Wissenschaftler untersuchen DDR-Kunstraubsystem
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Gemälde, politische Dokumente, Kuchengabeln – all das stahl die Stasi, als sie 1962 private Schließfächer öffnete. Zudem enteignete die DDR Landgüter und beschlagnahmte Besitz. Wissenschaftler haben sich einen ersten Überblick verschafft.
Aus den Krimis weiß man, dass es oft mehr als ein Motiv für eine Tat gibt. So auch bei der "Aktion Licht", in der Erich Mielke nach dem Mauerbau, im Januar 1962, verwaiste Bankschließfächer und Safes öffnen ließ.
Die Staatsicherheit wollte damit einerseits an die begehrten Kulturgüter und Wertgegenstände kommen, um sie gegen Devisen in den Westen zu verscherbeln. Andererseits hoffte das Ministerium für Staatssicherheit durch den Zugriff auf die privaten Schließfächer, an Unterlagen und Dokumente über geflohene politische Gegner zu gelangen. Denn die herrenlosen Bankdepots gehörten zu einem Teil Republikflüchtlingen, zum großen Teil aber jüdischen Deutschen, die im Holocaust ermordet worden waren.
"Der mögliche Zusammenhang der nachrichtenlosen Depoteinlagen mit der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Deutschen durch die Nationalsozialisten war zum Zeitpunkt der Aktion noch keine 20 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft auch im Ministerium für Staatssicherheit sehr präsent. Hinweise darauf wurden gezielt beseitigt", erklärt Thomas Widera, Historiker im Hannah-Ahrendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der TU Dresden. Seit knapp zwei Jahren erforscht er die "Aktion Licht" als Pilotprojekt.
Gegenstände im Wert von 4,1 Millionen Mark
Mehrere Tausend Schließfächer und Safes wurden damals leergeräumt und Gegenstände im Wert von 4,1 Millionen Mark erbeutet. Wirtschaftlich blieb die Aktion dennoch hinter den Erwartungen zurück. Denn unter den Kulturgütern befanden sich neben Gemälden, Antiquitäten und Schmuck auch Besteckteile wie Kuchengabeln und Kaffeelöffel.
Die Vermarktung über den staatlichen Kunsthandel der DDR verlief schleppend. Umso akribischer verwischte die Stasi alle Spuren zu den vorherigen Eigentümern.
"Das ist eben dem Ministerium für Staatssicherheit tatsächlich gelungen, diese Provenienzen vollständig zu verunklaren", sagt Thomas Widera. "Gerade was die Bilder angeht: Da gibt es natürlich die Beschreibung 'Mädchenkopf' und damit kann man nichts mehr anfangen heute."
Umfassende Enteignung der Landgüter
Für die Erforschung der Beteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit und anderer Akteure am Kunstraub hat das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste mit zahlreichen Kooperationspartnern zusammengearbeitet: Darunter ist neben dem Hannah-Ahrendt-Institut auch die Behörde für die Stasi-Unterlagen und der Museumsverband Brandenburg – denn der Kunst-Raubzug der Stasi an seinen Bürgern war komplex.
Da war einerseits die Bodenreform zwischen 1945 und 1947, bei der systematisch Landgüter enteignet wurden. Das Inventar von Herrenhäusern und Schlössern sollte in den Besitz des Volkes übergehen. Was nicht schon zuvor von den Sowjets oder der Dorfbevölkerung geplündert worden war, wurde gesichert und meist von den nächstgelegenen Museen in Obhut genommen.
Später wurde das zurückgelassene Eigentum von Republikflüchtlingen und Ausreisewilligen eingezogen. In den Inventarbüchern der Museen tauchen diese Objekte oft verschleiernd als "Zuweisungen" oder "Übergaben" auf. Manchmal vermerkten die Archivare auch eine klare Herkunftsangabe: "Nachlass Familie XY, Republikflucht."
Hunderte Fälle allein in Dresden
Dazu kam die systematische Abpressung von Kulturgütern über hohe Steuerforderungen an private Kunstbesitzer und die Veräußerung von Kunstwerken zum Zweck der Devisenbeschaffung an den Westen, wovon nicht nur der Kunsthandel, sondern auch westdeutsche Museen profitierten. Der Verkauf lief über die eigens gegründete Kunst- und Antiquitäten GmbH in Mühlenbeck bei Berlin, die zum Imperium des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski gehörte.
Die Chancen auf Rückgabe stehen schlecht, denn die Frist für Anträge auf Rückübertragung lief in den 90er-Jahren aus, erklärt Gilbert Lupfer, Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.
"Wenn dieser Antrag nicht gestellt wurde, und jetzt stellt jemand fest, mir fehlt das, das könnte sich im Museum XY befinden und es befindet sich vielleicht auch dort, dann ist es insofern für das Museum ein Problem, dass es dann keine gesetzliche Grundlage zu einer Rückgabe gibt. Bei einzelnen Museen, Beispiel Dresden, geht das in die Hunderte von Fällen und betrifft zigtausend Objekte."
Kulturgüter zweifelhafter Herkunft auch im DHM
Zwischen einem und acht Prozent der Bestände ostdeutscher Museen seien betroffen, so die Schätzung der Wissenschaftler. Aber auch das Deutsche Historische Museum hat immer wieder mit dem Thema Provenienz zu tun. Denn es übernahm 1990 die Sammlung des in der DDR staatlich gelenkten "Museums für Deutsche Geschichte" – mit zahlreichen Kulturgütern zweifelhafter Herkunft.
1952 eröffnet, sollte damals aktiv eine eigene Sammlung aufgebaut werden. Die Einlieferer der Objekte, mit der die Geschichte des sozialistischen Vaterlands DDR als Klassenkampf der Arbeiter und Bauern gegen die Feudalherrschaft der Junker inszeniert wurde, waren die üblichen Verdächtigen: Strafverfolgungsbehörden, Räte von Städten und Gemeinden, das Finanzministerium oder die SED selbst.