Soll man einen ertrunkenen Vater und sein Kind abbilden?
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Viele Menschen stießen auf Nachrichtenseiten unverhofft auf das Bild zweier Ertrunkener am Rio Grande, Vater und Tochter. Fotojournalismus-Professor Lars Bauernschmitt erklärt, wann die Veröffentlichung eines solchen Fotos legitim oder gar geboten ist.
Ein Foto von zwei Toten geht um die Welt. Es zeigt den jungen Vater Oscar Alberto Martínez Ramírez aus El Salvador und seine kleine Tochter Valeria, beide ertrunken beim Versuch, den Rio Grande von Mexiko in die USA zu überqueren.
Das Foto von Julia Le Duc löst bei vielen Menschen Emotionen aus. Auch bei Lars Bauernschmitt, Professor für Fotojournalismus an der Hochschule Hannover:
"Es ist zunächst einmal ein absolut deprimierendes Foto. Ein Foto, das einen schockiert und umso mehr schockiert, wenn man dann erfährt, was die Hintergründe, was die Ursachen sind, warum die beiden da jetzt so am Ufer liegen."
Entstehungsgeschichte erläutern
In vielen Menschen löst das Foto Wut aus auf die USA und deren Grenzpolitik. Und nicht nur das Bild verstört. Hitzig diskutiert wird auch, dass viele Medien und Twitter-User es verbreiten. Ist das legitim?
"Entscheidend ist, wer es in welcher Absicht mit welcher Information veröffentlicht", sagt Bauernschmitt. "Ich denke, wenn es darum geht, die Hintergründe der Situation an der mexikanischen Grenze zu den USA zu erklären, dann muss man so ein Bild zeigen."
Einfach so stehen lassen könne man es aber nicht. "Man muss erklären, wo es aufgenommen wurde, wer da gezeigt wird. Und wenn man das erfährt, dann wird das dramatische Ausmaß der Situation verständlich."
Bauernschmitt ordnet das Foto so ein: "Ein Vater ist verantwortlich für den Tod seiner Tochter. Der riskiert ja nicht aus Jux und Tollerei das Leben seiner Tochter. Der ist geflohen vor Zuständen, die für ihn unerträglich waren, um seiner Tochter und sich, seiner ganzen Familie eine neue Perspektive zu verschaffen. Und dabei ertrinkt er."
Der tote Junge am Strand und die "Willkommenskultur"
Aber können Bilder wirklich etwas verändern? Ja, glaubt Bauernschmitt und verweist auf einen ähnlichen Fall aus dem sogenannten "Flüchtlingssommer" 2015. Damals war Aylan Kurdi auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken, Nilüfer Demirs Foto des tot am türkischen Strand liegenden Zweijährigen ging durch die Medien.
In Deutschland habe sich daraufhin "sehr schnell eine ausgesprochen positive Atmosphäre gegenüber den Geflüchteten entwickelt hat", eine vorher nicht gekannte "Willkommenskultur", erinnert Bauernschmitt.
Allerdings hat das nicht dazu geführt, dass heute keine Migranten mehr im Mittelmeer ertrinken würden. "Ich denke, man muss es immer wieder zeigen, solange die Situationen so sind, wie sie sind", sagt Bauernschmitt.
"Sehr großes Bewusstsein für das, was sie dürfen"
In Fotografenschelte möchte der Professor nicht einstimmen: "Die ethischen Standards werden immer wieder diskutiert. Und glücklicherweise besteht meiner Ansicht nach bei Fotografinnen und Fotografen ein sehr großes Bewusstsein für das, was sie machen dürfen, und auch für die Wirkung von Bildern."
Die Kriterien für die Veröffentlichung eines solchen Bilds sind für ihn klar: "Erklärt das Bild einen Sachverhalt, transportiert es eine Information, und wird die Würde der Abgebildeten verletzt?". Ein Foto selbst erkläre keinen Sachverhalt, es brauche Einordnung zu den Hintergründen.
Die Würde sieht Bauernschmitt im Falle der beiden Toten vom Rio Grande nicht verletzt:
"Die Abgebildeten sind nicht identifizierbar, die beiden Körper liegen auf dem Bauch, die Gesichter im Wasser. Sie sind offensichtlich tot, sie sind aber nicht identifizierbar. Und ich denke, das macht schon mal einen wichtigen Unterschied."
(fmay)
*Wir haben uns dazu entschieden, das Foto der beiden ertrunkenen Menschen nicht auf unserer Webseite zu zeigen und nur darauf zu verlinken, um den Nutzern die Entscheidung zu überlassen, ob sie das für manche verstörende Bild anschauen möchten oder nicht.