterblues genannt wird, also diese Schwermut, die sich dann im Winter auf die Gemüter senkt.
König: Und wie war der Winterblues um 1350?
Behringer: Um 1350 wissen wir es noch nicht so gut, aber für die nächste große Welle der Abkühlung im späten 16. und 17. Jahrhundert, da können wir also mit Sicherheit sagen, dass die Traktate über Melancholie, die Beschäftigung mit Selbstmord, Traurigkeit, die nehmen einen ganz erheblichen Anteil im Ausstoß an Literatur an. Also das war ein Thema der Zeit. In England, im viktorianischen Zeitalter, spricht man von der "Elizabethan Malady", also die Elisabethanische Krankheit, weil eben auffallend war, dass sehr viel mehr Menschen in allen Teilen, ja Schichten der Gesellschaft an dieser Traurigkeit erkrankten.
König: Nun haben die Menschen immer auch versucht, diese Traurigkeit zu überwinden, also die Abhängigkeit vom Wetter loszuwerden, indem sie sich ja was haben einfallen lassen. Ich habe in Ihrem Buch zum Beispiel gelesen, der Kachelofen sei in dieser Phase entstanden. Ich konnte mir das so schön vorstellen, dass man plötzlich mit dem Holz oder der Kohle, was man eben hat, irgendwie sorgsamer umgeht und versucht, die Wärme länger zu behalten. Ist dieses Ringen um Souveränität dem Wetter gegenüber auch so eine kulturgeschichtliche Konstante?
Behringer: Ja, das ist ganz klar. Wir sprechen ja heute oft drüber, dass die Veränderung des Klimas irgendwelche automatischen Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte, und das ist eben gerade nicht der Fall. Also Gesellschaften, die reagieren ja nicht mechanisch, sondern flexibel, also bedingt durch die kulturellen Gegebenheiten in der Gesellschaft. Und in Europa sehen wir eben, dass man sich recht sehr viel hat einfallen lassen, sowohl kurzfristig, also dass man praktisch an der, wie man modern sagen würde, Wärmedämmung arbeitet. Also es verbreiten sich zum Beispiel Glasfenster in der Zeit anstelle von terpentingetränkten Lappen oder Pergament, die vorher zur Abdichtung der Fenster gedient haben, oder Fensterlappen. Man sieht einen Zug zu einer stärkeren, solideren Bauweise, Steinbauten verbreiten sich stärker, und man sieht, dass sich die Beheizungsformen ganz stark verbessern. Also der Kachelofen – Sie haben den schon angesprochen –, der ist natürlich schon eine ältere Entwicklung, im Alpenraum finden wir den auch im Hochmittelalter schon, aber in der frühen Neuzeit sehen wir, dass er sich verbreitet sehr stark in Mitteleuropa. Man muss ja sehen, dass bis dahin auf dem Land viele Häuser noch mit offenen Feuern beheizt worden sind, die sogenannten Rauchhäuser. Also wir finden noch so im späten 17., sogar im 18. Jahrhundert in Reiseberichten aus Dänemark, dass die Reisenden schauen, wie viele Kamine gibt es denn in den Häusern, und häufig findet man, dass nur das Pfarrhaus einen Kamin besitzt, und die anderen sitzen sozusagen in ihrem eigenen Rauch, das muss man sich mal vorstellen. Das verändert ja natürlich vollkommen die Möglichkeiten des Lebens in diesen kalten Zeiten, denn wo es verräuchert ist, da hat man nur einen Raum, der abgetrennt ist, in dem die Lebensmittel gelagert werden und vielleicht das gute Bettzeug, und der Rest des Hauses ist einfach in Rauch gehüllt.
