Man merkt die Absicht
Eine neue Ausstellung im Dieselkraftwerk Cottbus widmet sich der politischen Fotografie. Dabei offenbart sich die Fotografie als Katalysator sozialer Bewegungen.
"Kritische Kamera" hat Carmen Schliebe, Kuratorin im Museum Dieselkraftwerk in Cottbus, ihre jüngste Ausstellung genannt. Gemeint ist natürlich nicht der Fotoapparat und dessen vorgeblich unbestechlich "objektive" Aufnahmetechnik, sondern der kritische Blick der Menschen hinter der Kamera:
"Die sehen sich in einem großen Engagement für soziale und politische Fotografie, die ja immer weiter verdrängt wird aus den Illustrierten, aus der Medienwelt. Und die hat natürlich hier im Museum einen schönen Ort, um sich zu entfalten und auch ein Publikum zu finden."
Es geht um so etwas wie die "kritische Masse": Die Kamera, beziehungsweise die Fotografie als Katalysator sozialer Bewegungen. Das hat sich die 2006 gegründete Gesellschaft für humanistische Fotografie zum Ziel gesetzt. Vereinsvorsitzende ist Katharina Mouratidi, deren Serie "Bescheidene Helden" im Zentrum der Gruppenausstellung steht:
"Nun ist natürlich gerade Katharina Mouratidi sehr engagiert, mit Projekten das Wohl auf diesem Planeten zu verbessern. Und dadurch ist sie dann auch eines Tages auf diese alternativen Nobelpreisträger gestoßen – und dieses Thema mal wirklich auszubreiten und diese Helden des Alltags auch vorzustellen."
Wenn aus kleinen Initiativen große Bewegungen werden
Da denkt man an Aktivisten, abseits der repräsentativen Auftritte "großer Politik" agieren. Wenn aber alternative Nobelpreisträger auf ein und demselben rotgepolsterten Rokokosessel Platz nehmen müssen, dann wird das politische Engagement finnischer Kämpfer gegen die Landflucht, russischer Soldatenmütter oder malaysischer Regenwaldschützer reduziert auf gleichförmige inszenierte Freundlichkeit, auf schlichte Sympathiewerbung:
"Man kann sehr schön Mimik, Gestik, Gesichter, Blicke beobachten – und erfährt dann natürlich aus dem begleitenden Text die ungewöhnlichen Geschichten, wo aus kleinen Initiativen oft große Bewegungen werden."
Einsichten in gesellschaftliche Strategien und politische Alternativen gewährt allein der Text, die Bildunterschrift. Ein klägliches Überbleibsel der großartigen Tradition jener Fotobücher, in denen Schriftsteller wie James Agee und John Steinbeck zusammen mit den Fotografen Walker Evans oder Robert Capa über die Große Depression in den USA oder die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg berichteten.
"Ja, es gibt schon noch Fotografen die oft zusammen losziehen. So ist zum Beispiel Robert Knoth mit seiner Partnerin, mit seiner Frau unterwegs, die dann als Journalistin auch wieder das Ganze in Texte fasst zu seinen sehr eindrücklichen Bildern."
Knoth hat Menschen in der radioaktiv verseuchten Gegend um Tschernobyl porträtiert. Die schockierende Wirkung dieser auf den ersten Blick oft ganz gewöhnlichen, von einem Grauschleier überzogenen Schwarzweiß-Bilder rührt vom Text her, von Diagnosen wie Gebärmutterkrebs, Gehirntumor oder Schilddrüsenkarzinom. Erst in ihrem Licht sind die verdeckten Operationsnarben, die Spuren der tödlichen Krankheit zu erkennen.
Fotografie muss erst einmal frei sein von politischen Intentionen
Nur einmal setzt Knoth auf starke graphische Kontraste, die der Sozialdokumentarist Sebastiao Salgado so virtuos wie erfolgreich perfektioniert hat: Vor pechschwarzem Hintergrund liegt eine Frau unter blendend weißen Laken auf dem OP-Tisch. Ein fesselndes Bild, das deutlich macht: Auch Fotojournalisten müssen sich mit stilistischen Tendenzen, künstlerischen Vorbildern auseinandersetzen. Und dabei kommt Museen wie dem Dieselkraftwerk eine Schlüssel- und Scharnierfunktion zu:
"Es ist ja hier im Jahr 1979 diese Sammlung Fotografie gegründet worden und dann ist immer wieder gekauft worden. Und die Ausstellungen dienten dazu, dieses Medium beim Publikum in dieser Zeit als Kunstform anerkannt zu sehen."
Dafür aber muss Fotografie erst einmal frei sein von politischen Intentionen und inhaltlichen Vorgaben. Dauerhafte Wirkung bleibt der Kunst vorbehalten, und den ästhetischen Hebel kann nur ansetzen, wer absichtslos und daher unverkrampft mit der formalen Gestaltung experimentiert, den Entstehungsprozess der Bilder offen hält. Das demonstriert Andrea Diefenbach mit ihrer zweigeteilten Fotoserie über einerseits moldauische Gastarbeiter in Italien und andererseits deren ohne Eltern aufwachsenden Kinder.
Und vor allem Alexander Janetzkos Jerusalem-Kaleidoskop, eine filmartig „geschnittene" Folge von Einzelfotos, die den zersplitterten, durch Konflikte fragmentierten Charakter dieser Stadt auch formal hervorhebt. Beide Beiträge sind – wen wundert's? – außerhalb der Gesellschaft für humanistische Fotografie entstanden.