Wenn die Smartwatch Leben rettet
Mit handelsüblichen Smartwatches messen Forscher aus Rostock die Schlafqualität ihrer Probanden. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, Schlafstörungen zu erkennen - und könnten künftig sogar Diabetikern das Leben retten.
Etwas größer als eine Armbanduhr, aber bei weitem nicht so klobig wie eine Taucheruhr: Ursula Drews empfindet die kleine, schwarze Smartwatch an ihrem Handgelenk als praktisch und komfortabel:
"Das ist sehr angenehm, muss ich sagen, weil das nicht direkt Leder ist. Es ist so eine Art Gummi, und das passt sich gut an, verrutscht auch nicht."
Ursula Drews lebt in einem kleinen Seniorenheim in Lutterstorf bei Wismar. Die 78-jährige Rentnerin ist Probandin in einem Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung in Rostock. Dem Ingenieur Gerald Bieber ist es gelungen, handelsübliche Smartwatches so zu programmieren, dass sie die Schlafqualität und andere Aktivitäten des Uhrenträgers erfassen können:
"In den Smartwatches sind Beschleunigungssensoren integriert, verbaut. Das bedeutet: Die Smartwatch ist in der Lage, kleinste Bewegungen - egal in welche Richtung - festzustellen und zu messen. Der Hersteller der Uhren hofft durch die Integration der Beschleunigungssensoren neue Anwendungen im sportlichen Bereich geben zu können. Dass man z.B. Joggen oder andere sportliche Aktivitäten besser messen kann. Wir verwenden die Smartwatch, um mit Hilfe der integrierten Sensorik die körperliche Aktivität zu erfassen und auszuwerten."
Und dies vor allem auch nachts, im Schlaf. Die Sensoren erfassen zum einen kleinste Bewegungen, die durch Atmung oder Pulsschlag ausgelöst werden; und zum anderen größere Bewegungen wie das Zucken der Beine oder das Wälzen des Körpers im Schlaf. Diese Bewegungsfolgen werden mit bereits bekannten Schlaf- und Wachmustern abgeglichen und liefern in der Summe wertvolle Information über Länge und Qualität des Schlafes:
"Der Schlaf ist natürlich insofern interessant: Auf der einen Seite durch die Fragmentierung des Schlafes, also wie durcheinander ich schlafe. Aber auch wann ich einschlafe, wann ich wieder aufwache. Wann mein Schlafhöhepunkt ist, so dass ich auch die Regelmäßigkeit des Schlafes sehen kann; um dann auch rückschließen zu können, wie gesund mein Schlaf tatsächlich für mich ist."
Die Diagramme könnten für Hausärzte eine wichtige Hilfe werden
Die von der Smartwatch gesammelten Informationen werden in einem "Digitalen Schlaftagebuch" anschaulich aufbereitet. Gerald Bieber betrachtet jetzt auf seinem Laptop ein buntes Kurvendiagramm: Es ist die grafische Darstellung des Nachtschlafes von einem seiner Probanden. Heftige Ausschläge nach oben - in kräftigem Rot - stehen für tiefen, gesunden Schlaf. Kleine Ausschläge in knalligem Grün zeigen Wachphasen an:
"Das Diagramm fängt hier ab 0 Uhr an, das bedeutet: Der Proband hat hier geschlafen. Und wir können sehen, dass der Proband kurz nach 3 Uhr wieder aufgewacht ist, für einen kurzen Zeitraum; da wird es auf einmal grün. Da das aber sehr kurz gewesen ist, war das wahrscheinlich ein Gang zur nächtlichen Toilette oder sowas."
Intensivere Bewegungen wie der meterlange Gang zur Toilette werden als gelbe Phase in der Aktivitätskurve angezeigt. Wenn der Proband die Uhr ablegen und im Bad liegen lassen sollte, würde die Kurve in ein tiefes blau wechseln. Der Proband behält die Uhr aber an, geht zurück ins Bett - und schläft auch schnell wieder ein:
"Die Kurve steigt dann in Rot wieder an, bis er fast den Maximalwert hatte. Er hatte dann sehr ruhig geschlafen, hat sich wahrscheinlich um kurz nach 4 Uhr noch einmal umgedreht, sich im Bett gewälzt. Und man kann dann erkennen, dass sehr abrupt diese Kurve beendet wird. Das bedeutet, wahrscheinlich wird um kurz vor 7 Uhr der Wecker geklingelt haben. Die Farbe wechselt von rot auf grün. Das bedeutet, der Proband war jetzt wieder wach und hat seinen Tag begonnen."
Ein Schlafdiagramm ohne Auffälligkeiten. Wenn aber das System Schlafstörungen anzeigt, also unruhige Phasen im Halbschlaf oder sogar längere Atemaussetzer, dann wären solche Diagramme für den Hausarzt künftig eine wichtige Hilfe, um Schlafstörungen zu erkennen, ihre Ursachen zu ergründen und die optimale Therapie einzuleiten.
Alarmsignal an die Nachtschwester im Pflegeheim
Als nächstes möchte Gerald Bieber mit handelsüblichen Smartwatches rechtzeitig erkennen können, wenn zum Beispiel ein Diabetes-Patient während des Schlafes in das gefürchtete, häufig auch lebensbedrohliche Zuckerkoma fällt:
"Wir gehen fest davon aus, dass wir auch eine Bewusstlosigkeit durch die Smartwatch erkennen können. Und wir arbeiten daran, andere Schlafanomalien erkennen zu können. Das bedeutet: Durch diese Bewegungen, durch die Kleinstbewegungen, gehen wir auch davon aus, dass wir ein Zittern erkennen können. Wir hoffen, dass wir in Zukunft dann natürlich auch Unterzuckerungen von Diabetikern erkennen können; vielleicht auch noch mit neuen Sensoren, die jetzt bei den Smartwatches eingesetzt werden; so dass wir dann diese schreckliche gefürchtete, meist unerkannte nächtliche Unterzuckerung bei Diabetikern erkennen können."
Dann könnte die Smartwatch am Handgelenk des Diabetes-Patienten über das hausinterne W-Lan-Netz eine Warnmeldung senden, die zum Beispiel auf dem Tablet-Computer eines Angehörigen aufläuft - oder auch im Pflegeheim im Zimmer der Nachtschwester:
Für Regina Schmidt, Leiterin der häuslichen Kranken- und Altenpflege in Lutterstorf, wäre diese sofortige Warnmeldung eine wichtige Ergänzung zu den nächtlichen Kontroll-Rundgängen:
"Die Warnkette läuft dann so, dass die Pflegefachkraft als erste reagiert und den Blutzucker misst, damit sie einen Ausgangswert hat; um dann entsprechend Glukose zuzuführen und den Arzt zu informieren. Also, die Erste Hilfe muss natürlich sofort erfolgen, und dann wird der Notarzt informiert."
Diese Rettung wäre aber nur möglich, wenn die Smartwatch die ganze Nacht über am Handgelenk bleibt. Für Ursula Drews ist das aber nie ein Problem gewesen:
"Das habe ich auch nachts getragen. Das ist genauso, als wenn Sie eine Armbanduhr umhaben. Das ist ja alles weich und passt sich an."