Fotoband "Mother Tongue"

Den Familiengeschichten auf der Spur

11:06 Minuten
Eine Fotografie von Mika Sperling mit dem Titel "Lunch" zeigt in einer Wohnung einen Esstisch aus hellem Holz, auf dem zwei Schalen mit asiatischen Nudeln angerichtet sind.
Was verrät ein gedeckter Esstisch über eine Familie? Die Fotografin Mika Sperling ist auf Spurensuche in ihrer eigenen Familie und Schwiegerfamilie gegangen. Das Foto "Lunch" entstand bei ihren Schwiegereltern. © Mika Sperling
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Die Fotografin Mika Sperling wurde in Russland geboren, wuchs in Deutschland auf und heiratete in eine vietnamesische Familie ein. "Welche Sprache werde ich mit meinem Kind sprechen?", fragte sie sich. Daraus entstand der sehr persönliche Fotoband "Mother Tongue".
Die Fotografin Mika Sperling lebt mit vielen verschiedenen Kulturen und Sprachen. Geboren wurde sie in Nordsibirien, als jüngstes von acht Kindern, ihre Eltern sind Russlanddeutsche. Als Kleinkind kam sie nach Deutschland, lebte dann ein paar Jahre in den USA und ist heute, nach Hamburg zurückgekehrt, mit einem Deutschen mit vietnamesischen Wurzeln verheiratet.
Derzeit beschäftige sie die Frage, welche Sprache sie mit ihrer eigenen, noch sehr kleinen Tochter sprechen werde, sagt die junge Fotografin.

Gedeckter Tisch, Eierschalen, ein Babyfoto

Ihr Muttersein ist für Sperling Anlass gewesen, sich ihrer eigenen Familiengeschichte fotografisch zu nähern und anhand persönlicher Geschichten ihrer Mutter und ihrer vietnamesischen Schwiegermutter den Einfluss von Herkunft und Kultur auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu erforschen.
Das Ergebnis ist der Bildband „Mother Tongue“ (Muttersprache), für den Sperling mit Perspektiven, Nahaufnahmen und reflektierenden Flächen experimentierte.
Sie zeigt das Umfeld und persönliche Gegenstände der Porträtierten: ein gedeckter Mittagstisch bei ihren Schwiegereltern, die leeren Eierschalen, die auf einer Arbeitsplatte liegen, nachdem ihre Mutter einen russischen Kuchen mit vielen Eiern gebacken hat, ein Babyfoto ihres Mannes, ihre Schwiegermutter im Jogginganzug mit „Snoopy“-Motiv, ihre kleine Tochter, wie sie ihr eigenes Spiegelbild erkundet.

Umzugskisten voll Erinnerungen

„Meine kleine Tochter“, sagt Sperling, „ist wie eine Brücke zwischen diesen ganz verschiedenen Welten.“ Zugleich habe sie auch viele Parallelen zwischen beiden Migrantenfamilien entdeckt: Etwa, als sie vor ein paar Jahren ihren Schwiegereltern beim Umzug half und die Kisten und Kästen mit Erinnerungsstücken sie an ihre eigene Familie erinnerten.
Die Fotografin Mika Sperling sitzt an einem Tisch mit Orangen. Sie trägt einen pastellfarbenen Strickpullover.
"Wearing Her Clothes": Der Pullover gehörte früher ihrer Schwiegermutter. Für Mika Sperling symbolisiert die Tatsache, dass sie selbst ihn nun trägt, die wachsende Verbundenheit mit ihrer Schwiegerfamilie.© Mika Sperling
Tatsächlich muss man bei manchen Fotos kurz überlegen, welchen Haushalt sie zeigen, den vietnamesischen oder den russischen. Was ein durchaus beabsichtigter Effekt ist, wie die Fotografin bestätigt.

Privates zeigen und Grenzen respektieren

Sehr wesensverschieden sind hingegen Mutter und Schwiegermutter, auch davon legen die Bilder, für die Sperling in deren persönlichen Bereich vordringen musste, Zeugnis ab. „Bei meiner Schwiegermutter habe ich gar keinen Widerstand gespürt, sie war sehr offen dafür – und dafür bin ich ihr auch im Nachhinein so dankbar.“
Ihre Mutter dagegen sei „eine viel privatere Person. Da musste ich Wege finden, wie ich das erzählen kann, was ich möchte. Aber natürlich respektiere ich ihre Grenzen.“
Insgesamt habe das Fotoprojekt sie mit ihrer Schwiegerfamilie näher zusammenrücken lassen, sagt die Fotografin. Auch das belegt ein Foto: Es zeigt Mika Sperling mit einem etwas zu großen Pullover. Den hatte sie beim Umzug ihrer Schwiegereltern im hintersten Winkel eines Schranks gefunden. Ihre Schwiegermutter hat ihn ihr anschließend geschenkt.
(mkn)

Mika Sperling: "Mother Tongue"
mit 30 farbigen Abbildungen, in englischer Sprache mit weiteren Texten auf Deutsch, Russisch und Vietnamesisch
Kerber Verlag, 2022
68 Seiten, 32 Euro

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