Wie wollen wir leben – frei, sicher und tolerant?
Wer die öffentliche Diskussion der letzten Monate verfolgt bekommt den Eindruck: Unsere Vorstellungen über die Zukunft Deutschlands stehen auf dem Prüfstand. Es geht um Grundsätzliches: Wie wollen wir leben? Und welche Werte sind uns als Gemeinschaft wichtig? Diesen Fragen will sich das Forum Frauenkirche stellen.
Deutschland hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine Verfassung gegeben, dank derer sich unsere Gesellschaft immer freier, immer bunter und toleranter entwickelte. Jetzt aber hat es den Anschein, dass sich Teile unsere Gesellschaft nicht mehr zugehörig, gar abgehängt fühlen.
Gebraucht wird darum ein breiter gesellschaftlicher Diskurs über unser Werte und Ziele. Wieviel Freiheit, wieviel Sicherheit brauchen wir? Wollen wir weiterhin eine offene Gesellschaft sein oder bedarf es strengerer Regeln? Wer gehört eigentlich zu uns? Und was ist deutsch?
De Maizière: Zu viel Konsens durch Große Koalitionen
Bundesinnenminister Thomas de Maizière begrüßte, dass derzeit in Deutschland wieder viel über Identität und Werte gestritten wird. "Wir hatten vielleicht für eine Demokratie in den letzten Jahren ein bisschen zu viel Konsens, da haben vielleicht auch Große Koalitionen zu beigetragen. Streit ist in der Demokratie was Normales." Aber dieser dürfe nicht in einer Sprache von Hass und Verachtung ausgetragen werden, mahnte der CDU-Politiker.
De Maizière verwies außerdem auf unverhandelbare Werte, auf die die deutsche Gesellschaft nicht verzichten wolle. "Dazu gehört sicher die Menschenwürde, dazu gehört der Vorrang des Gesetzes, auch der Vorrang des Gesetzes vor der Religion. Dazu gehört der Kampf für die offene Gesellschaft, mit offenem Gesicht, und Respekt und Anstand", so der Minister. "Auch die Ausübung der Religion ist nicht grenzenlos gewährleistet", sagte de Maizière ferner. Es gelte der Grundsatz, dass staatliches Recht Vorrang habe. So gehe beispielsweise die Schulpflicht vor dem Beten. Ein Schüler könne nicht während der Unterrichtsstunden beten. Schule müsse aber so organisiert werden, dass zu anderen Zeiten gebetet werden könne.
Flüchtlingskrise als Clash of Civilisations
Skeptisch äußerte sich hingegen der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz zu den Möglichkeiten, den Islam grundgesetzkonform zu praktizieren. Problematisch im Zusammenhang mit dem Islam seien nicht Fragen wie "Kopftuch oder nicht?", sondern "dass es eine Religion ist, die im Grunde – so weit ich das überblicken kann – nicht akzeptiert, dass sie eine reine Privatreligion ist", betonte Bolz. Diese strenge Trennung von Politik und Religion entspreche nicht dem Selbstverständnis des politischen Islam.
Insofern sei Flüchtlingskrise auch ein "Clash of Civilisations", ein Zusammenprallen von zwei Kulturen, bei dem es in der Frage nach dem Stellenwert der Religion "kaum Vermittlungschancen" gebe, so der Medienwissenschaftler. "Also, ich kann es im Moment nicht sehen, wie da ein Dialog in Gang kommen könnte, der beide Seiten befriedigt."
Die meisten Muslime in Deutschland "nicht praktizierend"
Die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler warnte hingegen davor, alle Muslime über einen Kamm zu scheren. Der allergrößte Teil der Muslime in Deutschland sei nicht praktizierend: "Die sind ungefähr so Muslime, wie es bei uns Feiertagschristen gibt. Die gehen zum Zuckerfest in die Moschee, fasten tun die allerwenigsten von denen, und der allergrößte Teil der muslimischen Frauen trägt kein Kopftuch, geschweige denn irgendeine stärkere Verhüllung."
Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, betonte die Notwendigkeit, sich permanent zu sensibilisieren, um tolerant zu sein. Hierbei kann die Kunst ihrer Auffassung nach einen wertvollen Beitrag leisten. So komme es etwa bei Ausstellungen ständig zu kulturellen Clashs. "Da kommt es ständig dazu, dass Schulklassen kommen und dort Kunstwerke präsentiert werden, wo die Kinder mit andren Werten konfrontiert werden, oder die anstößig wirken, wo man drauf reagieren muss, also täglich", so Ackermann. "Wenn man sich das mal aus einer anderen Perspektive erzählen lässt, dann bekommt man plötzlich ein ganz anderes Verhältnis."
Es diskutierten:
Thomas de Maizière MdB (CDU), Bundesminister des Innern
Prof . Marina Münkler, Lehrstuhl für Ältere und Frühneuzeitliche Literatur und Kultur am Institut für Germanistik der TU Dresden
Prof. Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaften an der TU Berlin
Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
Moderation: Alexandra Gerlach, Deutschlandradio Kultur