Forum für den Nachwuchsfilm

Von Holger Hettinger |
Im vergangenen Jahr hat das Max-Ophüls-Festival sein 30. Bestehen mit viel Brimborium und groß angelegten Retrospektiven gefeiert – 2010 ist wieder ein "ganz normaler" Jahrgang: die 31. Auflage des wichtigsten Forums für den deutschsprachigen Nachwuchsfilm.
"Giulias Verschwinden" erzählt in gediegenen Bildern die Geschichte von Giulia (Corinna Harfouch), die an ihrem 50. Geburtstag mit dem Bus zu einem Nobelitaliener fährt, in dem ihre Freunde ein festliches Abendessen für sie ausrichten. Giulia macht die Erfahrung: Sie wird übersehen. Ständig. "Ab einem gewissen Alter wird man unsichtbar", kommentiert eine alte Dame im Bus diese Erfahrung.

An diesem Abend erlebt sie in geballter Form, dass sie gar nicht mehr vorkommt in ihrem Leben - beim Aussteigen aus dem Bus, und beim Einkauf in der Boutique. Gleichzeitig scheinen ihr die Schaufensterpuppen zuzurufen: "Wir sind jungjiungjung"! In einem Brillengeschäft spricht sie ein Herr an (Bruno Ganz) und lädt sie ein, ein Glas mit ihr zu trinken.

Die Freunde warten währenddessen im Lokal, machen sich Sorgen, und sprechen über das Altern, das Verlöschen der Leidenschaften, das stille Verabschieden der Träume, geben Zeugnis davon, wie man sich lächerlich macht, um sich dem Altern entgegenzustemmen, sei es mit Schönheits-OPs, sei es mit dem Tragen von stutzerhaften goldenen Turnschuhen.

Und so wortreich, lässig-distanziert und drübersteherisch die geschliffenen Monologe der Freunde in dem Lokal auch wirken – die größte Virtuosität entwickelt der heterogene Freundeskreis in der Kunst, über das Altern zu reden, ohne es explizit zu erwähnen – stattdessen parlieren sie unter einem Wandfresko mit Botticellis "Geburt der Venus" über Matratzen, über den Leistungsdruck der Jugend und über verrückte Sportarten, die man meint, mit 50 noch beginnen zu müssen. Am Ende des Films schneit Geburtstagskind Giulia kurz herein, bläst die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen aus und steigt zu ihrer neuen Liebe ins Taxi.

Es ist eine überaus liebenswerte Geschichte, die Regisseur Christoph Schaub gelassen erzählt. Sein Personal agiert gesten- und beziehungsreich, mit kammerspielartig er Intensität – ein Konversationsstück über Alltag und Altern, über die Suche nach verlorener Intensität, aber auch über die verheißungsvolle Gewissheit, dass es nie zu spät ist, noch etwas Neues anzufangen.
Nun mag man einwenden, dass Schaubs Film etwas brav geraten ist - ästhetisch, formal und erzählerisch bleibt "Giulias Verschwinden" in ganz sicheren Gewässern.

Doch darf man nicht vergessen, dass es sich um den Auftakt des Festivals handelt – es ist ganz sicher nicht die Aufgabe des Eröffnungsfilms, neue Türen aufzustoßen in ästhetisch unbeackerte Bereiche. Stattdessen sorgte der Film, Gewinner des Publikumspreises in Locarno, für jene beiläufige Wohlfühl-Atmosphäre, die so charakteristisch ist für das lebhafte, begegnungsfreudige Festival. Ein Auftakt nach Maß für das Festival der Blauen Herzen!