Forschung

Wie sich Wissenschaft von der Gesellschaft abkoppelt

Eine Gruppe von Silhouetten mit Doktorhüten steht vor einer Mauer.
Wissenschaftler müssen ihre Forschungsergebnisse auch gegenüber Laien kommunizieren, fordert Matthias Gronemeyer. © imago / Ikon Images
Ein Standpunkt von Matthias Gronemeyer |
Ein Wissenschaftsbetrieb, der nur auf Zählbarkeit, Zitationsindizes und Internationalität (also Englisch) setzt, verliert den Kontakt zur Öffentlichkeit, kritisiert Matthias Gronemeyer. Dabei hätten Forscher eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft.
Letztens bekam ich ein E-Mail aus China: Miss Linda Yang fragte mich in bestem Englisch, ob ich nicht bereit wäre, bei einer internationalen Konferenz zu Erziehungsthemen in Jinan einen Vortrag zu halten. Man hatte sich offenbar Mühe gegeben, denn die Einladung kam nicht ohne Verweis auf einen Artikel, den ich vor Zeiten in einem deutschen Fachorgan veröffentlicht hatte. Sonst werde ich nicht zu Konferenzen eingeladen, ich gehöre definitiv nicht zum akademischen Jetset.
Sollte der Chinese hier etwas erkannt haben, was man hierzulande hartnäckig ignoriert? Ich war im ersten Moment gerührt. Das Ganze stellte sich dann schnell als Schmu heraus, als ein weiteres Potemkinsches Dorf im Wissenschaftsbetrieb, das gegen saftige Gebühren einen klangvollen Eintrag im akademischen Lebenslauf verspricht.
Als ich zurückschrieb, dass mein – ebenso wie die chinesische Konferenz frei erfundenes – Institut für dieses Jahr kein Budget mehr habe, hörte ich von Miss Yang nichts mehr.

Ein Markt für fadenscheinige akademische Reputation

Dieser Markt für fadenscheinige akademische Reputationen konnte sich nur entwickeln, weil der Wissenschaftsbetrieb selbst längst kapitalistischen Marktkriterien unterworfen ist. Früher bekam man für seine Studienleistungen Noten, heute bekommt man Credits, also Kredit, den man dann in akademische Abschlüsse und anschließende Karrieren ummünzen kann.
Universitäten führen Punktelisten für ihren wissenschaftlichen Nachwuchs, und nach soundsoviel Papers in International Journals und soundsoviel Contributions auf International Conferences bekommt man dann seinen Doktortitel. Da kann so ein Angebot aus China schon mal verlockend sein.
Wenn die Bundesregierung nun in ihrem Bericht über den Bologna-Prozess einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit beklagt und die "Prinzipien des Europäischen Hochschulraums in Frage gestellt" sieht, dann sieht man dicke Krokodilstränen kullern. Nicht zuletzt die deutsche Hochschulpolitik selbst hat nämlich die Ökonomisierung der Wissenschaft vorangetrieben, zählbare Ergebnisse über inhaltliche Originalität gestellt und sie einer einheitlichen Verkehrssprache unterworfen.

Was ist Wissenschaft und was ist Fake?

Mit der Folge, dass Wissenschaft inzwischen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Was in Papers und auf Conferences auf Englisch publiziert wird, ist für den Laien nicht oder nur schwer zugänglich. Ob das Ganze wirkliche Wissenschaft ist, die öffentliche Förderung verdient, oder doch nur Fake wie in Jinan, kann das Publikum gar nicht mehr beurteilen.
Die deutsche Politik hat die Wissenschaft längst instrumentalisiert, um im anglo-amerikanisch dominierten Betrieb ein bisschen mit am Tisch sitzen zu dürfen. Wenn die Lehre an den Universitäten aber finanziell ausgehungert wird und Forschungsgelder nur noch über Drittmittelanträge zu bekommen sind, dann werden auch nur noch die Themen bearbeitet, die in der science economy gerade Konjunktur haben.
Wen wundert es da, wenn sich im Volk Argwohn breitmacht und man sich gegebenenfalls seine "alternativen Fakten" selbst zusammenbastelt?
Die Angst vor global-wissenschaftlichem Abgehängtsein ist dabei unbegründet, zumindest aber unangemessen. Eine Theorie wird nicht dadurch schlechter, dass sie als allgemein zugängliches Buch auf deutsch (oder französisch oder russisch) veröffentlicht wird. Wissenschaftler sollten ihre Erkenntnisse erst einmal der Gesellschaft zurückgeben, die ihre Forschung ermöglicht. Nur so lässt sich die Wissenschaftsfeindlichkeit überwinden und die Notwendigkeit der Freiheit der Forschung vermitteln.
Wissenschaftler sollten nicht untereinander konkurrieren wie irgendwelche Unternehmen. Denn der wahre Konkurrent der Wissenschaft ist immer noch – die Ignoranz.

Matthias Gronemeyer ist promovierter Philosoph. Er lebt als freier Autor und Publizist ist Stuttgart. Zuletzt erschienen von ihm die vielbeachtete poetisch-philosophische Studie "vögeln – eine Philosophie vom Sex" und die Erzählung "Ein vernünftiges Gefühl" sowie sein Roman "Im leichten Sitz" über eine Jugend in den 1950er-Jahren.

© Iris Merkle
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