Forschung an der Spree
Der Historiker Michael Erbe schildert die Entwicklung Berlins zu einem weltweit geachteten Zentrum der Naturwissenschaften. Sein besonderes Augenmerk gilt der Abhängigkeit des Forschers von der Politik.
Von 1710 bis 1910 machte Berlin in Sachen Wissenschaft einen gewaltigen Sprung nach vorne: Die Humboldt Universität nahm ihren Betrieb auf, die Charité wurde gegründet, die Akademie wurde ins Leben gerufen genauso wie die heutige Max-Planck-Gesellschaft. Mit der Gründung dieser vier großen Einrichtungen wurde die Stadt zum weltweit geachteten Zentrum der Naturwissenschaften. Leibniz bis Einstein lehrten und forschten hier. Der Historiker Michael Erbe blickt in seinem klugen Buch genau auf diese 300 Jahre Wissenschaft zurück. Herausgekommen ist so ein umfassender historischer Überblick, gespickt mit ausführlichem historischen Datenmaterial und zahlreichen Kurzbiografien der wichtigsten Forscher.
Dabei wird schnell klar, wie stark die Wissenschaft von der Politik abhängig ist. Michael Erbe hat diesen wichtigen Punkt hervorragend herausgearbeitet. Ausführlich beleuchtet er die jeweiligen Verhältnisse der Herrscher zu den Gelehrten. Gottfried Wilhelm Leibniz etwa konnte zu Beginn des 18. Jahrhunderts den preußischen König nur deshalb von der Gründung einer Gelehrten Akademie überzeugen, weil er sich bei dessen Gattin Sophie Charlotte Gehör verschaffte. Der König selbst war lediglich an medizinischer Expertise interessiert, erhoffte er sich doch, eine bessere Versorgung seiner Soldaten.
100 Jahre später, die Humboldt Universität ist frisch eröffnet, erlebt der Philosoph Friedrich Hegel eine enorme Förderung, weil er in seinem Rechtsverständnis auf absolute Autorität setzt. Dagegen wird Rudolf Virchow, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Pathologe an der Berliner Charité arbeitet, trotz großer wissenschaftlicher Erfolge, wie der erfolgreichen Behandlung des weitläufig grassierenden Flecktyphus, aus seinem Amt entlassen, weil er sich öffentlich gegen die Regierung stellt. Allerdings ist sein wissenschaftliches Renommee so groß, dass man ihn später wieder nach Berlin zurückholt.
Es sind genau diese persönlichen Schicksale aus 300 Jahren Wissenschaftsgeschichte, die Michael Erbes Buch so lesenswert machen. Zeigen sie doch eindrücklich, welchen Weg der Wissenschaftsstandort Berlin nahm. Wie bedeutend die Stadt wurde, was auch die zahlreichen Nobelpreise belegen, die an Berliner Forscher verliehen wurden. Das alles auf knapp 200 Seiten zu erzählen, mit allen wichtigen Fakten und Hintergründen, ist eine enorme Leistung. Zumal Erbe eben auch die politischen Bezüge nie aus dem Auge verliert.
Ab 1933 nimmt der politische Einfluss auf die Wissenschaft dramatisch zu: Fast alle jüdischen Wissenschaftler, darunter der Nobelpreisträger Albert Einstein, verlassen Berlin. Ein Verlust, von dem sich die Wissenschaft an der Spree bis heute nicht wirklich erholt hat, so Michael Erbe, denn auch nach 1945 setzte sich, zumindest im Ostteil der Stadt, die gezielte Einflussnahme fort. Trotz zahlreicher großartiger Ideen ist gute Wissenschaft ohne politischen Willen und finanzielle Mittel nicht machbar, resümiert deshalb der Autor. Und zwar bis heute. Dem Mythos der berühmten Forschungseinrichtungen und ihrer Wissenschaftler tut diese Erkenntnis allerdings keinen Abbruch.
Besprochen von Susanne Nessler
Michael Erbe: Von Leibniz bis Einstein. Drei Jahrhunderte Wissenschaft in Berlin
Verlag Wolf Jobst Siedler, Berlin 2010
218 Seiten, 18 Euro
Dabei wird schnell klar, wie stark die Wissenschaft von der Politik abhängig ist. Michael Erbe hat diesen wichtigen Punkt hervorragend herausgearbeitet. Ausführlich beleuchtet er die jeweiligen Verhältnisse der Herrscher zu den Gelehrten. Gottfried Wilhelm Leibniz etwa konnte zu Beginn des 18. Jahrhunderts den preußischen König nur deshalb von der Gründung einer Gelehrten Akademie überzeugen, weil er sich bei dessen Gattin Sophie Charlotte Gehör verschaffte. Der König selbst war lediglich an medizinischer Expertise interessiert, erhoffte er sich doch, eine bessere Versorgung seiner Soldaten.
100 Jahre später, die Humboldt Universität ist frisch eröffnet, erlebt der Philosoph Friedrich Hegel eine enorme Förderung, weil er in seinem Rechtsverständnis auf absolute Autorität setzt. Dagegen wird Rudolf Virchow, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Pathologe an der Berliner Charité arbeitet, trotz großer wissenschaftlicher Erfolge, wie der erfolgreichen Behandlung des weitläufig grassierenden Flecktyphus, aus seinem Amt entlassen, weil er sich öffentlich gegen die Regierung stellt. Allerdings ist sein wissenschaftliches Renommee so groß, dass man ihn später wieder nach Berlin zurückholt.
Es sind genau diese persönlichen Schicksale aus 300 Jahren Wissenschaftsgeschichte, die Michael Erbes Buch so lesenswert machen. Zeigen sie doch eindrücklich, welchen Weg der Wissenschaftsstandort Berlin nahm. Wie bedeutend die Stadt wurde, was auch die zahlreichen Nobelpreise belegen, die an Berliner Forscher verliehen wurden. Das alles auf knapp 200 Seiten zu erzählen, mit allen wichtigen Fakten und Hintergründen, ist eine enorme Leistung. Zumal Erbe eben auch die politischen Bezüge nie aus dem Auge verliert.
Ab 1933 nimmt der politische Einfluss auf die Wissenschaft dramatisch zu: Fast alle jüdischen Wissenschaftler, darunter der Nobelpreisträger Albert Einstein, verlassen Berlin. Ein Verlust, von dem sich die Wissenschaft an der Spree bis heute nicht wirklich erholt hat, so Michael Erbe, denn auch nach 1945 setzte sich, zumindest im Ostteil der Stadt, die gezielte Einflussnahme fort. Trotz zahlreicher großartiger Ideen ist gute Wissenschaft ohne politischen Willen und finanzielle Mittel nicht machbar, resümiert deshalb der Autor. Und zwar bis heute. Dem Mythos der berühmten Forschungseinrichtungen und ihrer Wissenschaftler tut diese Erkenntnis allerdings keinen Abbruch.
Besprochen von Susanne Nessler
Michael Erbe: Von Leibniz bis Einstein. Drei Jahrhunderte Wissenschaft in Berlin
Verlag Wolf Jobst Siedler, Berlin 2010
218 Seiten, 18 Euro