König: Heute arbeiten wir mit Lichttherapie oder mit Wohlfühlleuchten. In Russland, habe ich gelesen, wird versucht, die Wolken mit Dünger, der aus Spezialflugzeugen abgeworfen wird, zum Abregnen oder Abschneien zu bringen, damit über Moskau die Sonne scheint. Was sagt das über eine Epoche wie die unsrige jetzt aus, dass dieses Phänomen des Winterblues reflektiert wird, aber dass auch Maßnahmen dagegen ergriffen werden?
Behringer: Also das ist eigentlich die interessanteste Beobachtung in der Auseinandersetzung mit der sogenannten kleinen Eiszeit, also dieser langfristigen Abkühlung in der frühen Neuzeit, die eigentlich bis ans Ende des 19. Jahrhunderts reicht, dass man die großen Probleme, die die Abkühlung verursacht hat – das waren ja eben zum Beispiel die Missernten, die ständige Unterernährung, akute Hungersnöte –, dass man gelernt hat durch verbesserten Anbau, durch die Revolution im Agrarsektor und natürlich auch dann durch die industrielle Revolution, hier ganz andere gesellschaftliche Spielräume zu schaffen, vielleicht zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte, die Bevölkerung anständig zu ernähren, anständig zu kleiden, sozusagen um einen nachhaltigen Ausweg aus dieser Misere zu finden. Und man kann ja sehen, dass das auch bis zu einem gewissen Grad sehr erfolgreich war, zumindest in den westlichen Gesellschaften oder in Europa, von dem wir jetzt gerade hier sprechen. Nur ironischerweise, die Lösung von damals, also der Übergang zur Benutzung von fossilen Energien zur Wärmeerzeugung, zur Krafterzeugung, ist Teil unseres heutigen Problems, denn durch diese Verfeuerung von fossilen Energien tragen wir ja nach dem derzeitigen Stand des Wissens zu unserer gegenwärtigen Erwärmung bei.
König: Aber um den Kreis unseres Gesprächs dann auch zu schließen, man kann auch einfach sagen, der Januar ist halt nun mal in unseren Breiten der kälteste Monat, und da gibt es nun mal Schnee und Eis und Kälte und keine Sonne, und das ist alles ganz normal?
Behringer: Das ist normal, aber trotzdem kann man ja sagen, eigentlich ist es mir ein bisschen zu kalt. Wenn ich das ganz persönlich sagen darf, ich hätte es gern ein bisschen wärmer. Und es ist ja in der gegenwärtigen Klimadiskussion immer die Rede davon, wie schrecklich es ist, dass sich etwas ändert. Dazu muss man als Historiker sagen, es ändert sich immer etwas, und wenn sich's zum Wärmeren ändert, dann ist es vielleicht noch günstiger, als wenn das Klima insgesamt kälter wird. Also das mag vielleicht ein bisschen herzlos klingen, denn natürlich, die Erwärmung bringt alle möglichen Probleme mit sich, aber man muss vielleicht auch überlegen, dass es auch positive Entwicklungen dabei geben kann. Also wenn es wärmer wird, wir brauchen ja hoffentlich mal weniger Energie zum Heizen, wir können die Solarenergie nutzen, und man muss natürlich sich ohnehin auf die Veränderung des Klimas einstellen, das haben die Menschen immer geschafft. Das Einzige, was uns heute von früheren Epochen unterscheidet, das ist, dass es einfach sehr viel mehr Menschen gibt als in allen früheren Epochen der Menschheitsgeschichte, und man könnte sagen, vielleicht unser größeres Problem ist die Überbevölkerung, weil wir weniger flexibel auf die Veränderung des Klimas reagieren können, als wenn wir sagen wir mal nur 500.000 Menschen auf der Welt leben hätten und nicht sechs Milliarden.
König: Kalte Tage ohne Sonne, wie der Mensch sich durchs Winterwetter beeinflussen ließ und lässt. Ein Gespräch mit dem Historiker Wolfgang Behringer. Sein Buch "Kulturgeschichte des Klimas" ist bei C. H. Beck erschienen. Herr Behringer, ich danke Ihnen!