Fotograf Gerald Pirner

Der einzigartige Blick des Blinden

Moderation: Axel Rahmlow |
Audio herunterladen
Als Blinder fotografieren? Für Gerald Pirner kein Widerspruch. Seit einigen Jahren begibt er sich mithilfe von Lightpainting auf die Suche danach, den inneren Bildern fotografischen Ausdruck zu verleihen. In Berlin sind seine Arbeiten jetzt zu sehen.
Blind sein und trotzdem fotografieren, dieser Herausforderung stellt sich Gerald Pirner, den eine Netzhautablösung erblinden ließ. Seit 2014 tritt er als Essayist mit Texten zur Kunst und Fotograf an die Öffentlichkeit.
Ab 3. Oktober 2020 sind seine Arbeiten im "Freiraum für Fotografie" in Berlin zu sehen. Die Ausstellung "Blinde Fotograf*innen" zeigt außerdem Bilder von Susanne Emmermann, Mary Hartwig und Silja Korn. "Durch ihre konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Medium entwickeln alle eine individuelle, einzigartige Bildsprache", verspricht der Programmtext.

Das Erspüren des eigenen Blicks

An die Fotografie als Ausdrucksmedium hat sich Pirner nach seiner Erblindung über das essayistische Schreiben über Kunst angenähert, erzählt er im Interview: "Ich liebte damals Malerei, ich liebte damals Filme."
Wesentlich für seine Arbeiten sei das Erspüren des eigenen Blicks, sagt er weiter. Als letztendlich ausschlaggebende Initialzündung erwies sich allerdings Frank Amanns Film "Shot in the Dark" von 2017. Dieser Film über drei blinde Fotografen markiere für ihn "den Beginn einer neuen Ära". Es folgte ein Workshop "und dann ging es richtig los".

Ein dialogisches Bild entsteht

Aber wie fotografiert man als blinder Mensch? Pirner greift dafür auf die Technik des Lightpaintings zurück. Hierbei werden Raum und Wände vollkommen abgedunkelt und die Kamera auf Langzeitbelichtung eingestellt. Pirner schält dann mithilfe einer Taschenlampe Facetten aus dem Dunkeln heraus, sodass sich auf dem Trägermedium nach und nach ein Bild abzeichnet.
Gemeinsam mit seiner Assistentin wird das Bild im Anschluss begutachtet: "Ich lasse mir das Bild von ihr möglichst genau beschreiben. Daraus sehe ich dann: Okay, ich muss hier noch mehr nacharbeiten, hier muss noch mehr beleuchtet werden, hier etwas weniger, hier sollte mehr Dunkel sein. Daraus entsteht dann ein dialogisches Bild zwischen einer Sehenden und einem Blinden."

"Blinde haben nicht zu wenige Bilder"

Pirner fotografiert ausschließlich Porträts. Menschen interessieren ihn. "Letztendlich hole ich mir damit auch den Fundus meiner inneren Bilder von Menschen, von Gemälden, von Filmen noch einmal ganz anders, durch den Blick der Blindheit, wieder her." Als Inspiration dienen ihm dabei Szenen aus Filmen von etwa Pasolini oder David Lynch, die er von seinen Modellen nachstellen lässt, um diese dann fotografisch zu modulieren.
"Der blinde Blick ist ein vollkommen einzigartiger Blick", erzählt Pirner. Zwar wolle er nicht sagen, dass er glücklich darüber ist, blind zu sein. "Aber ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese Art des Schauens sehen darf. Denn die Blinden haben nicht zu wenig Bilder – sie haben viel zu viele. Sie haben nur keine Bilder, die sie bändigen. Und diese Bändigung meiner Bilder nehme ich selber vor."

"Blinde Fotograf*innen"
Ausstellung im Freiraum für Fotografie, Berlin
vom 3. Oktober 2020 bis 17. Januar 2021
weitere Informationen online

(thg)
Mehr zum Thema