Draufgänger trifft Bildstrategen
Julian Röder von der Agentur Ostkreuz konfrontiert einige Fotografien des legendären Kriegsreporters Robert Capa mit eigenen Aufnahmen von den Fronten der heutigen Globalisierungskonflikte. Er sucht nach gezielten Interventionen im täglichen Ansturm der Bilder.
Im Laufen fällt ein Mann, von der feindlichen Kugel tödlich getroffen: Spanien 1936. In der Meeresbrandung kämpft sich ein Soldat durchs Drahtverhau: Normandie 1944. Mit diesen Nahaufnahmen von der Front stieg Robert Capa zur Reporterlegende auf. Einige Schwarzweißbilder des Magnum-Fotografen hat Julian Röder von der Agentur Ostkreuz ausgewählt, um sie in der Kunsthalle Erfurt mit eigenen Fotoserien zu konfrontieren:
"Wenn man eben nur die Konflikte zeigt und nicht das, was zu den Konflikten geführt haben könnte, finde ich: Man bestätigt sich in seinem Draufgängertum, dass man sich getraut hat ins Kriegsgebiet zu fahren."
Röder selbst ging gegen den G-8-Gipfel in Genua auf die Straße, dokumentierte die gewalttätigen Auseinandersetzungen hautnah. Aber das war eben keine militärische Front, die – wie zu Capas Zeiten – jeden Betrachter von vornherein zur Parteinahme zwang: Die Sympathien der Leser von "Life" und "Picture Post" galten "ihren" Soldaten, die gegen Hitler zu Felde zogen. Wenn dagegen heute Polizisten die Grenzen Europas flächendeckend überwachen, verrichten sie ganz neutral ihren Job: Julian Röder zeigt entschlossen dreinschauende Männer in statuarischen Posen, perfekt ausgeleuchtet. Eine bizarre Mischung aus farbensattem Schlachtengemälde und digitaler Werbeinszenierung, die in der Grenzschutzagentur Frontex keineswegs als Kritik empfunden wird:
"Die finden die Fotos natürlich total toll – die sehen ja auch aus wie aus einem Geschäftsbericht. Deswegen hat es natürlich eine totale Ambivalenz. Das ist ja ein hoher Grad der Affirmation, mit dem man da spielt. Wie es gemeint ist, begreift man vielleicht erst, wenn man die anderen Arbeiten von mir kennt."
Die Aneinanderreihung spektakulärer Einzelbilder wird ersetzt durch die Serie, das klug komponierte Fotobuch oder eine überlegt gehängte Ausstellung. In Zeiten anonymer Marktgesetze, an den Fronten der Globalisierungskonflikte ist der draufgängerische Fotoreporter mit intuitivem, fast schon genialischen Gespür obsolet geworden. An seine Stelle tritt bei Julian Röder das "dokumentarische Konzept" des selbstkritischen Bildregisseurs:
"Zur Schau zu stellen, was für situationsbildende Rollen die Kamera hat und in welcher Rolle man als Fotograf steht. Weil man auf etwas draufblickt – und nicht zu suggerieren, man wäre ein Teil davon."
Politisch steht der Fotograf auf der Seite der Proteste gegen die "summits", die Gipfeltreffen, und lässt sich deshalb nicht mitreißen von den Demonstrationen:
"Ich wollte ja nicht nur die Proteste an sich zeigen, sondern auch, was da in der Kritik steht."
Purer Bildwitz mit Hintersinn
Mit Parolen oder plakativen Bildsymbolen ist das nicht getan. Eher mit einem Stillleben wie dem Zeppelin, der über der Normandieküste schwebt, genauso wie damals in den Kriegsfotos von Robert Capa. Jetzt geht es um Überwachung aus der Luft, um die abstrakte Herrschaft über ganz friedlich wirkende Räume. Das lässt sich aus der Bildunterschrift erahnen, die in Kombination mit dem großformatigen Farbfoto zum Weiterdenken anstachelt. Bis dann ein ganz anderes Foto auffällt von einem Trupp schneidiger Offiziere, die in Uniform mit prall gefüllten Einkaufstüten vorbei an Panzern und Haubitzen schlendern. Das ist der pure Bildwitz, den der Fotograf mit Hintersinn ganz gezielt einsetzt:
"Dass es so etwas gibt auf der Welt, und es kann es wohl auch nur in so einem globalen Kapitalismus Waffenmessen geben, wo Streitkräfte verschiedenster Nationen, die sich sonst feindlich gegenüberstehen, gemeinsam shoppen gehen."
Im Grunde geht es Julian Röder um die Messe, um Kaufhäuser und Konsummeilen als „verdichteten Raum" der Kapitalbewegungen. Um eine aufwendig konstruierte Scheinwelt, die ganz handfest über Menschen herrscht, die – so der Titel dieser beeindruckenden Serie – nur noch als "human ressources" von Nutzen sind:
"Alles was da gebaut ist, ist da hingebaut, um ein Produkt zu präsentieren. Und man hat diese staffagenhafte Architektur, diesen Möchtegern-Futurismus, inmitten dessen dann die Menschen als human ressources mit der Anpreisung der Waren beschäftigt sind."
Da kommt die "konzeptionelle Dokumentarfotografie" gerade recht. Sie bedeutet nicht den Rückzug auf den Feldherrnhügel der Theorie, sondern gezielte Interventionen im täglichen Ansturm der Bilder. Und damit definiert Julian Röder – durchaus als würdiger Enkel Robert Capas – sich und seinen Beruf ganz neu:
"Bildstratege – oder über die Bilder, die uns umgeben und mit denen wir permanent beballert werden, wie man sich darüber bewusst werden kann, in welchem Zusammenhang die warum und wie angewendet werden – und dann vielleicht für die eigene Arbeit nutzbar machen."
Informationen der Kunsthalle Erfurt zur Ausstellung "CC – Classic Contemporary: Julian Röder & Robert Capa"