"Die menschliche Tragödie ist dieselbe"
"Odyssee Europa" heißt eine Ausstellung in der Stiftung Mercator in Berlin mit Fotografien berühmter Magnum-Fotografen von 1945 bis heute. Die Schau mit Bildern von Robert Capa bis Paolo Pellegrin zeigt, wie sich die Flüchtlingstragödien ähneln und stellt die aktuelle Abschottungspolitik bewusst infrage.
Vier Personen laufen mit Koffern über einen Acker, im Hintergrund rauchen zerbombte Wohnhäuser. Robert Capa, der dieses Foto 1945 in Deutschland machte, gilt als einer der Vorreiter der Kriegsfotografie. Direkt gegenüber hängt ein Bild des Fotografen Moises Saman, auf dem syrische Flüchtlinge im Jahr 2012 einen Grenzfluss zur Türkei überqueren. Diese und 48 weitere Bilder sind Teil einer Foto-Ausstellung zum Thema Flucht und Vertreibung – ein Projekt von Schülern der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl und der Agentur Magnum Photos.
Die Ausstellung habe weniger einen künstlerischen, als vielmehr einen politischen Anspruch, sagt Andrea Holzherr. Sie leitet die Ausstellungsabteilung der Agentur Magnum Photos in Paris.
"Also wichtig war uns bei der Ausstellung eigentlich weniger, so auf die fotografischen Stile einzugehen, sondern eher mal aufzuzeichnen, wie wenig sich die Situation der Flüchtlinge zwischen 45 und 2015 verändert hat. Wenn man jetzt durch die Ausstellung geht, dann sieht man immer wieder dieselben Bilder: Menschen, verloren mit ihrem Gepäck irgendwo, mussten ihre Heimat verlassen, und landen in irgendwelchen Lagern."
Unter den ausgestellten Fotografen findet man neben klassischen Größen wie Robert Capa und Werner Bischof auch jüngere Generationen wie Jerome Sessini und Paolo Pellegrin. Ihre Bilder schlagen einen Bogen von der Zeit der Gründung der Agentur im Jahr 1947 bis heute.
"Das Schöne an dem Archiv ist einfach, du kannst die Jahrzehnte zurückgehen und du stellst plötzlich fest, okay, die Kleidung ändert sich und die Koffer haben kleine Rädchen unten dran und das hatten sie vor ein paar Jahrzehnten noch nicht, aber an sich hat sich nicht viel geändert. Die menschliche Tragödie ist dieselbe …"
Flüchtlingsdebatte: Mangel an Reflexion
Bilder von Deutschen, die 1945 auf der Flucht sind, hängen neben solchen von Menschen, die aus der DDR flohen, aus dem Kosovo, dem Sudan und Syrien. – Das Nebeneinander der Bilder verstärkt das Gefühl der Befremdung gegenüber der heutigen Abschottungspolitik Europas. Das Problem, sagt Andrea Holzherr, sei ein Mangel an Reflexion.
"Diese ganze Flüchtlingsdebatte, die tut ja so, als wäre das was total Neues und wir werden hier irgendwie überschwemmt und die einzigen, die davon letztendlich profitieren, sind die extrem rechten Parteien mit ihrer Angstmache und es gibt irgendwie wenig Politiker, die da ein bisschen dagegen halten und sagen, hey, halt mal, schauen wir uns doch mal an, wie das 1945 war oder 46 oder während des Balkankrieges etc."
Zu Beginn des Jahres registrierte die Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen weltweit über 51 Millionen Flüchtlinge und sogenannte Binnenvertriebene. Eine Rekordzahl. Die jüngsten Schiffskatastrophen auf dem Mittelmeer haben für zusätzliche Brisanz gesorgt. Diese Entwicklung habe man bei der Planung des Projekts bereits geahnt und befürchtet, sagt Dr. Ulrich Bausch, Geschäftsführer der Reportageschule Günter Dahl. Auch er betont die politische Absicht der Ausstellung.
"Vor allem ist uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass es auch europäische Flüchtlinge gab, dass auch eine Zeit da war, als Europäer froh waren, von anderen aufgenommen zu werden. Das wird häufig übersehen, wenn heute so getan wird, naja, jetzt kommen sie aus aller Herrenländer und damit ist doch Europa überfordert. Dieser Ansatz muss korrigiert werden, zu anderen Zeiten wurde uns geholfen, wir haben wesentlichen Anteil an den Fluchtursachen, deswegen gilt es, jetzt zu helfen und darüber hinaus über die Flüchtlingsursachen nachzudenken."
Die Bildauswahl haben Schüler der Zeitenspiegel-Reportageschule getroffen. Sie haben auch die Hintergrundtexte zu den Fotografien, die auf kleinen Tafeln in der Ausstellung abgedruckt sind, verfasst. Es ging um die Bedeutung von Bildern für die Reportage-Arbeit. Welche Rolle kann ein Bild in der öffentlichen Wahrnehmung noch haben angesichts der Bilderflut im Netz? Keine geringe, findet Ulrich Bausch.
"Man hat ja gesagt, der Vietnam-Krieg wurde auch durch die Macht der Bilder entschieden. Diese Wirkung ist immer noch gegeben, etwa durch die Arbeiten von Moises Saman, Beispiel seine Arbeit über die Jesiden im Irak, auch diese Fotoreportagen hatten eine politische Wirkung, danach haben sich die USA eingeschaltet. Wir können festhalten am Beispiel von Magnum, dass die Macht der Bilder immer noch von großer Bedeutung ist und Fotoreporter politisch Einfluss nehmen können."