Fortschritt durch Kooperation
Lange Zeit dominierte die These, die Menschheit habe sich nur aus Eigennutz und zur Lustmaximierung entwickelt. Jeremy Rifkin hingegen sieht die Menschheitsgeschichte als fortwährende soziale Interaktion. Das Problem: Je größer unsere Verbundenheit im Zuge der Globalisierung, um so größer ist auch unser Energieverbrauch.
Die Menschheit steht am Scheideweg. Entweder wir schaffen es, die rücksichtlose Ausbeutung von Mensch und Natur zu stoppen, oder wir rasen auf eine Klimakatastrophe ungeahnten Ausmaßes zu. Das ist die zentrale Herausforderung, der sich unsere Zivilisation nach Meinung des amerikanischen Zukunftsforscher Jeremy Rifkin zu stellen hat. Damit reiht sich auch dieser visionäre Denker ein in den illustren Chor derjenigen, die immer lauter eine sofortige Verminderung des CO2-Ausstoßes und ein konsequentes Umsteigen auf nachhaltige Energien fordern.
Rifkins Beitrag zur Debatte ist eine historische Aufarbeitung des paradoxen Verhältnisses zwischen Empathie und Entropie. Je größer unsere Verbundenheit miteinander, die sich im Zeitalter globaler Wirtschaftskreisläufe mittlerweile über den ganzen Erdball erstreckt, desto größer auch unser Energieverbrauch. Empathie braucht Muße, Muße braucht Ressourcen. Ein Teufelskreis.
Rifkin schreibt klar, präzise, suggestiv. Die Entwicklung zum sogenannten Homo Empathicus beleuchtet er aus verschiedenen Perspektiven, beginnend mit einer grundlegenden Verschiebung unseres Menschenbildes. Während frühe Denker den Einzelnen von Eigennutz oder Lustmaximierung getrieben sahen, haben postfreudianische Objektpsychologen den Menschen als zutiefst soziales Wesen erkannt. Wir kommen auf die Welt mit dem Wunsch, zu lieben bzw.geliebt zu werden und auf vielfältige Weise mit der Welt und den anderen in Beziehung zu stehen.
Im weiteren Verlauf des Buches widmet sich Rifkin der Zivilisationsgeschichte als Empathiegeschichte. Dabei ordnet er den Weltenlauf großzügig nach dieser Grundidee, was zur willkürlich scheinenden Auslassung der griechischen Antike oder der Diktaturen des 20. Jahrhunderts führt.
Spannend ist es dennoch. In großen eleganten Schwüngen zeichnet Rifkin die Geschichte der westlichen Welt als Resultat von Energie- und Kommunikationsrevolutionen. Die erste industrielle Revolution begann Ende des 18. Jahrhunderts durch Dampfkraft und Kohleabbau, unterstützt von der Erfindung der Druckerpresse. Die zweite industrielle Revolution Ende des 19. Jahrhunderts vollzog sich mittels der Nutzung fossiler Brennstoffe und war begleitet von den modernen Massenmedien. Rifkin zeigt: Auf Wohlstandshöhepunkten kam es immer wieder zu Empathieschüben; vom Humanismus über die Romantik hin zur modernen Pädagogik.
Das menschliche Energieparadoxon in aller Deutlichkeit formuliert zu haben ist der große Verdienst dieses Buches. Laut Rifkin stehen wir vor der dritten industriellen Revolution – lokal gewonnene und erneuerbare Energie geht mit der Möglichkeit globaler Vernetzung einher. Damit diese Revolution gelingt, lässt der Autor seinen warnenden Worten einige zukunftsweisende Lösungsansätze folgen wie die Idee, Häuser in sich selbst versorgende "Kraftwerke" zu verwandeln.
Der wichtigste und überzeugendste Denkschritt Rifkins führt jedoch von der "Geopolitik" hin zur "Biosphärenpolitik". Dafür muss der Mensch wieder zum bewussten Teil der Natur werden, also begreifen: Die Menschheit ist unsere Familie und die Erde unser Zuhause.
