"Ich war immer ein bisschen naiv"
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Als Kind musste er in den Schweizer Alpen Ziegen hüten, später lebte er mit Orang-Utans und wurde von Kannibalen gefangen gehalten. Hannes Schmid fotografierte Rockstars, Models und den Marlboro-Mann. Heute leitet er ein Hilfsprojekt in Kambodscha.
Als Gründer der Hilfsorganisation Smiling Gecko verbringt der Schweizer Fotograf Hannes Schmid viel Zeit in Kambodscha. Dort hat er über Jahre hinweg ein großes Projekt aufgebaut, das notleidenden Menschen eine Zukunft bieten soll.
Nach anfänglichen Fehlschlägen habe es seit 2014 einen "riesigen Sprung nach vorne" gegeben. Jetzt arbeitet das "holistische Clusterprojekt" auf 150 Hektar Land, es gibt Fisch-, Hühner- und Schweinezucht, Gemüseanbau, ein Hotel ("eine Cash Machine"), eine Großküche, eine Bäckerei und viele weitere Einrichtungen.
"Smiling Gecko hat 265 Angestellte, die in Vollzeit beschäftigt sind. Ab 1. August sind es 400 Kinder in unserer Schule", berichtet Schmid.
Von der Müllhalde in die Landwirtschaft
Den Ausschlag für sein Engagement in der Region gab eine Begegnung mit einem Mädchen in Thailand, das von seinem kambodschanischen Vater verbrannt und zum Betteln verkauft worden war. "Dieser Moment hat mich so berührt, dass er wirklich mein Leben verändert hat." Schmid bringt sie zurück nach Kambodscha und stößt auf weitere tragische Schicksale. Einige Zeit lebt er mit Einheimischen auf einer Müllkippe.
Seine Ersparnisse fließen in Reis, Wasser und Milchpulver für die Menschen dort, bis er erkennt, dass nachhaltigere Unterstützung nötig ist und komplett neue Strukturen geschaffen werden müssen: "Es ist eigentlich ein intelligentes kleines Städtchen, das wir da aufbauen." Durch die Coronapandemie sei all das in große Schwierigkeiten geraten. "Aber es gibt uns noch", erklärt Schmid, aufzugeben, käme nicht infrage.
Barfuß auf der Alm
An Schwierigkeiten ist er von klein auf gewohnt. 1946 als Sohn einer armen Familie in den Schweizer Bergen geboren, geht er bereits als Kind bei jedem Wetter barfuß zum Ziegenhüten auf die Alm. Im Alter von acht Jahren bekommt er eine schwere Tuberkulose und muss für drei Jahre in ein Sanatorium.
"Ich glaube, das hat dazu geführt, dass ich nicht sesshaft bin." So zieht er mit 22 Jahren als junger Elektriker nach Südafrika, wo Fachkräfte gesucht wurden. "Seit diesem Zeitpunkt, 1968/69, bin ich eigentlich unterwegs."
In Südafrika entdeckt Schmid die Fotografie für sich. Die Kamera begleitet ihn auf allen weiteren Reisen und Auslandsaufenthalten, sei es zu den Orang-Utans auf Sumatra oder auf dem Weg zu einer isoliert lebenden Volksgruppe in Papua-Neuguinea, deren "rituellem Kannibalismus" er beinahe zum Opfer gefallen wäre. "Ich glaube, ich war immer ein bisschen naiv", sagt er rückblickend, schließlich habe er gewusst, dass vor ihm bereits jemand in der Region verschwunden war.
Mit Rockstars auf Tour
Die Erfahrung, über Monate Gefangener von "Kannibalen" gewesen zu sein, hilft ihm nach seiner Rückkehr nach Europa bei der Arbeit als Fotograf. Bei Aufnahmen der Band Status Quo, die angeblich Fotos hassten, verschafft er sich durch seine Geschichte Respekt und macht Bilder, die schließlich für ein festes Engagement sorgen. "Das war der Beginn von acht Jahren und 256 Rockbands, die ich begleitet habe."
Schmid fotografiert Stars von ABBA, Bob Marley oder AC/DC bis zu Freddy Mercury und Nina Hagen. Als Rockfotograf sei er vor allem deshalb so erfolgreich gewesen, weil ihn die Musik nicht interessiert habe. "Ich war kein Fan", sagt Schmid. Sein bekanntestes Bild dürfte allerdings ein Werbefoto sein: der Marlboro-Mann.
(mah)