Fotoausstellung

Die Gesichter der Vergessenen

Die Fotografin Ann-Christine Woehrl in ihrer Ausstellung "UN/SICHTBAR"
Die Fotografin Ann-Christine Woehrl in ihrer Ausstellung "UN/SICHTBAR" © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Die Fotografin Ann-Christine Woehrl zeigt in ihrer Ausstellung Frauen, die Brand- und Säureanschläge überlebt haben: in Indien, Bangladesch oder Uganda. Mit den Bildern wollte sie den Frauen "wieder ihr Gesicht geben", sagt sie.
Klaus Pokatzky: Die Fotografin Ann-Christine Woehrl hat schon öfter Menschen in Ausnahmezuständen fotografiert. In Kolumbien zum Beispiel Entführungsopfer oder in Afrika Frauen, die als Hexen verstoßen wurden. Nun hat sie sich zwei Jahre lang Frauen in Indien und Pakistan, Frauen in Bangladesch, Nepal, Kambodscha und Uganda gewidmet, Frauen mit entstellten Gesichtern, Frauen, die Brandattentate und Säureanschläge überlebt haben. Für eine Ausstellung, die das Münchener Museum für Völkerkunde ab heute zeigt, hat Ann-Christine Woehrl Poträts von 48 Frauen zusammengestellt.
Ann-Christine Woehrl, der Titel der Ausstellung lautet: "UN/SICHTBAR. Frauen Überleben Säure". Also, wie gesagt, alles immer groß geschrieben. Das ist nun sehr mehrdeutig, warum dieser Titel?
Ann-Christine Woehrl: Also, der Haupttitel "UN/SICHTBAR" steht für die sichtbaren und die unsichtbaren Wunden, die die Frauen erleiden oder erlitten haben. Es geht eben um Narben, die in ihrem Gesicht zu sehen sind, und um die seelischen Narben. Und der Schrägstrich steht auch dafür, dass die von ihrer unsichtbaren Situation oder Stellung in der Gesellschaft sich wieder selber sichtbar machen wollen und ich ihnen als Fotografin dazu verhelfen möchte, sie auch da in das Licht wieder zu führen.
Pokatzky: Gibt es eine Frau, die Sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen, die Sie nie vergessen werden?
Woehrl: Ich glaube, alle Begegnungen waren sehr signifikant für mich, und es gab auch Frauen, die mich sehr erschüttert haben, wo das Schicksal mich sehr erschüttert hat.
Pokatzky: Sagen Sie doch mal eines.
Woehrl: Es gab Nasiran in Pakistan, aus Südpunjab, die das komplette Sehvermögen verloren hat, ihre Augen, schon, ich glaube, 15 Operationen hinter sich hat und alleine ihre Kinder großziehen muss, ein völlig neues Gesicht durch so viele Eingriffe bekommen hat und dennoch versucht, ihren Mut zu fassen und weiter ihr Leben zu bestreiten.
Hinter einigen Anschlägen steckt der Ehemann
Pokatzky: Wer hat ihr das angetan und warum?
Woehrl: Das war ihr Ehemann. Das war ihr Ehemann, der sie für ungehorsam gehalten hat. Das ist eben oft ein Grund dieses Angriffs, wo dann auch der Männerstolz verletzt ist.
Pokatzky: Welche anderen Gründe gibt es für solche Verhalten... Verhaltensweisen kann man hier nicht sagen, für solche Verbrechen?
Woehrl: Eifersucht ist ein grundlegendes Thema, wo es auch nicht nur darum geht, dass Männer die Gewalt ausüben, sondern auch Frauen gegen Frauen. Und zum anderen ist das die zu geringe Mitgift, die oft die Schwiegereltern auch dazu bewegen, dann diese Form der Gewalt zu wählen, die Frau eigentlich gesichtslos zu machen und auch nicht mehr fürs Interesse für andere Männer.
Pokatzky: Gibt es da auch religiöse Hintergründe? Das ist ja das, woran wir als Erstes immer denken.
