Die Ausstellung "Deutscher Kaviar" ist im Bonner Kunstmuseum bis zum 16. Oktober 2022 zu sehen.
Flüchtige Momente und große Umbrüche
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"Deutscher Kaviar" heißt eine Sonderausstellung im Bonner Kunstmuseum, die sich der zeitgenössischen Fotografie widmet. Ihr Schwerpunkt liegt beim Leben im Kapitalismus, aber auch dem Verhältnis des Individuums zur postindustriellen Gesellschaft.
Seit rund 50 Jahren sammelt das Bonner Kunstmuseum zeitgenössische Fotografie. Mehr als 400 Werke und Serien sind dabei zusammengekommen, die insgesamt mehrere Tausend Fotografien umfassen. Im Rahmen des Förderprogramms „Forschungsvolontariat Kunstmuseen NRW“ wurde die Sammlung systematisch aufgearbeitet und erforscht. Teile daraus werden nun in der Sonderausstellung "Deutscher Kaviar" neu präsentiert. Der Schwerpunkt liegt auf Fotokunst, die seit 1965 in Deutschland entstanden ist.
Schwerpunkt ist das Leben im Kapitalismus
Schnappschüsse finden sich keine in der Ausstellung. Alle Fotos wirken kühl komponiert und präzise orchestriert. Die Arbeiten sind nicht chronologisch gehängt, es ist kein Gang durch die Jahrzehnte der Fotokunst, sondern eine Schau, die den Schwerpunkt auf das Leben im Kapitalismus legt.
So ist der erste Raum dominiert von Insignien des Geldmarkts. Andreas Gurskys Bild der Chicagoer Börse hängt einer Serie von Timm Rautert gegenüber, die Frankfurter Börsenmitarbeiter mit dem Rücken zur Kamera zeigt. Das Individuum als williges Rädchen im kapitalistischen Getriebe.
Individuum und Gesellschaft
"Diese Fotografen verarbeiten aber eigentlich das Verhältnis vom Individuum in der postindustriellen Gesellschaft", sagt Jan Philipp Nühlen, einer der Kuratoren der Ausstellung." Es gehe um ein Nachlassen der Bedeutung des Individuums. "Gepaart sind die mit Fotografien von Lewis Baltz, der eben die voranschreitende Technisierung seit den späten 80er-Jahren eigentlich fotografiert, an Standorten wie France Télécom zum Beispiel."
Acht Räume hat Nühlen gemeinsam mit der Leiterin der Fotosammlung Barbara Scheuermann konzipiert. Sie zeigen neben Gursky auch dessen Lehrmeister Hilla und Bernd Becher und ihre bekannten Wasser- und Fördertürme aus dem Ruhrgebiet sowie weitere Arbeiten der Düsseldorfer Fotoschule etwa von Thomas Struth.
Partybilder aus den 1970er
Nicht zu verwechseln mit den Werken der Düsseldorfer Szene: wilde Zusammenkünfte von Künstlerfreundinnen und Künstlerfreunden, auf Foto gebannt. Katarina Sieverding Arm in Arm mit Marina Abramović und Partybilder aus den 1970ern. Hier werden soziale Kontakte gepflegt, keine kunsthistorischen Gemeinsamkeiten verhandelt.
Etwas zu lange gefackelt hat Ulrike Rosenbach, als sie Fotos von Joseph Beuys machte, der Mitte der 1970er-Jahre in New York war und ein Frühstück mit 50 Künstlerinnen besuchte. Rosenbach machte ein Bild von der Zusammenkunft. Heute, im Zeitalter der schnell griffbereiten Handys, hätte man einen wie Beuys im Foto festgehalten, wie er beim Betreten des Raums den Hut hebt.
Die großen Umbrüche
Aber es sind nicht nur die flüchtigen Momente, die festgehalten werden, es sind auch die großen Umbrüche. Von analoger zu digitaler Kunst in den 1990ern, von der Fotokunst als Ware und dem gegenseitigen, nie endend wollenden Einfluss der bildenden Kunst auf fotografische Arbeiten.
Besonders schön ist das bei der titelgebenden Arbeit „Deutscher Kaviar“ von Astrid Klein und Rudolf Bonvie zu sehen. Die Bildkomposition erinnert an Piet Mondrian, geometrisch strenge Formen setzen die Dose Kaviar schwarz-weiß in Szene. Doch bei aller postkapitalistischer Kritik, die Ausstellung ist auch hoffnungsfroh, betont Kuratorin Barbara Scheuermann.
"Ich finde aber auch, dass wir in der Ausstellung schön sehen können, dass das Individuum noch da ist, dass es doch sich immer wieder Freiräume schafft", sagt sie. "Gerade natürlich das künstlerische Individuum, das hoffentlich für uns alle steht, dass es immer wieder die Möglichkeit der Entfaltung gibt – und das ist hoffentlich auch das, was von der Ausstellung bleibt."