Forscher: Klimawandel muss keine Katastrophe sein

Bernd Sommer im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Klimaforscher meinen: Bis 2040 wird sich die Temperatur weltweit um mindestens zwei Grad erhöhen. Bernd Sommer von der Uni Flensburg hat die sozialen Auswirkungen dieses Wandels untersucht - und meint, dass es "sowohl Verlierer als auch Gewinner einer solchen Entwicklung" gebe.
Korbinian Frenzel: Wenn Ihnen jemand in dieser Woche angeboten hätte, wir können die Temperaturen auch etwas steigen lassen, sagen wir mal um zwei Grad: Wir Wintergeplagten hätten wahrscheinlich gerne ein "Ja" dazu durch den Schal gehaucht! So von heute auf morgen ist das natürlich Spinnerei, aber von heute auf 2040 ist das eigentlich genau das, worauf sich die Welt einzustellen hat, um zwei Grad wird sich die Durchschnittstemperatur weltweit mindestens erhöhen. Das wissen wir, seit sich die Staatenwelt auf dieses Ziel, auf das Zwei-Grad-Ziel verständigt hat.

Wir wissen aber bisher wenig darüber, was das ganz konkret bedeuten würde, ganz konkret in Deutschland zum Beispiel. Eine Gruppe von Klimaforschern und Soziologen hat diese Lücke zu schließen versucht und ein Buch geschrieben: "Zwei Grad mehr in Deutschland" heißt es. Einer der Autoren ist Bernd Sommer vom Institut für Umwelt-, Sozial- und Humanwissenschaften an der Uni Flensburg, und Bernd Sommer ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

Bernd Sommer: Guten Morgen!

Frenzel: Schauen wir mal in die Glaskugel: In knapp 30 Jahren, wie ist das Klima in Deutschland?

Sommer: Unser Modell geht davon aus, dass wir in Deutschland bis zum Zeitraum 2030, 2050 eine Erwärmung von 1,2 Grad etwa im Vergleich zur heutigen Temperatur haben werden. Was dann bedeutet, mit der Erwärmung, die wir bereits gemessen haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wird insgesamt dann eine Erwärmung von zwei Grad mehr in Deutschland bereits 2040 erreicht sein.

Frenzel: Und ist das nun etwas Schlechtes, etwas Gutes oder kann man das so genau gar nicht sagen? Ich stelle mir nur vor, die Ostseeküste zwei Grad wärmer, das ist dann ja fast schon Mittelmeer?

Sommer: So genau kann man das in der Tat nicht sagen, da Gesellschaften und einzelne Gruppen in der Gesellschaft von solchen Temperaturtrends immer ganz unterschiedlich betroffen sind. Es wird sowohl Verlierer als auch Gewinner halt einer solchen Entwicklung geben. Teilweise sind es auch einzelne Personen oder Personengruppen beides zugleich. Ein Beispiel: Man kann sowohl durch eine Ausdehnung der Pollenphasen als Allergiker ein Verlierer sein, gleichzeitig als Betreiber eines Strandbades ökonomisch davon profitieren, und das sogar als eine Person!

Frenzel: Sie haben in Ihrem Untertitel geschrieben: "Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird." Kann man das heute seriös beantworten?

Sommer: Es könnte natürlich auch ganz anders kommen, als wir das jetzt in diesen narrativen Szenarien dargestellt haben. Was wir versucht haben, ist, unter Rückgriff auf vergangene Extremwetterereignisse, klimabedingte Veränderungen, zu schauen, was das für die Gesellschaften für Folgen hatte. Und dann wird sehr deutlich, dass etwas wie eine Naturkatastrophe in vieler Hinsicht ein gesellschaftliches Ereignis ist, das wir also mit sozialen Folgen, Wirkungen, aber auch Verursachungen zusammenhängen haben, die dann halt die einzelnen Menschen betrafen. Und das haben wir uns angeschaut.

Frenzel: Sie haben das Stichwort Naturkatastrophe genannt. Da gibt es ja eigentlich die Faustregel: Naturkatastrophen treffen eigentlich die Schwachen, die Armen immer am stärksten. Bei dieser langgezogenen Naturkatastrophe Klimawandel, ist es da auch so oder kann man das so direkt, so linear nicht beantworten?

Sommer: Das, was wir bislang wissen, deutet darauf hin. Das ist natürlich insbesondere im globalen Maßstab so, aber auch wenn wir uns die Entwicklung in einer Gesellschaft wie der deutschen anschauen, haben wir jetzt schon Belege dafür, dass zum Beispiel durch Extremhitze Personen in ärmeren Stadtteilen stärker betroffen sind. Wieso: Zum einen haben wir den Fall, dass dort pro Quadratmeter mehr Personen wohnen, gleichzeitig aber auch die Möglichkeiten, sich individuell Schutz zu verschaffen vor zum Beispiel Extremhitze - sei es durch Gebäudedämmung, sei es durch Klimaanlagen et cetera - geringer sind. Und insgesamt, das wissen wir aus Studien aus den USA, sind dann sozusagen auch die Todesfälle und die Fälle, die ärztlich behandelt werden müssen, in solchen Stadtteilen bei Extremhitze größer.