Woehrl: Ich habe im Zuge des Projekts wirklich festgestellt, dass es eben nicht um religiöse Gründe in dem Sinn geht, sondern wirklich um kulturelle Hintergründe und zum Teil verkrustete Gesellschaftsstrukturen, die dazu führen. Und man muss auch dazu sagen, dass diese Form der Gewalt ja auch nur ein Beispiel von anderen Formen der Gewalt ist. Und die Wahl der Säure ist in den Regionen und in den Ländern naheliegend, wo Säure auch im Umlauf ist.
Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur die Fotografin Ann-Christine Woehrl, "Frauen Überleben Säure" heißt ihre Ausstellung mit Fotografien, die jetzt in München zu sehen ist. Frau Woehrl, wie haben Sie die Frauen genau fotografiert, in welcher Position?
Woehrl: Ich habe zwei Formen gewählt, die sowohl in der Ausstellung wie auch in dem gleichnamigen Buch, "UN/SICHTBAR", "IN/VISIBLE" erschienen sind. Und da ging es mir zum einen um eine ganz konzeptionelle Art des Porträts. Ich habe entschieden, einen schwarzen Hintergrund zu wählen, habe dort einen Stoff als Hintergrund genommen und habe die Frauen, wollte ihnen einen Raum geben oder einen geborgenen Raum, wo sie sich selber darstellen können und ihre ganze Würde und Stolz. Also eigentlich wieder so zu ihrer eigenen Identität zurückzufinden, fernab ihres Stigmas.
Pokatzky: Haben die nicht erst gedacht, Sie machen das aus voyeuristischen Motiven? Wie haben Sie Vertrauen zu denen gefunden?
Woehrl: Also, ich glaube, bei Überlebenden, die es gewohnt sind, dass ihr Umfeld, die Menschen wegschauen, und eben unsichtbar werden, war das ganz große Vertrauensbringende eigentlich die Tatsache, dass ich sie anschauen wollte und dass ich sie wahrgenommen habe. Und ich glaube, das war der Schlüssel eigentlich zu dieser Bereitschaft und auch sogar Freude daran, porträtiert zu werden.
Pokatzky: Heißt das, dass allein das Fotografieren möglicherweise den Frauen schon etwas geholfen hat? Also sozusagen das Dokumentieren ihres Leids?
Woehrl: Also, ich würde eher davon sprechen, dass es auch ein Dokumentieren ihres Mutes und ihrer Kraft ist. Also, für mich war wichtig, sie als Heldinnen darzustellen und nicht als Opfer. Denn das Schicksal, das tragen sie zwar zum einen, aber mir ging es darum, wirklich ihre ganz inneren Ressourcen zu zeigen, nämlich dass sie wieder in eine Selbstbestimmung gehen und auch wieder diesen Selbstwert spüren.
Die Frauen sollen "wieder diesen Selbstwert spüren"
Pokatzky: Schaffen die das?
Woehrl: Ich habe das Gefühl, soweit ich Rückmeldung bekommen habe und einfach von diesen Momenten ausgehen kann, wo ich was gespürt habe, wo es um eine Zelebrierung auch dieses Moments ging und auch des Sich-Erfreuens daran, sich darstellen zu können, habe ich das Gefühl, dass es mir auch stellenweise gelungen ist. Und ich hoffe, das wäre mein Anliegen.
Pokatzky: Solche harten Motive sind für Sie nichts Neues, wie gesagt, Sie haben Entführungsopfer in Kolumbien fotografiert, Frauen in Afrika, die als Hexen verstoßen sind. Wie sind Sie jetzt auf diese Idee gekommen?
Woehrl: Ich hatte zwei Erlebnisse, die mich sehr geprägt haben, eins vor zehn Jahren und eins vor zwei Jahren. Das war hier in unseren europäischen Gefilden, nicht in der weiten großen Welt. Zum einen war es auf einer Vernissage ein Mann, der einen schlimmen Unfall erlitten hat und dadurch sein Gesicht komplett entstellt war und auch die Augen nicht mehr wirklich sichtbar. Das Verhalten von uns allen, die in diesem Raum waren, und dieser typische Vernissage-Charakter, wo jeder irgendwie ein Glas Wein in der Hand hat und über Oberflächlichkeiten spricht oder Belange, merkte ich, wie plötzlich der Raum kurz verstummte, und dann auch diese Unbeholfenheit, diesen Hans, wie er hieß, im Raum wahrzunehmen, aber so zu tun, als ob er nicht da sei. Und das hat mich so nachhaltig beschäftigt, dass ich dachte, eigentlich sind wir diejenigen, die Menschen, die nicht der Norm entsprechen, eigentlich unsichtbar machen und ihnen diese Narben, die äußerlich zu sehen sind, eigentlich noch viel mehr vertiefen in ihr Seelenbefinden.
