Was vom Krieg übrigbleibt
Panzerwracks, Ruinen, Überlebende. Die Fotografien der Ausstellung "Conflict, Time, Photography" zeigen die Nachwirkungen von Kriegen. Die Aufnahmen sind nach ihrem zeitlichen Abstand zum eigentlichen Kriegsereignis angeordnet.
Es ist keine Fotodokumentation akuter Kriege und Konflikte, sondern ein Blick zurück – nicht zufällig in diesem Jahr der Gedenkveranstaltungen, erläutert Tate Modern Direktor Chris Dercon:
"Because 2014 is a very important moment in time in terms of remembering conflict. 1914 – 2014 hundred years later."
Hundert Jahre nach dem Abschlachten im Ersten Weltkrieg also ein Blick zurück, aber nicht auf die Gräuel in diesem und anderen Konflikten, auf das Kriegsgeschehen selbst, sondern – und das ist die erste Besonderheit dieser Ausstellung - auf seine Hinterlassenschaften. Wir sehen nicht Gefechtsszenen und zerfetzte Leiber, sondern Städte, Überlebende, Landschaften und Schlachtfelder nach einer Auseinandersetzung.
Fotografien winzig klein und riesig, farbig und schwarz-weiß, einzeln, in Reihen, Bildbänden und Alben, Aufnahmen nach den Kriegen im Irak und Afghanistan, in Angola und Nicaragua; aus Berlin und Dresden nach dem Zweiten Weltkrieg und aus Reims und Flandern nach dem Ersten.
"Aber wie erinnern wir uns an diese Konflikte? Manchmal sehen wir sie Sekunden später, ein andermal müssen wir Wochen warten oder Monate. Und manchmal wollen wir Ihrer gedenken und blicken auf sie zurück 25 Jahre danach. Deswegen haben wir die Ausstellung nicht chronologisch geordnet anhand der Frage, wie sollen wir Konflikte zeigen, sondern danach, was uns die Fotografie erzählt über Konflikte, wenn wir sie wahrnehmen im Rückblick durch das Brennglas des zeitlichen Ablaufs. Als Theater der Erinnerung."
Der zeitliche Abstand ist entscheidend
Und das ist die zweite Besonderheit von "Konflikt, Zeit, Fotografie": Die Aufnahmen sind danach angeordnet, wie kurz oder lang nach einem Ereignis sie entstanden sind.
Die Ausstellung endet mit aktuellen Fotografien, die 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Stellen in den Vogesen und Flandern abbilden, wo damals Deserteure standrechtlich erschossen worden sind. Und sie beginnt mit dem berühmten Bild des US-Fotojournalisten Don McCullin aus dem Vietnam-Krieg "shell-shocked US Marine – verstörter US-Soldat".
"Es ist geschossen worden nur Augenblicke, nachdem der Marine Zeuge eines schlimmen Angriffs wurde, und man sieht ihn völlig traumatisiert, fast eingefroren. Und wir kontrastieren es mit dem Foto gegenüber von Luc Delahaye, Sekunden nachdem eine Straßenbombe in Ramadi im Irak hochgegangen ist und das Panzerfahrzeug zerstörte, das Sie hier auf der linken Seite sehen. Der Staub hängt noch in der Luft. Ein mächtiges Bild. Beide Aufnahmen geben uns zwei mögliche Sichtweisen, wie man einen Konflikt betrachten kann: Indem man die Nachwirkung eines Anschlags zeigt oder die Folgen, die es für einen Menschen hat."
Sagt Kurator Simon Baker. Reizvoll ist zweifellos die Konzentration auf die Nach-Kriegszeiten. Und zu sehen sind großartige Aufnahmen. Die beeindruckenden fast 100 großformatigen Farbfotografien von Sophie Ristelhueber: Panzerwracks, Spuren, Geschütze und Ruinen – verweht im kuwaitisch-irakischen Wüstensand sieben Monate nach dem ersten Golf-Krieg. Und nicht zu vergessen die Schwarz-Weiß-Bilder von West-Berliner Brachflächen - 35 Jahre nach dem Ende des Krieges gemacht von Michael Schmid, der in diesem Jahr verstarb und dem Tate-Direktor Chris Dercon die Ausstellung explizit widmete.
Für sie Pate gestanden habe, so sagt Kurator Simon Baker, der Schriftsteller Kurt Vonnegut, der in seinem Roman "Schlachthof 5" die Bombardierung Dresdens verarbeitete, die er als Kriegsgefangener in einem Fleischlager-Keller überlebt hatte.
"Er sagt zu Beginn seines Buchs, Menschen sind nicht dafür gemacht, zurückzublicken. Und im ganzen Buch geht es nur um das Problem des Rückblicks, der Erinnerung. Wie denken wir über die Vergangenheit, über traumatische, schwierige Ereignisse. Wir wollten uns demselben Problem nähern - durch Fotografie und nicht durch Literatur."
Konzept der Zeitkategorien nur teilweise gelungen
Das ist nur teilweise gelungen. Zwar macht die Ausstellung deutlich, wie lang die Wunden eines Konfliktes sichtbar bleiben. Auch ist die Idee, als Ordnungsprinzip den zeitlichen Abstand nach einem Ereignis einzuführen, grundsätzlich reizvoll. Doch es wirkt überfrachtet und konstruiert, die Schau in elf unterschiedliche Zeitkategorien aufzufächern - von "Momente später" , über "Wochen und Monate", "ein bis zehn Jahre" bis hin zu "85 – 100 Jahre später".
Vergeblich sucht man häufig nach Analogien der nebeneinander präsentierten Aufnahmen – etwa wenn sich in einem Raum Berlin, Ho-Chi-Min-Stadt und Nicaragua finden unter der Überschrift "35 Jahre nach dem Konflikt". Vermutlich wäre es sinnvoller gewesen, wenn sich die Kuratoren auf nur drei oder vier Zeitkategorien beschränkt oder gar ganz darauf verzichtet hätten, um statt dessen fotografische Rückblicke auf jeweils einen Konflikt zu zeigen – von kurz danach bis sehr viel später.