Die Ausstellung "Lore Krüger. Ein Koffer voller Bilder" ist vom 24. Januar bis 10. April 2015 in der Galerie C/O Berlin im Amerika Haus zu sehen.
Sensationsfund in Lore Krügers Koffer
Die Fotos, die im Nachlass der prominenten DDR-Übersetzerin und jüdischen NS-Widerstandskämpferin Lore Krüger entdeckt wurden, waren eine Sensation. In der Galerie C/O Berlin sind die ungewöhnlichen Bilder aus ihrem Exil - allesamt Unikate - erstmals zu sehen.
Der Traum eines jeden Kurators erfüllte sich für Felix Hoffmann im Herbst 2012. Damals besuchte ihn der Sohn Lore Krügers in Begleitung zweier Freundinnen.
"Und [die] haben einen Koffer dabei gehabt mit mehreren Mappen drin. Und in diesen Mappen lag, wie Kraut und Rüben, der ganze fotografische Nachlass von Lore Krüger. Und das sind so 150, 200 Bilder. Es gibt keine Negative mehr. Es sind alles Unikate. Die Bilder gibt es ein mal."
Felix Hoffmann erkannte schnell den künstlerischen und zeithistorischen Schatz, der da vor ihm lag. Und so leistete die Galerie Pionierarbeit: Da die meist 18 mal 24 Zentimeter großen Abzüge nur selten mit Datum oder Ortsangabe versehen waren, begann Hoffmann sie mit Hilfe des Sohnes und den posthum erschienenen Erinnerungen Lore Krügers zeitlich zu ordnen. Es wurde deutlich: Alle Aufnahmen entstanden zwischen 1934 und 1944.
"Das ganze Material ist 70, 80 Jahre weg gewesen. Es hat für Lore Krüger persönlich vielleicht eine Rolle gespielt - was man merkt, weil sie es mitgetragen hat auf der ganzen Flucht. Aber sie hat es nie gezeigt."
Jetzt sind erstmals etwa hundert der geretteten Bilder zu sehen. Bilder, die auch verdeutlichen, wie viele andere verloren gegangen sein müssen. Denn immer wieder gibt es große zeitliche Lücken.
Ihre Motive: eine stillende Mutter, ein behindertes Kind, Bettler
Lore Krüger, 1914 als Tochter jüdischer Eltern in Magdeburg geboren, wusste früh, dass sie Fotografin werden wollte. Doch als die Faschisten die Macht übernehmen, werden ihre Pläne hinfällig: Sie muss fliehen. Erst nach London. 1934 folgt sie ihren Eltern nach Mallorca. Von dort reist sie nach Barcelona, wo sie endlich in einem Fotostudio arbeiten kann. Aus dieser Zeit ist die Aufnahme einer am Straßenrand hockenden Bettlerin erhalten. Sie eröffnet die chronologisch gehängte Ausstellung zusammen mit experimentellen Fotogrammen, die 1935 entstehen, als Lore Krüger bereits in Paris bei der Bauhaus-Fotografin Florence Henri lernt.
"Es entstehen abstrakte Kompositionen, die atemberaubend sind, weil sie sich an der russischen Avantgarde, aber auch an der abstrakten Malerei orientieren. Es sind zum Teil abstrakte Formen, die sie da auf das Fotopapier stellt oder legt in der Dunkelkammer. So etwas gibt es von Bauhaus-Fotografinnen gar nicht oder selten."
Viel mehr aber interessiert Lore Krüger die Wirklichkeit, das Leben: Sie fotografiert Obdachlose, Bettler und Arme. Sie schließt sich linken Exilantenkreisen an, lernt die Familie von Anna Seghers kennen, nimmt an antifaschistischen Aktionen teil, wird Kommunistin. Schnell muss sie sich einen Namen gemacht haben, denn 1936 erhält sie den Auftrag, im südfranzösischen Sainte Marie de la Mer Sinti und Roma zu fotografieren. Diese Serie ist die einzige, die das Exil überstand. Beeindruckend zeigt sie, wie selbstverständlich die 22-Jährige den Männern, Frauen und Kindern begegnet. Sie zeigt sie auf Augenhöhe - und, so Felix Hoffmann:
"Wo sie Dinge fotografiert, die man in der Zeit nicht fotografiert hat. Zum Beispiel eine stillende Mutter. Oder ein behindertes Kind. Und das sind ungewöhnliche Bilder für die Zeit."
Exil in New York
Wenig später - der Spanische Bürgerkrieg hat begonnen - besucht sie ihre Eltern auf Mallorca. Sie hört von einem Massaker an republikanischen Kämpfern, verschafft sich Zutritt zu dem abgesperrten Dorf - und fotografiert die verkohlten Leichen hunderter junger Männer, die die Franco-Truppen mit Benzin übergossen und angesteckt hatten. Zurück in Paris werden die Fotos sofort ausgestellt. Heute sind sie verschollen.
1940, nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris, beginnt eine monatelange Flucht: Sie und ihr künftiger Mann, der Spanienkämpfer Ernst Krüger, gelangen nach Toulouse, werden verhaftet und in ein Internierungslager deportiert. Sie können fliehen, erreichen 1941 Marseilles - und einen Frachter nach New York. Zur selben Zeit erhalten ihre Eltern auf Mallorca eine Vorladung von den spanischen Faschisten.
"Und dann haben wir während der Zeit, als wir zur Ausstellung recherchiert haben, diesen kleinen Abschiedsbrief gefunden. Und da haben sich die Eltern unabhängig voneinander von den Kindern verabschiedet. Und der erste Satz lautet: 'Wenn ihr diesen Brief erhaltet, werden wir nicht mehr leben.'"
In New York gründet Lore Krüger mit anderen Flüchtlingen eine Exilzeitschrift, die darüber aufklärt, was in Europa geschieht. Die Kamera nimmt sie kaum noch zur Hand.
"Das, was wir aus New York haben, ist sehr wenig. Ich glaube auch, dass sie in der Zeit sehr stark mit dem Überleben beschäftigt war. Also mit: Genug am Abend im Magen zu haben, damit man nicht nachts vor Hunger aufwacht. Und Fotomaterial kostet Geld!"
Nach dem Krieg keine Fotos mehr
Einige Freunde porträtiert sie noch: Ihre Gesichter - gezeichnet von jahrelanger Verfolgung und Not - beschließen diese ungewöhnlich eindringliche Ausstellung.
1946 kehrt Lore Krüger zurück nach Deutschland, nach Ostberlin und widmet sich dem Aufbau einer neuen Gesellschaft. Den Koffer mit ihren Bildern hält sie verschlossen. Eine Kamera nimmt sie nie wieder zur Hand. Sie hätte sie nach einer Herzerkrankung nicht mehr halten können, sagte sie. Felix Hoffmann drückt das so aus:
"Ich denke, sie hat auch einfach Dinge gesehen während des Zweiten Weltkriegs, und auf ihrer Flucht, die so schrecklich waren, dass man vielleicht keine Bilder mehr machen will."