Paolo Pellegrin "Un’Antologia"bis 1. März 2020 im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen
Empathischer Chronist des Leids
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Ob Kosovo, Libanon oder der Kampf gegen den Islamischen Staat: Viele Bilder des italienischen Fotografen Paolo Pellegrin beschäftigen sich mit Krieg und Trauer. 200 seiner teils verstörenden Fotos sind in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.
Schnelle Schnitte in Schwarzweiß, mit der Kamera auf dem Beifahrersitz einer Streife in den USA, dazwischen tauchen für Sekunden Paolo Pellegrins Fotos aus den schwarzen Armenvierteln auf: Festnahmen, die kargen, kaputten Häuser, das Posen der Männer, ein enthusiastischer Prediger. Pellegrins kurzes Video läuft in einem Nebenraum im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen.
Herzstück der Ausstellung "Un’Antologia" sind aber seine Fotos, die vor allem geprägt sind von Empathie und Authentizität. Diese Eigenschaften seiner Aufnahmen berühren, ziehen in den Bann. Pellegrins Fotos richten den Blick auf das durch Kriege und Fanatismus verursachte Leid, aber auch auf die Schönheit der Welt, auf fast abstrakt wirkende Bergformationen und auf den Vater, der nach einem Bombenangriff im Libanon seine tote Tochter findet.
Achtung vor dem Menschen
Rücksicht, Feingefühl, eben Empathie sind die Grundlage für seine Arbeiten, sagt Pellegrin: "Eine Grundregel ist, dass ich mir immer darüber bewusst bin, dass ich einen Menschen vor mir habe. Und oft sind die Menschen, die ich fotografiere, machtlos. Erleben Momente extremen Leids und tiefe Konflikte. Also ist ein Eckpfeiler meiner Arbeit, auf die Menschen vor meiner Kamera Acht zu geben, auf sie aufzupassen."
Pellegrins Fotos zeigen den Kampf in den einst vom IS kontrollierten Gebieten des Nahen Ostens, die angstvollen, verstörten Blicke der Kinder, die Trauer der Mütter. Frei von jeglichem Voyeurismus. Und so unverstellt, dass die Nähe zu seinen Protagonisten auch in den Deichtorhallen, weit weg von Krieg und Leid, bei vielen Fotos nur schwer auszuhalten ist.
200 Fotos sind in Hamburg zu sehen. Die Grundlage lieferte Pellegrins Ausstellung im "Nationalmuseum für Kunst des XXI Jahrhunderts" in Rom. Für die Hamburger Schau wurden noch zusätzliche Fotos ausgewählt und im Zentrum bietet eine weiße, hochaufragende Installation, eine Art Eisberg collagenhafte Einblicke in Notizen, Kontaktabzüge, Tagebucheinträge des Magnum-Fotografen, erklärt der Kurator Ingo Taubhorn:
"In diesem Eisberg selbst können wir die unterschiedlichsten Skizzen, die unterschiedlichsten Hinweise, auch die Verwertung von Bildern verfolgen. Natürlich fragmentarisch. Aber es gibt uns eine sehr große Möglichkeit, die verschiedensten Schritte, die Paolo Pellegrin nicht nur mit der Kamera, sondern auch mit seinem gesamten Körper mit seinem Kopf dort ausbreitet."
Alltagsszenen mit Stacheldraht
Die mit blauem Klebestreifen aufgeklebten Bilder zeigen den jungen Paolo Pellegrin zusammen mit Yassir Arafat, zusammen mit drei Jugendlichen, Schnappschüsse vom Herumalbern am Strand, ein Obama-Porträt, Magazin-Cover. Die großformatigen Abzüge seiner Arbeiten dokumentieren das Leben in den armen Schwarzen-Vierteln der USA, Fluchtszenen an der mexikanischen Grenze, Alltagsszenen von Gefangenen zwischen Maschen- und Stacheldraht in Guantanamo.
Der Fotograf versteht sich als Chronist, der das Weltgeschehen einfängt, der seinen kleinen Teil dazu beitragen kann, dass sich die Dinge zum Besseren wenden: "Eugene Smith hat mal gesagt: Die Fotografie hat eine leise Stimme. Aber es gibt Momente in der Geschichte, in denen diese leise Stimme zusammen mit anderen Stimmen, von anderen Fotografen, Filmemachern und Journalisten, eine kritische Masse erreicht und so in den öffentlichen Diskurs einfließt."
Pellegrins in Hamburg ausgestellte Aufnahmen von Bergen, Seen, von der Meeresbrandung zeugen von seiner Sorge um die Natur, von seiner Auseinandersetzung mit Umweltzerstörung und Klimawandel. Und was macht für ihn selbst ein gutes Foto aus?
"Ein gutes Bild ist für mich eins, das etwas zu sagen hat, bei dem der Betrachter eine Verbindung herstellen kann, weil es einen Schlüssel darstellt oder eine Saat, die uns dazu bringt, sich mit einer Sache zu beschäftigen. Wenn ein Bild diese Qualitäten hat, ist es für mich ein gutes Foto."
Seine Fotos in den Hamburger Deichtorhallen haben genau diese Qualität. Sie zeugen von Pellegrins Können. Bei ihm ist das Foto keine Folie, durch die wir ein Bild unserer Mitmenschen sehen, sondern ein Medium, dass eine Verbindung schafft zwischen uns und Pellegrins Protagonisten.