Ausstellung „Streik!“ in Hamburg

Fotogeschichten von Arbeitskämpfen

08:46 Minuten
Menschenmenge Streikender vor einem Ford-Schild
Streik bei den Ford-Werken 1973 in Köln: Vor allem türkische Migranten protestierten damals. © picture alliance / Klaus Rose
Stefan Rahner im Gespräch mit Gesa Ufer |
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Beim Ford-Streik 1973 in Köln erheben „Gastarbeiter“ erstmals ihre Stimme. Bei Pierburg kämpfen Arbeiterinnen für gleiche Löhne. Die Fotoausstellung „Streik!“ im Hamburger Museum der Arbeit erzählt nun von diesen historisch bedeutsamen Arbeitskonflikten.
Streikführer Baha Targün hält mit erschöpftem, aber sehr entschiedenem Blick das Megafon vor den Mund, sein langes Haar ist zerzaust, hinter ihm stehen dutzende wütende Männer. Die Aufnahme entstand 1973 auf dem Höhepunkt der sogenannten „Wilden Streiks“ im Ford-Werk von Köln-Niehl, wo 300 türkische Gastarbeiter entlassen werden sollten und die Belegschaft auf die Barrikaden ging.
Das Foto ist eins von 250, die jetzt im Hamburger Museum der Arbeit in der Ausstellung „Streik. Fotogeschichten von Arbeitskämpfen“ zu sehen sind.
„Die fotografische und historische Grundidee war, mit Mitteln der Fotografie visuelle Erzählungen zu schaffen, also möglichst nahe an die Akteure, an ihre Gefühle, an den zum Teil sehr dramatischen Verlauf der Ereignisse heranzukommen“, sagt der Kurator und Bildhistoriker Stefan Rahner. Dabei gehe es vor allem um die Streikenden, weniger um die Arbeitskämpfe.

Elemente der kollektiven Erinnerung

Vom Ruhrgebiet in den 60ern bis zu den Streiks der sogenannten Riders bei den Lieferdiensten heute, vom brutal niedergeschlagenen Aufstand der Platinminenarbeiter in Südafrika 2012 bis zu den Protesten der Sans Papiers in Paris: Die Ausstellung zeigt zehn Fotoreihen aus unterschiedlichen Jahrzehnten und unterschiedlichen Gegenden in der Welt.
„Die Streiks, die wir ausgesucht haben, sind immer Streiks gewesen, die sowohl für Beteiligten, für die Gewerkschaften, als auch für die gesamte Region zu einem Symbol und einem Element der kollektiven Erinnerung wurden“, sagt Rahner.

Für die diesjährige Triennale der Photographie in Hamburg holte das Kuratorenteam um Koyo Kouoh zahlreiche Museen mit ihren ganz spezifischen Sammlungen und Perspektiven ins Boot, wie Annika Schneider berichtet. Das Projekt beschäftigt sich unter dem Titel "Currency" mit dem Wert von Fotografie in Zeiten der Bilderflut. Es geht darum, wie man Fotografie nutzen kann, um zu desinformieren, herrschende Interessen zu zementieren oder um Gegenwelten und Perspektiven zu vermitteln. Das Ergebnis: Eine Triennale, durch die sich wie ein roter Faden das Ungeheuer Kolonialismus mit all seinen Folgen zieht. Schneider ist begeistert.

So schildern die Bilder den Niedergang des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet und Großbritannien, die Stahlkrise oder auch die Werftenkrise mit Entlassungen von Tausenden Arbeitern und Arbeiterinnen.
Aber auch Streiks wie der Ford-Streik von 1973, wo sich die sogenannten GastarbeiterInnen zu Wort melden. Damals hätten sie „zum ersten Mal sehr vehement und als eigenständige Akteure gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft allgemein" protestiert, sagt Rahner.

Streik für mehr Gleichberechtigung

Der zweite "wilde Streik", den die Schau als Fotogeschichte erzählt, bildet einen interessanten Kontrast zum Ford-Streik, weil er von Frauen, von Gastarbeiterinnen aus Griechenland, der Türkei, Italien, Spanien und Jugoslawien getragen wurde: der Streik der Arbeiterinnen des Neusser Autozulieferers Pierburg, auch 1973.
Die Fotos hätten eine unglaubliche Wucht, so Rahner, weil sie erst einmal die Wut zeigen, mit der der Streik begonnen wurde, dann aber auch die Freude, weil fast alle Ziele des Streiks erreicht wurden. Damals kämpften die Frauen für Gleichberechtigung.
„Thema waren die Leichtlohngruppen, in die Frauen einsortiert wurden, schlechter bezahlt wurden als ihre männlichen Kollegen, die dieselbe Arbeit machten“, so Rahner. Diese Leichtlohngruppen hätten schon lange in der Kritik gestanden. „Die Frauen haben es halt zum ersten Mal geschafft, diese beiden Leichtlohngruppen wegzustreiken.“ In der übrigen Arbeitswelt sei dies erst Jahre später gelungen.
Für die Ausstellung hat Rahner mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen – und eins habe sich dabei herausgestellt: Egal, ob der Streik erfolgreich war oder mit einer Niederlage endete, „dieses gemeinsame Agieren, dieses modern gesagt: Self-Empowerment – gemeinsam für seine Rechte einzustehen –, das ist der stärkste Eindruck, der bei allen Beteiligten geblieben ist“.

Die Ausstellung „Streik! Fotogeschichten von Arbeitskämpfen“ ist vom 21.5. bis 3.10.2022 im Museum der Arbeit zu sehen. Die Ausstellung wird im Rahmen der achten Triennale der Photographie Hamburg 2022 gezeigt.

(lkn)

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