Kurzbio:
Jeremy Rifkin wurde 1945 in Denver, Colorado geboren. Er ist ein US-amerikanischer Soziologe, Ökonom, Publizist sowie Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends (FOET; Sitz in Washington D.C., USA). Rifkin unterrichtet unter anderem an der Wharton School der Universität von Pennsylvania und ist Berater diverser Regierungen und der EU-Kommission. Bislang hat er mehr als 17 Bücher veröffentlich, darunter "Das Ende der Arbeit" (1995), "Access" (2000), über die Folgen der Zugangsgesellschaft, "Die H2 Revolution" (2002) über den Nutzen des Wasserstoffs als Energiespeicher und "Der europäische Traum" (2004) über die leise Weltmacht Europa. Sein neues Buch "Die empathische Zivilisation" kam fast zeitgleich in Deutschland und den USA heraus.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Jeremy Rifkin: Die empathische Zivilisation
Übersetzt von Ulrike Bischoff, Waltraud Götting und Xenia Osthelder
Campus Verlag, Januar 2010
468 Seiten, Hardcover, 26,90 Euro
Rifkins Beitrag zur Debatte ist eine historische Aufarbeitung des paradoxen Verhältnisses zwischen Empathie und Entropie. Je größer unsere Verbundenheit miteinander, die sich im Zeitalter globaler Wirtschaftskreisläufe mittlerweile über den ganzen Erdball erstreckt, desto größer auch unser Energieverbrauch. Empathie braucht Muße, Muße braucht Ressourcen. Ein Teufelskreis.
Rifkin schreibt klar, präzise, suggestiv. Die Entwicklung zum sogenannten Homo Empathicus beleuchtet er aus verschiedenen Perspektiven, beginnend mit einer grundlegenden Verschiebung unseres Menschenbildes. Während frühe Denker den Einzelnen von Eigennutz oder Lustmaximierung getrieben sahen, haben postfreudianische Objektpsychologen den Menschen als zutiefst soziales Wesen erkannt. Wir kommen auf die Welt mit dem Wunsch, zu lieben bzw.geliebt zu werden und auf vielfältige Weise mit der Welt und den anderen in Beziehung zu stehen.
Im weiteren Verlauf des Buches widmet sich Rifkin der Zivilisationsgeschichte als Empathiegeschichte. Dabei ordnet er den Weltenlauf großzügig nach dieser Grundidee, was zur willkürlich scheinenden Auslassung der griechischen Antike oder der Diktaturen des 20. Jahrhunderts führt.
Spannend ist es dennoch. In großen eleganten Schwüngen zeichnet Rifkin die Geschichte der westlichen Welt als Resultat von Energie- und Kommunikationsrevolutionen. Die erste industrielle Revolution begann Ende des 18. Jahrhunderts durch Dampfkraft und Kohleabbau, unterstützt von der Erfindung der Druckerpresse. Die zweite industrielle Revolution Ende des 19. Jahrhunderts vollzog sich mittels der Nutzung fossiler Brennstoffe und war begleitet von den modernen Massenmedien. Rifkin zeigt: Auf Wohlstandshöhepunkten kam es immer wieder zu Empathieschüben; vom Humanismus über die Romantik hin zur modernen Pädagogik.
Das menschliche Energieparadoxon in aller Deutlichkeit formuliert zu haben ist der große Verdienst dieses Buches. Laut Rifkin stehen wir vor der dritten industriellen Revolution – lokal gewonnene und erneuerbare Energie geht mit der Möglichkeit globaler Vernetzung einher. Damit diese Revolution gelingt, lässt der Autor seinen warnenden Worten einige zukunftsweisende Lösungsansätze folgen wie die Idee, Häuser in sich selbst versorgende "Kraftwerke" zu verwandeln.
Der wichtigste und überzeugendste Denkschritt Rifkins führt jedoch von der "Geopolitik" hin zur "Biosphärenpolitik". Dafür muss der Mensch wieder zum bewussten Teil der Natur werden, also begreifen: Die Menschheit ist unsere Familie und die Erde unser Zuhause.
Kurzbio:
Jeremy Rifkin wurde 1945 in Denver, Colorado geboren. Er ist ein US-amerikanischer Soziologe, Ökonom, Publizist sowie Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends (FOET; Sitz in Washington D.C., USA). Rifkin unterrichtet unter anderem an der Wharton School der Universität von Pennsylvania und ist Berater diverser Regierungen und der EU-Kommission. Bislang hat er mehr als 17 Bücher veröffentlich, darunter "Das Ende der Arbeit" (1995), "Access" (2000), über die Folgen der Zugangsgesellschaft, "Die H2 Revolution" (2002) über den Nutzen des Wasserstoffs als Energiespeicher und "Der europäische Traum" (2004) über die leise Weltmacht Europa. Sein neues Buch "Die empathische Zivilisation" kam fast zeitgleich in Deutschland und den USA heraus.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Jeremy Rifkin: Die empathische Zivilisation
Übersetzt von Ulrike Bischoff, Waltraud Götting und Xenia Osthelder
Campus Verlag, Januar 2010
468 Seiten, Hardcover, 26,90 Euro