Fotoband "Vanishing Berlin"

Eine Dokumentation verschwindender Freiräume

11:04 Minuten
Eine typische Berliner Eckkneipe names Alt-Berlin.
Eine typische Berliner Eckkneipe names Alt-Berlin. © Alexander Steffen / Vanishing Berlin
Alexander Steffen im Gespräch mit Joachim Scholl · 25.11.2021
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Alexander Steffen fotografiert, wie sich seine Heimatstadt Berlin verändert: Viele der Läden, Brachen und Brandmauern gibt es inzwischen nicht mehr. Der Nachwende-Freiraum nimmt ab. Nun hat er einen zweiten Fotoband vorgelegt - dank Crowdfunding.
Alexander Steffen widmet sich einer besonderen Stadt-Archäologie: so besonders wie die Entwicklung Berlins nach der Wiedervereinigung und die Ausgangslage zuvor als geteilte Stadt. Er dokumentiert Ladenfronten, Brandmauer, Plakatwände, Brachen und Streetart seiner Heimatstadt Berlin.

Inspiration in New York

Sein Fotoband “Vanishing Berlin – In der Zwischenzeit“, der jetzt in der Edition Braus erscheint, ist die Fortsetzung eines Projekts, das der Mittfünfziger vor zehn Jahren begonnen und das er 2016 erstmals zu einem Buch verdichtet hat – finanziert durch eine Crowdfunding-Kampagne.
Porträt des Fotografen Alexander Steffen.
Der Fotograf Alexander Steffen.© Alexander Steffen / Vanishing Berlin
Der Anfang des Projekts, zu dem es auch eine Website gibt, liege erstens in einer New York Reise Ende der Nuller Jahre, wo er inspiriert worden sei durch Ausstellungsbesuche und durch ein Buch von Kollegen aus New York, die alte Ladenfronten dokumentiert hätten. Er habe dort die Fotografie wieder für sich entdeckt, sei losgezogen auf Motivsuche und mit einem Schatz von Bildern heimgekommen.

Gedankenblitz in Berlin Kreuzberg

Eines Tages habe er "an der legendären Cuvry-Brache in Berlin-Kreuzberg" – ein Ufer-Grundstück an der Spree, deren Bebauung sehr umstritten war – gesessen: „Und dann ist es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen", erinnert sich Alexander Steffen. "Warum so weit wegfahren, warum nicht in der Heimatstadt anfangen? Und die Reste des Berlins, in dem ich groß geworden bin in den 70er und 80er-Jahren, oder in denen ich gefeiert habe in den 90er-Jahren, in den ganzen Ruinen, die es im Zentrum der Stadt dort gab – warum nicht in Berlin die Reste dieser Zeit finden und dokumentieren?"
Blick auf die Cuvry-Brache in Berlin Kreuzberg vor der Bebauung.
Cuvry-Brache in Berlin Kreuzberg.© Alexander Steffen / Vanishing Berlin

Verschwinden von Brachen

Im Nachwort seines neuen Bandes heißt es, dass rund 60 Prozent der Motive aus dem ersten Band „Vanishing Berlin – Dokumente des Übergangs" verschwunden seien.
Ein ganz besonderes Beispiel sei die Chausseestraße an der Grenze zwischen den Stadtteilen Wedding und Mitte: „Wo früher eine wirklich fantastische Brachfläche mit alten Fabrikgebäuden war, wo man die Industriearchitektur bewundern konnte, dort ist in den letzten Jahren der große Neubau vom Bundesnachrichtendienst entstanden - und zum anderen schräg gegenüber hat Daniel Libeskind das Sapphire gebaut, "eine Luxusimmobilie, wo man wahrscheinlich weit über eine Million Euro bezahlen muss, um dort zu wohnen. Das sei eine Stelle in der Stadt, wo besonders radikal umgebaut worden sei.
"Mich hat immer gewundert, was daran attraktiv sein soll, aus seinem Loft auf dieses monumentale, ziemlich hässliche BND-Gebäude zu schauen", merkt der Fotograf an.

Verlust der Identität Berlins

Während sich die Stadtentwicklung in vielen europäischen Städten durch das Stichwort Gentrifizieung charakterisieren lasse, hält Alexander Steffen seine Heimatstadt doch für einen besonderen Fall. „Ich glaube, das Besondere an Berlin ist, dass durch die spezielle Situation, durch die Teilung der Prozess vergleichsweise spät begonnen hat.“
Es hätten nach dem Mauerfall im Vergleich etwa zu Paris viel größere Flächen zur Verfügung gestanden: „Dieser Prozess hat also verzögert eingesetzt, hat aber aus meiner Beobachtung, insbesondere in den letzten fünf bis zehn Jahren umso rasanter zugenommen: Es ist erstaunlich, wie viel gebaut wird, wieviel abgerissen wird und wie viel von der Identität der Stadt damit auch verloren geht.“
Das Foto aus dem Buch Vanishing Berlin von Alexander Steffen zeigt eine Brache mit einem leer stehenenden Gebäude aus DDR-Zeiten.
Foto aus dem Buch Vanishing Berlin von Alexander Steffen.© Alexander Steffen / Vanishing Berlin
Ihn treibe eine Frage um: "Ich habe kein Problem damit, dass die Stadt sich verändert, das gehört zum Wesen der Stadt. Aber die Frage ist: Für wen wird gebaut? Von wem wird für wen gebaut?"

Verschwindende Städte andernorts

Er werde sein Projekt auf jeden Fall weiter verfolgen, allerdings werde es immer schwieriger, in Berlin die entsprechenden Motive zu finden, sagt er nach Ausstellungen und zwei Büchern. "Der größte Unterschied zwischen dem ersten Band und dem zweiten Band besteht darin, dass ich schon mein Radius extrem vergrößern musste."
Er wisse nicht, wie das in Berlin weitergehe. Aber es könne sich sehr gut vorstellen, das Projekt international aufzustellen. Es gebe viele Kolleginnen und Kollegen in anderen großen Städten wie New York oder Wien, wohl auch in Polen, die im Prinzip das gleiche Thema fotografisch bearbeiteten: „Da hätte ich große Lust auf Kooperation in der Zukunft.“
Alexander Steffen: "Vanishing Berlin - In der Zwischenzeit"
Edition Braus, Berlin 2021
184 Seiten, 29,90 Euro
(mfu)