Fotografie

Gisèle Freund in Schwarz-Weiß

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Die Fotografin und Schriftstellerin Gisele Freund. © picture alliance / dpa
Von Jochen Stöckmann |
Man kennt von ihr eigentlich immer nur Farbfotos, große Porträts in goldenen Rahmen. Eine neue Ausstellung zeigt nun eine andere Seite der französischen "Grande Dame" der Fotografie, Gisèle Freund: vor allem viele Grautöne. Eine erhellende Entdeckung.
Auf den ersten Blick sind die Kuratoren einer Gisèle Freund-Ausstellung eigentlich nur zu bedauern. Wie oft sind die Schriftstellerporträts der "Grand Dame", wie einige sogar meinen: der "bedeutendsten Fotografin des 20. Jahrhunderts" nicht schon museal inszeniert worden, was wird da schon Neues zu sehen sein? Aber diesmal verspricht Janos Frecot "fotografische Szenen", nicht nur im Untertitel des Katalogs:
"Diese Ausstellung, in der man nicht auf die erwarteten Dinge stößt, nämlich auf eine große Wand, auf der dreißig grandiose Porträts sozusagen im virtuellen Goldrahmen hängen, sondern auf Storys."
Bildergeschichten, Fotoserien von der Entstehung der "Porträt-Ikonen" von Sartre und der Beauvoir, James Joyce oder André Breton, Nabokov und Pablo Neruda verdichten sich im Parcours der Akademie der Künste zu einer durchaus aufregenden Alternativ-Story: Was Gisèle Freund, die 1933 nach Paris emigrierte Soziologie-Studentin über sich selbst zu verbreiten nicht müde wurde, hier wird es durch Fotos und Fakten konterkariert.
Sie kokettierte mit ihrem Status als Autodidaktin
Vor allem der im französischen IMEC-Literaturarchiv recherchierte Nachlass dementiert die Mär von der Pressefotografin, die mit ihrem Status einer "Autodidaktin" kokettierte, die nur der Not des Exils gehorchend, später eher zufällig kommerziell erfolgreich in diesem Metier arbeitete. Und deren Porträts immer als private Souvenirs galten, als Erinnerungen an Momente, in denen ihre Freunde, die Schriftsteller, ausnahmsweise die Maske hatten fallen lassen.
"Vor allem war Adrienne Monnier der Zugang und der Schlüssel zu diesen Kreisen, mit dieser berühmten Buchhändlerin hat sie ja dann auch zusammengelebt und in deren Wohnung ein Studio eingerichtet. Dort sind viele dieser berühmt gewordenen Farbporträts entstanden."
Einige dieser empfindlichen Farbdias sind jetzt digital rekonstruiert – und wirken dennoch merkwürdig antiquiert. Denn Paris war damals mit Brassai, Kertesz und Cartier-Bresson die Metropole der Reportagekünstler, der Meister des sekundenschnell aufgefassten, dennoch brillant komponierten Bildes.
"Sie hat sich damals für Farbfotografie entschieden und musste damit eine lange Belichtungszeit in Kauf nehmen. Und was macht sie? ‚Stützen Sie mal die Hand auf und halten Sie den Kopf möglichst still!‘ Und da kommen halt diese Bilder raus. Das ist ein bisschen erschreckend, wie stereotyp das plötzlich wird."
Janos Frecot mag es immer noch nicht allzu laut sagen: Die berühmten Porträts gleichen in ihrer statuarischen, geradezu altväterlichen Inszenierung jenen frühen Fotografien, die Gisèle Freund selber in ihrer Doktorarbeit über "Fotografie und Gesellschaft" vehement kritisiert hatte. Auch Walter Benjamin kennen wir in dieser Pose des melancholischen Intellektuellen. Nun aber kommen mit Rückgriff auf Negative und Kontaktkopien aus dem IMEC-Archiv erstmals Aufnahmen ins Spiel, die Gisèle Freund bewusst beiseite gelassen hat. Kuratorin Gabriele Kostas:
Nicht interessiert, schöne oder gute Fotos zu zeigen
"Viele von den Schwarz-Weiß-Fotos sind unscharf, sind nicht repräsentativ, eignen sich nicht zu gut zum Verkaufen und Ausstellen. Außerdem hat sie sie nicht gezeigt vor der Wiederentdeckung Benjamins. Das heißt: igentlich war sie nicht so sehr interessiert daran, schöne oder gute Fotos zu zeigen, sondern Fotos zu zeigen von Berühmtheiten."
Berühmt, bekannt geworden war Benjamin erst nach 68, mit der Studentenrevolte. Damals wurde auch das unscharfe Porträt von André Malraux mit windzerzausten Haaren zum Sinnbild des dandyhaften Resistance-Kämpfers. Und Gisèle Freund war die Fotografin der Stunde, galt fortan als "Ikone". Aber was vor lauter Anbetung in Vergessenheit geriet, das ist jetzt endlich zu sehen: Mit den fast schon filmischen Sequenzen der Porträtsitzungen, der "Inszenierungen" von Virginia und Leonard Woolf oder Pablo Neruda, den vielen Aufnahmen für die Reportage über Frida Kahlo und Diego Riviera entfaltet sich ein Mentalitäts- und Sittenpanorama der Schriftsteller- und Künstlerexistenzen bis in die sechziger Jahre hinein.
"Wir haben eine Fotografin entdeckt, die ich persönlich so nicht für möglich gehalten hätte. Wenn ich angucke, was immer publiziert worden ist, immer das Gleiche, immer das Gleiche, immer wieder diese Farbporträts."
Nun also Gisèle Freund schwarz-weiß, vor allem aber: in sehr differenzierten Grautönen. Nicht mehr die "Grande Dame", geschweige denn "die bedeutendste Fotografin" – aber gerade deshalb eine im Wortsinne erhellende Entdeckung.
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