Und das zweite Erlebnis war in einer Ausstellung von Diane Arbus, eine Fotografin, die sich ja ausnahmslos den Randgruppen in ihrer Gesellschaft gewidmet hat. Und da war ich dabei, ihre Biografie zu kaufen, und sah nur, wie die Frau, die die Frau vor mir abkassierte, völlig irritiert war und unbeholfen und den Blick der Frau vor mir nicht erwidern konnte. Und dieses Unbehagen, was ich spürte, bestätigte sich dann auch da wieder, als die Frau sich vor mir umdrehte und ich sah, dass sie auch ein Brandopfer war. Das war für mich so der letzte Auslöser, wo ich sagte, jetzt muss ich diese Frauen fotografieren und ihnen wieder ihr Gesicht geben.
Pokatzky: Aber wie reagieren denn dann Leute, wenn Sie denen die Fotos jetzt zeigen? Etwa, sagen wir mal, gerade so aus der Kunst- und Museumsszene, wie reagieren die?
Woehrl: Also, da hatte ich ein ganz wunderbares Erlebnis vor zwei Jahren etwa mit einem spanischen Kurator. Ich hatte eine halbe Stunde einen Termin mit ihm angesetzt und dann fragte er mich über das Projekt und ich umriss es in zwei Sätzen. Und dann reagierte er mit einer derartigen Vehemenz und sagte, das kann ich jetzt nicht sehen, das will ich nicht sehen! Dann hatten wir das Gespräch von einer halben Stunde mit den Fotos in der Box vor ihm liegend, und wir haben es fertiggebracht, eine halbe Stunde lang nur von diesem Projekt zu reden, ohne dass er je einen Blick da reingesetzt hat. Und das war für mich exemplarisch für das Wegschauen und dass wir unsere eigenen Berührungsängste nicht überkommen können.
Pokatzky: Sie wollen die Frauen nicht als Opfer, ihr Leben nicht als Schicksal darstellen, sondern Sie wollen sie gerade für die Gesellschaft wieder sichtbar machen. Da ist jetzt eine Ausstellung in München ganz schön, aber wie können Sie das in den Ländern, um die es geht, sichtbar machen? Wäre da was denkbar, vielleicht Ausstellungen im Goethe-Institut? Oder was ist da denkbar?
Woehrl: Absolut, das ist auch die Absicht, die ich habe, also auch diese Ausstellung durch die Welt touren zu lassen und vielleicht genau da in die Gesellschaft zurück, wo ich diese Frauen fotografiert habe. Ich bin mir auf der anderen Seite aber auch bewusst, dass ich eine ganz große Verantwortung trage, und mir ist ein ganz großes Anliegen, dass ich weiß, dass die Frauen sich auch damit wohlfühlen. Es ist eine Sache, sich in einer anderen Kultur zu zeigen und zu offenbaren; wie es dann in der eigenen ist und inwieweit sie da auch keine Konsequenzen fürchten, das ist eine andere. Also, insofern bin ich da sehr behutsam und möchte das alles erst im Vorfeld abgeklärt haben, bevor ich da diese Schritte weiterleite.
Pokatzky: Dabei natürlich viel Glück! Danke an die Fotografin Ann-Christine Woehrl. "UN/SICHTBAR. Frauen Überleben Säure" heißt ihre Ausstellung mit Fotografien, begleitet von Originaltexten aus Interviews. Ab heute zu sehen noch bis zum 11. Januar 2015 im Staatlichen Museum für Völkerkunde in München. Und zur Ausstellung erscheint ein Begleitband zum Preis von 39,80 Euro in der Edition Lammerhuber in Wien. Vielen Dank!
Woehrl: Vielen Dank!
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