Der Mann, der uns das Tier näherbringt
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Der Künstler Tim Flach fotografiert Tiere im Studio und vermenschlicht sie dabei - "damit wir wieder eine Verbindung zu ihnen finden", sagt er. Tiere, meint Flach, könnten dem Menschen helfen, den Kontakt zur Natur und zu Gott wiederherzustellen.
Tim Flach begrüßt mich in seinem Studio in Shoreditch, einem kreativen Stadtteil im Londoner Osten. Im Empfangsbereich im Erdgeschoss liegt gediegener Holzboden, zum eigentlichen Studio geht es eine Wendeltreppe nach unten. Dort hinten links an der Wand hängt Tim Flachs neuestes Projekt – er fotografiert Vögel im Stil einer Modenschau.
Drei exotische Tauben posieren wie Models. Ihr Gefieder ist leuchtend bunt, einmal grün-grau und pink, die zweite sieht aus wie mit dem Farbkasten bemalt und die dritte Taube ist grün. Die Natur und insbesondere die Vogelwelt, meint Flach, steht doch Pate für die Mode der Menschen.
"In meiner Ausstellung werden wir eine Menge Mode untersuchen und zeigen. Das sind Mode-Ideen, die durch die Natur inspiriert werden. Das hier bei der Taube sieht wie ein Mantel aus. Es sind die Vögel, die uns inspirieren."
Bedrohte Tiere aus aller Welt abgelichtet
Tim Flach ist "animal photographer", ein Tierfotograph. Er reist aber vergleichsweise wenig, zuletzt tat er es für seinen Fotoband "Endangered", "In Gefahr", in dem er vom Aussterben bedrohte Tiere auf der ganzen Welt abgelichtet hat. Wenn möglich und vertretbar, holt Flach sich Tiere in sein Studio.
Der Hintergrund seiner Tieraufnahmen ist dann schwarz, grün oder weiß, wie bei einem Portraitfotografen. Fast immer werden die Tiere in menschlichen Posen gezeigt. Ein Lemur hockt wie ein Kind auf dem Boden, die Knie hochgezogen und die Arme um sie geschlungen.
Eine Fledermaus steht aufrecht auf einem Zweig, der Kopf oben. Sie hat eine ihrer Flughäute in neckischer Pose wie einen Schleier halb vor ihr Gesicht gezogen. Fledermäuse hängen aber kopfüber nach unten. Flach hat also einfach das Foto um 180 Grad gedreht und damit die Fledermaus vermenschlicht.
Ein nacktes Huhn, das tanzt
Flachs Tiere wirken häufig niedlich, das tanzende Huhn mit gerupften Federn dagegen nicht. Es sei aufgrund einer Genmutation federlos gewesen. Auf einer der Aufnahmen sieht das Huhn wie eine Ballerina aus und tanzt elegant auf einer ausgestreckten Kralle.
"Das Interessante am meinem Foto ist, dass es die Frage aufwirft, wie sehen wir Tiere? Üblicherweise kennen wir ein Huhn ohne Federn aus dem Supermarkt, ohne Kopf und in Folie eingeschweißt. Diese Abtrennung von der Natur ist eines der größten Probleme, das wir haben."
Ich wende ein, wenn wir die Tiere vermenschlicht sehen, dürfen wir sie nicht mehr in Zoos halten, nicht essen und eines Tages vielleicht keine Haustiere mehr halten. Flach selbst ist kein Vegetarier, sondern Flexitarier, ißt also ab und zu Fleisch. Was wir im Umgang mit Tieren für angemessen halten, das verändere sich fortlaufend:
"Meine Mutter ist in den 20er Jahren zum Elefantenreiten in den Zoo gegangen. Als ich als Junge in den 60er-Jahren den Londoner Zoo besuchte, da gab es für die Schimpansen sonntags eine Tea Party." Die Schimpansen trugen zur Belustigung des Publikums Kleider und saßen zu Tisch mit Tee und Gebäck. Das halten wir heute nicht mehr für angemessen.
In die Wildnis gehen, um Gott zu erfahren
Flach erklärt seine Philosophie. Adam und Eva wurden von Gott aus dem Paradies in die Wildnis vertrieben. In der Wildnis war Gott nicht. Heute geht der Mensch aber genau umgekehrt in die Wildnis, oder was von ihr übrig geblieben ist, um Gott zu erfahren. Das Tier, meint Flach, soll dem Menschen dabei helfen, seine verlorene Verbindung mit der Natur wiederherzustellen.
"Ich vermenschliche Tiere, damit wir wieder eine Verbindung zu ihnen finden. Wer meine Fotos sieht, fängt an, sich in das Tier einzufühlen und für es zu sorgen."