Fotografien aus China

Liu Xias traurige Puppenbilder

Bilder von der chinesischen Fotografin Liu Xia im Martin-Gropius-Bau in Berlin; Aufnahme vom Februar 2015
Bilder von der chinesischen Fotografin Liu Xia im Martin-Gropius-Bau in Berlin; Aufnahme vom Februar 2015. © picture alliance / dpa
Von Aishe Malekshahi |
Sie ist die Frau des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, steht unter Sippenhaft, darf ihr Haus nicht mehr verlassen: Die Ohnmacht gegenüber dem chinesischen System drückt Liu Xia in ihren Fotografien aus. Sie sind derzeit im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.
Auf jedem der fünfzig schwarz weißen Bilder von Liu Xia sind Puppen zu sehen. Puppen, die ein Freund aus Brasilien mitgebracht hatte. Keine lieblichen Püppchen, sondern, Puppen, die einen ängstigen. "Ugly Babies" nennt die chinesische Künstlerin ihre fotografische Serie. Für die Puppen hat sie ein groteskes Ambiente geschaffen: Sie stecken in einem Glas fest, wie konservierte Föten. Sie sind auf Holzpfählen aufgespießt oder hängen an einem Balken mit einer Schlinge um den Hals - den Mund zu einem Schrei geöffnet.
"Das sind sehr emotionale Bilder. Sie sind einfach furchtbar und schön zugleich."
Das sagt Jim Glanzer. Der New Yorker Banker zählt seit rund zehn Jahren zu dem Freundeskreis um Liu Xia und Liu Xiaobo.
"Die Fotografien sind furchtbar, wenn man direkt vor ihnen steht und sie sind schön, weil sie einen Einblick in das Innenleben derjenigen gewähren, die sie geschaffen hat. Sie sind entstanden, weil sie keine andere Möglichkeit hatte mit ihrem Mann - im Gefängnis - zu kommunizieren. Und was kann ein Gefängnisaufseher schon mit einer Fotografie anfangen, die ein Baby vor einer chinesischen Kalligraphie zeigt?!"
Die Aufnahmen zeigen die Ohnmacht gegenüber einem System, das keine anderen Stimmen duldet, dass seine Künstler und Intellektuellen zwingt, sich konform zu verhalten. In der Geschichte Chinas gab es immer wieder verschiedene Phasen der Unterdrückung: Wo soll man in der Aufzählung anfangen? In der jüngeren Zeitgeschichte, bei der Kulturrevolution? Bei der Niederschlagung des Aufstandes auf dem Tiananmen Platz? Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus betont:
"Es gab eine Zeit in den 1980er-Jahren in der China nach der schrecklichen Kulturrevolution zumindest die Form der Kunst freigegeben war, nicht die Inhalte und wir spüren jetzt ein roll back, zurück zum sozialistischen Realismus, Bauernmalerei etc. Universitäten werden angewiesen westliche Werte, westliche Bücher nicht mehr zu vermitteln. Wenn ich so verkürzt sagte, so ist es in der Wirklichkeit heute noch schlimmer.“
Niemand möchte verraten, wie die Negative nach Berlin gekommen sind
Die Repression ist stärker geworden, so stark, dass niemand verraten möchte, wie die Negative der Künstlerin nach Berlin gekommen sind. Denn die Bilder sind hier entwickelt worden. Die Ausstellung zeigt auch Filme, die einen Einblick in ihren Alltag geben, unter anderem ihr erstes Fernsehinterview unter Hausarrest, aus dem Jahr 2012:
In einem Interview schildert Liu Xia, dass sie es nie für möglich gehalten hätte, wegen des Friedensnobelpreises an ihren Mann Xiaobo, selbst dazu verurteilt zu werden, nicht mehr die Wohnung verlassen zu dürfen - bis auf einmal im Monat für einen Gefängnisbesuch. Selbst Kafka hätte nichts Absurderes schreiben können, sagt sie noch, und dann beginnt diese zierliche Frau zu weinen. Liu Xia steht unter Dauerbewachung betont Herbert Wiesner, der sich seit seiner Zeit im Präsidium des deutschen Pen für sie engagiert.
"Dieser Hausarrest, der zum Beispiel bedeutet, dass sie – nachdem sie krank geworden ist, auch psychisch krank –, dass sie keine freie Arztwahl hatte, dass sie in ein Polizeikrankenhaus musste, das man ihr diktiert hat. Also, diese Frau erleidet das, was wir in der Nazizeit Sippenhaft genannt haben."
O-Ton: Fernsehausschnitt Liu Xia liest aus einem ihrer Gedichte.
Liu Xia nimmt mit ihren Gedichten, von denen einige in der Ausstellung zu lesen sind –Verbindung zu ihrem Mann auf, aber auch zur Welt. In einem ihrer Gedichte entspinnt sich ein Dialog mit dem inhaftierten Xiaobo, der sie zu fragen scheint: "Wäre es nicht schön, die Vögel in den Bäumen zu zeichnen?" Und sie antwortet: "Ich bin zu alt, um sie zu sehen. Blind.“
Wenn man dann auf das Foto von Xiaobo mit einer schreienden Puppe an seiner Schulter schaut – dann ahnt man, dass dieses Bild ein trauriges Doppelporträt ist.