Schockierend auf den zweiten Blick
Schwer zugängliche Industriegebiete, Giftmüllablagerungen und Kohleabbaugebiete aus der Vogelperspektive fotografiert Umweltaktivist Henry Fair. Die Bilder sind verführerisch und zeigen doch das riesige Ausmaß der Zerstörung – auch im Hambacher Forst.
Henry Fair: "Die größte Bedrohung für die Welt? Wo fangen wir da an? Wir leben in einer Zeit, in der vor allem in den USA die Wissenschaft diskreditiert wurde. Zweckmäßig im Dienst der Industrie. Und es passiert auf der ganzen Welt."
Das Rattern der Maschinen stammt aus dem Braunkohletagebau Jänschwalde, einer kleinen Gemeinde bei Cottbus in Brandenburg. Es sind Aufnahmen, die der Fotograf Henry Fair bei seinem ersten und letzten Besuch dort machte. Eine erneute Besichtigung im Rahmen dieses Interviews wurde ihm – und uns – verwehrt. Es fehle dem Unternehmen momentan an Kapazitäten, um betreute Führungen durchzuführen, erklärte der Pressesprecher der Lausitz Energie Bergbau AG, kurz LEB, am Telefon.
Die Absage kommt nicht überraschend. Die Arbeit des Künstlers Henry Fair steht im Zeichen des Klimawandels, was ihn zu einem unerwünschten Gast auf dem Gelände eines Kraftwerk- und Tagebaubetreibers macht. Was er 2011 mit seiner Kamera in Jänschwalde dokumentierte, zeigt die katastrophalen Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur.
"Ich versuche Bilder zu machen, die Geschichten erzählen. Geschichten, über die großen Probleme in der Welt, vor denen wir heute stehen. Um das zu tun, musste ich erst einmal herausfinden, wie man Bilder macht, die den Betrachter bewegen. Die Dokument und Kunstwerk zugleich sind. Deshalb bin ich Fotograf, Wissenschaftler, Aktivist und Ingenieur in einem."
Atemberaubende Landschaftsaufnahmen
Henry Fairs Fotografien schockieren und verzaubern, sie sind Weckruf und Verführung. 20 dieser Arbeiten sind derzeit im Berliner Naturkundemuseum zu sehen. Linda Gallé, Kuratorin der Ausstellung ARTEFAKTE hat mit Henry Fair eine ungewöhnliche Position in das Ausstellungshaus geholt…
"ARTEFAKTE ist eine Ausstellung, die sich mit Umwelt-Problematiken befasst, aber einen neuen Zugang wählt, als jetzt vielleicht klassische Naturkunde-Ausstellungen tun würden."
Was sich hinter den großformatigen, ästhetisch höchst anspruchsvollen Bildern verbirgt, sind schwer zugängliche Industriegebiete, Giftmüllablagerungen und Kohleabbaugebiete aus der Vogelperspektive. Mit einem Helikopter überfliegt der Umweltaktivist Naturschauplätze, die von Menschenhand zerstört wurden und fängt dabei atemberaubende Aufnahmen ein – Landschaftsbilder, die auf dem Papier kaum als solche zu erkennen sind.
Zweidimensionale Großformate ohne Horizont zeigen abstrakte Formen und Strukturen in leuchtenden, nahezu verführerischen Farben. Ein saftiges Grün und strahlendes Blau verschmelzen zu einem großen Strudel, eine Ader aus sattem Rot schlängelt sich durch einen zitronengelben See. Fairs Arbeiten sind Rätselbilder, in die es einzutauchen gilt.
Linda Gallé: "Eins meiner Lieblingsbilder sieht ein bisschen aus als hätte ein Raubtier oder vielleicht sogar ein Dinosaurier mit seinen Krallen über den Erdboden gekratzt und Narben hinterlassen. Man sieht im Prinzip Spuren, eigentlich wassergefüllte Gräben in unterschiedlichen Farben und was das Bild zeigt ist, dass das saures Grubenwasser ist".
Henry Fair spricht von "industriellen Narben"
Linda Gallé, die Kuratorin, deutet auf ein großformatiges Bild, es zeigt den Kohltagebau im Hambacher Forst. Ein Ort, der Henry Fair immer wieder angezogen hat.
Henry Fair: "Ich habe diesen Tagebau viele Male fotografiert. Wenn man als Amerikaner über so ein kleines Stück Wald fliegt, nimmt man es kaum wahr, weil es so unscheinbar ist. Trotzdem ist es der Lebensraum von fünf Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind. Das sollte Grund genug sein, den Wald zu retten. Und genau so wähle ich meine Motive aus. Ich möchte über etwas sprechen, das höchst umstritten ist oder kurz davor, zu einer großen gesellschaftlichen Debatte aufzukochen."
Als industrielle Narben bezeichnet Fair das Ergebnis seiner Kompositionen. Die Schauplätze seiner Arbeiten finden sich vor allem in Europa und in den USA. Er hat den Golf von Mexiko fotografiert, auf dessen Wasseroberfläche ein riesiger, rot schimmernder Ölteppich schwamm, nachdem die Ölplattform Deepwater Horizon 2010 explodierte. Die Liste der Orte, an denen die Natur vom Menschen mutwillig zerstört wurde, ist lang. Und das Ausmaß der Zerstörung ist vielen noch gar nicht bewusst, auch den Besuchern im Naturkundemuseum nicht.
Besucherin: "Ich finde die Bilder an sich sehr beeindruckend, visuell sieht es erstmal toll aus, man denkt es sind irgendwie tolle bunte Bilder, aber wenn man sich dann durchliest, was der Hintergrund dessen ist, dann ist es halt sehr erschreckend."
Besucher: "Es macht mich nachdenklich. Man denkt dann immer kurze Zeit darüber nach und denkt, ja ich kann nichts machen als Einzelner, aber das stimmt ja eigentlich nicht."
Besucher: "Es macht mich nachdenklich. Man denkt dann immer kurze Zeit darüber nach und denkt, ja ich kann nichts machen als Einzelner, aber das stimmt ja eigentlich nicht."
Selfie vor Schweinefäkalien
Einige junge Mädchen positionieren sich vor einer zart gefleckten rosa farbigen Arbeit und machen ein Selfie. Sie ahnen nicht, dass es sich um Schweinefäkalien handelt, die durch den Hurricane Florence über große Landstriche in North Carolina geschwemmt wurden. Die rosa Farbe stammt von den Hormonen, die Schweine in den USA gefüttert bekommen. Eine Komposition – absurd und schön zugleich.
Fair ist kein Künstler im klassischen Sinne. Er nutzt die Kunst aber als Medium, um die Umweltzerstörung auf eine neue Art sichtbar zu machen.
Henry Fair: "Betrachtet man die Trends im Kunstmarkt, so erfreut sich vor allem in Deutschland die Konkrete Kunst großer Beliebtheit. Es ist Kunst über nichts. Kunst über die inneren Gefühle des Künstlers. Alles schön und gut. Aber es ist keine Kunst, die aufzeigt, was in der realen Welt passiert. Die großen Themen unserer Zeit. Und für mich sollte es bei der Kunst um die großen Themen unserer Zeit gehen. Alles andere ist nur Dekoration."