Frenzel: Sie haben Klimaforscher und Soziologen versammelt in diesem Buch. Muss man das so verstehen: Die einen liefern die Fakten und die anderen machen verständliche Erzählung daraus?

Sommer: Das würde ich so nicht unterstreichen. Es geht vielmehr darum, dass wir versuchen, ein Phänomen wie den Klimawandel auch als eines zu begreifen gemeinsam, das sowohl Naturzusammenhänge oder naturwissenschaftlicher Forschung bedarf, als auch, wie ich es schon angedeutet habe, sowohl in seiner Verursachung als auch in den Folgen immer ein gesellschaftliches Phänomen ist. Da ist zum Beispiel der Begriff der Naturkatastrophe auch eigentlich kein sehr scharfer Begriff, da sozusagen es ein großer Unterschied ist, ob ein Tornado über einen menschenleeren Raum wie eine Wüste fegt oder wie im letzten Herbst über den Großraum New York / New Jersey. Das ist sozusagen halt … Die soziale Betroffenheit ist immer Teil dieser sogenannten Katastrophe beziehungsweise macht ein Extremwetterereignis erst zu einer solchen.

Frenzel: Aber wenn Sie jetzt Erzählungen daraus machen, wird es dann auch unwissenschaftlicher? Ich frage das deshalb: Wenn ich mit Klimaforschern direkt spreche, habe ich häufig den Eindruck, da sagt man mir, ja, es könnte sein, es könnte aber auch anders kommen, am Ende weiß man immer nicht genau. Man weiß, es gibt irgendwelche Veränderungen, aber kann es nicht genau sagen. Sie sind ja jetzt relativ konkret in Ihren Erzählungen und sagen, es wird Veränderungen geben. Also, ist das diese Ungenauigkeit, die Sie damit riskieren?

Sommer: Da muss man unterscheiden. Zum einen haben natürlich auch die Klimamodelle schon Ungenauigkeiten und ich würde sagen, dass sozusagen halt die gesellschaftliche Entwicklung noch komplexer ist als ein Klimasystem und dementsprechend auch alles, was in Richtung Szenarien geht, sich zum Beispiel niemals mathematisch vollständig wird darstellen lassen. Gleichzeitig haben wir aber auch etwas, das eine gewisse Dauerhaftigkeit oder Richtungsbeständigkeit in der gesellschaftlichen Entwicklung vorgibt. Es wird in Deutschland sich zum Beispiel nicht über Nacht die ökonomische Basis verändern. Wir werden sozusagen halt einen großen Industrieanteil auch in den kommenden Jahren behalten. Und das heißt, wir können zum Teil schon die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in welchen sich dann die modellierten Klimaveränderungen abspielen werden, heute beschreiben. Und spannend ist es dann, darüber nachzudenken, wie das zusammenwirkt.

Frenzel: Lassen Sie uns noch mal auf das Ende des Buches schauen: Da malen Sie ein bisschen die Zukunft aus, Deutschland 2040, zwei Varianten. Gibt es da eine gute und eine schlechte oder eigentlich nur eine sehr schlechte und eine etwas weniger schlechte?

Sommer: Nein, wir haben das schon im Versuch gemacht und das ist eigentlich auch die zentrale These des Buches, dass so etwas wie eine Klimaveränderung für Gesellschaften, für Menschen nie ein determinierender Faktor ist. Das ist eine von verschiedenen Rahmenbedingungen, auf die Gesellschaften sich dann einzustellen haben. Aber ob das dann mit katastrophalen Folgen im Zusammenhang steht oder auch als Anlass beziehungsweise als Aufhänger genommen werden kann, um halt gesellschaftliche Modernisierung, um gesellschaftliche Prozesse anzuschieben, die auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen, das hängt letztendlich von sozialen, von politischen Entscheidungen ab, die zum Teil schon heute getroffen werden müssen. Das heißt, es gibt nicht eine Folge, die per se eine bestimmte Klimaveränderung heute schon vorschreibt.

Frenzel: Es bleibt also in unseren Händen! "Zwei Grad mehr in Deutschland. Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird", so heißt das Buch, über das ich gesprochen habe mit einem der Koautoren, mit Bernd Sommer von der Universität in Flensburg. Herr Sommer, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Sommer: Vielen Dank!


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