Forschung

Superauge im Weltall

Von Joachim Baumann |
Wie ist unser Universum entstanden und wie wird es in Zukunft aussehen? Das Teleskop "Gaia" soll Antworten auf diese Fragen liefern - und dazu eine Milliarde Sterne entdecken.
"Wir wollen hier mal fragen: Halten Sie es für möglich, dass man vom Mond aus mit einer Kamera ein Ein-Euro-Stück oder einen Daumennagel fotografieren kann?"
"Flächendeckend nein. Die Entfernung ist zu weit. Ich könnte mir das jetzt nicht vorstellen."
"Ja, glaube ich. Man kann doch alles momentan so ranzoomen. Ich glaube schon, dass man das kann."
Und ob man kann!
"Wenn Sie sich mit Gaia auf dem Mond befinden. Dann sehen Sie damit auf der Erde ein einzelnes Euro-Stück. So präzise ist das!"
Wenn Wolfgang Pitz über "Gaia" spricht, leuchten seine Augen vor Begeisterung. Der Direktor für Erdbeobachtung, Navigation und Wissenschaft am Standort Friedrichshafen des Raumfahrtkonzerns Astrium hat an der Entwicklung des weltweit leistungsfähigsten Raumfahrtteleskops "Gaia" mitgearbeitet. Der Name steht für "Globales Astronomisches Interferometer für die Astrophysik" – ein Weltraumteleskop der Superlative, das vom Mond aus tatsächlich eine Münze formatfüllend fotografieren könnte. Doch vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Auftrages ist diese Präzision auch notwendig.
"Die Sternenkarten, die wir augenblicklich haben – da haben wir so etwa um die 100.000 Sterne beschrieben, genau mit Position. 'Gaia' wird insgesamt über eine Milliarde Sterne frisch vermessen, und das mit einer bisher unerreichten Genauigkeit."
Ein Sternenatlas in 3D
Doch damit nicht genug: Das europäische Weltraumteleskop wird nicht nur die Position der Sterne bestimmen,
"…sondern auch ihre Bewegung, die Geschwindigkeit. Das erlaubt uns dann nachher einen Sternenatlas zu erzeugen in 3D. Und mit der vierten Komponente Zeit, also mit der vierten Dimension lässt sich vorhersagen, wie sich das Universum in Zukunft entwickeln wird, wohin sich die Sterne bewegen werden, wie das Universum in Zukunft aussehen wird."
Mit den Daten darüber, mit welchen Geschwindigkeiten und in welche Richtungen die Sterne durchs Universum rasen, blicken die Astronomen nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit: Durch die Analyse der Bewegungsdaten lassen sich Rückschlüsse ziehen über die Entstehung des Universums. Daneben blicken die Astronomen mit Hilfe von "Gaia" aber auch in den Nahbereich, ins eigene Sonnensystem. Wolfgang Pitz:
"Und für uns auf der Erde noch wichtiger: Wir werden mit 'Gaia' auch um die 200.000 neue Asteroiden, die bisher noch nicht bekannt sind und noch nicht vermessen, entdecken und genau in Position vermessen, damit wir sehen, was in Zukunft einmal auf uns zukommt."
Und das will der Raumfahrtexperte von Astrium durchaus wörtlich verstanden wissen: Viel präziser als bisher lassen sich mit "Gaia" jene Asteroiden ausmachen, die als riesige Gesteinsbrocken durchs All rasen.
"In unserer Erdgeschichte sind schon sehr große Brocken angekommen, zum Beispiel der Asteroid, der damals in der Nähe von Mexiko eingeschlagen ist und zum Aussterben der Dinosaurier geführt hat. Und es ist für uns auf der Erde einfach wichtig, zu wissen, was auf uns zukommt, damit wir auch etwas dagegen tun können."
"Wir schauen in die Tiefen des Weltraums"
Wie "Gaia", das "Superauge" fürs All, tatsächlich funktioniert, erkennen geübte Betrachter wie Wolfgang Pitz bereits an der äußeren Form:
"Im Endeffekt haben Sie unten eine Scheibe, das Sonnenschild, und oben drauf eine elektrische Tonne, in der sich das Teleskop befindet. Das sieht ein bisschen aus wie eine fliegende Untertasse von oben."
Die Untertasse besteht aus dem bislang erstmals für Raumfahrtzwecke verwendeten Material Siliziumcarbid. Das lässt sich nur sehr schwer bearbeiten, hat aber die Eigenschaft, extremsten Temperaturschwankungen zu widerstehen. In diese Untertassenstruktur eingelassen sind gleich zwei Teleskope.
"Die beiden Teleskope sind in einem gewissen Winkel zueinander angebracht, der sehr, sehr stabil sein muss über die Mission."
Das ist deshalb wichtig, weil die beiden Teleskope die Bewegungen zwischen zwei Himmelskörpern über die Winkel bestimmen, in dem sie sowohl zum einen als auch zum anderen Teleskop stehen. Diese Bewegungsdaten lassen Rückschlüsse auf das Ausmaß des Auseinanderdriftens des Universums zu. Um die Stabilität zusätzlich zu erhöhen, wird "Gaia" an einem so genannten "La Grange"-Punkt zwischen Erde und Sonne platziert. Dort heben sich die Schwerefelder weitgehend gegenseitig auf. Für "Gaia" ist dies eine ideale Position, die das Weltraumteleskop aber erst in etwa einem Monat erreicht haben wird. Erst dann beginnt die wissenschaftliche Mission, der Wolfgang Pitz von Astrium große Bedeutung beimisst.
"Wir schauen in die Tiefen des Weltraums. Wir erweitern unsere Erkenntnisse darüber, wie das Weltall entstanden ist, wohin es sich entwickelt. Weiterhin interessiert mich allerdings auch Leben im Weltall. Und die Entdeckung neuer Planeten ist für mich etwas total Faszinierendes."
Für all das hat "Gaia" nicht mehr als fünf Jahre Zeit. Über diesen Zeitraum hinweg hat die europäische Raumfahrtmission ESA die Mission angelegt – nicht mehr als der Hauch eines Wimpernschlages im Verglich zum Alter der Himmelskörper, die "Gaia" entdecken soll.
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