Forschungsförderung

Herr Kant und die Drittmittel

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant ("Kritik der reinen Vernunft") in einem Stich von Johann Leonhard Raab nach einem Gemälde von Gottlieb Döbler aus dem Jahr 1781.
Der Philosoph Immanuel Kant hat jahrelang nichts publiziert, um denken zu können. © dpa / picture alliance / Bertelsmann Lexikon Verlag
Von Klaus Peter Weinert · 02.04.2014
Hochschulen stehen zunehmend unter Druck, Drittmittel aus der Wirtschaft für Forschungsprojekte einzuwerben. Der Publizist Klaus Peter Weinert hält diese Entwicklung für fragwürdig: Hätten Immanuel Kant oder Albert Einstein unter finanziellem Druck ihr Genie ausleben können?
Vor einigen Wochen war in der renommierten amerikanischen Zeitschrift "The Nation" zu lesen, dass zwei Forscher der Universität Columbia entlassen wurden. Der Grund: Sie warben zu wenig "Grants" ein, also Gelder für die Universität.
Unter den kritischen Beobachtern rief dieses Verhalten Protest hervor, zumal die beiden Wissenschaftler sich dadurch auszeichneten, dass sie ihre Verantwortung für die Gesellschaft wahrgenommen haben, indem sie die Öffentlichkeit über ihre Arbeit auch durch Medien unterrichteten.
Während die Privatisierung der Forschung durch Geldmittel-Einwerbung in den USA längst auch kritisch gesehen wird, gewinnt sie in Deutschland weiter an Bedeutung. Sogenannte Drittmittel werden immer häufiger zum Beleg für den Fleiß der Dozenten und Professoren. Wem es nicht gelingt, Gelder bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Privatwirtschaft locker zu machen, dem haftet mittlerweile ein Makel an, so scheint es, er gilt als weniger effizient und auch als nicht so leistungsfähig.
Forschung mit Geld der Rüstungsindustrie
Gewiss, ökonomische Mittel sind unverzichtbar, da Forschung Geld kostet, insbesondere bei den naturwissenschaftlichen Fächern und den Ingenieuren, wohin die meisten Drittmittel fließen. Problematisch wird es dann, wenn auch fragwürdige Aufträge aus der Rüstungsindustrie angenommen werden.
Höhere Drittmittel können ein Beleg dafür sein, dass Forschung qualitativer wird, sie müssen es aber nicht sein. Wenn wir zum Beispiel an Physiker wie Planck und Einstein denken oder an Mediziner wie Semmelweis und Sauerbruch, dann haben diese Außergewöhnliches mit geringerem ökonomische Einsatz entdeckt oder geleistet, besonders auch aufgrund der Freiräume und der Kreativität der Forscher. Besteht nicht die Gefahr durch Drittmittel, insbesondere wenn sie aus der Wirtschaft kommen, dass Wissenschaft immer weniger der kreativen Idee folgt, sondern den ökonomischen Strategien und Bedingungen der Industrie?
So war die spezielle Relativitätstheorie oder die Entdeckung der Röntgenstrahlen keine Auftragsforschung, sondern entstand aus Genie und Zufall; beides ist für die Erkenntnis gerade in den Naturwissenschaften unerlässlich, um dem kreativen Zufall oder den vermeintlichen Verrücktheiten eines Genies Freiheit zu gewähren.
Erkenntnis durch Genie und Zufall
Gewinnorientierte Forschung ist leider nicht immer sehr einfallsreich. Das belegt die pharmazeutische Industrie hin und wieder, wenn scheinbar neue Medikamente nichts Neues leisten, wenn Altbekanntes in ein neues Gewand gekleidet wird. So besteht die Gefahr, dass Drittmittel für Forschungsvorhaben eingeworben werden, die vor allem eines sind: unter Renditegesichtspunkten nützlich. Das braucht nicht negativ zu sein, schränkt aber ein. Denn wenn Aufträge angenommen werden, um ökonomische Ziele zu erreichen, dann verbleibt weniger Zeit fürs Experimentieren und Ausprobieren.
Immanuel Kant hat jahrelang nichts publiziert, um denken zu können, bevor er seine drei Kritiken zu veröffentlichen begann. Denken braucht Zeit, nicht nur in der Philosophie. Einstein hat auch viel nachgedacht, spielte zwischendurch Geige und hatte offenbar Bilder in seinem Kopf, aus denen dann seine Theorien entstanden. Die Drittmittel-Einwerbe-Praxis und die Begründungen für Forschungsvorhaben lenken Professoren, Dozenten und Studenten davon ab, sich auch einmal zweckfrei über Phänomene Gedanken zu machen.
Zweckfreiheit löst sich von bekannten Trampelpfaden. Gerade in den ökonomischen Wissenschaften besteht die Tendenz, dass Professoren über Drittmittel und attraktive und gut bezahlte Posten in Vereinen, Organisationen oder sogar Aufsichtsräten im Dienst der Praxis stehen. Das hört sich gut an, birgt jedoch die Gefahr, dass Wissenschaft zur Lobbyarbeit wird, die nach Effizienz und nicht nach Erkenntnis strebt.
Natürlich kommt der kreative Einfall nicht durch Faulheit. Auch Kant war sehr fleißig. Ob Kant aber seine Kritiken hätte schreiben können, hätte er Drittmittel einwerben müssen, darüber könnte man zumindest einmal nachdenken.
Klaus Peter Weinert ist Wirtschafts- und Fachjournalist. Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.
Klaus Peter Weinert
Klaus Peter Weinert© privat