Helga Paris, Fotografin
8. November 2019 - 12. Januar 2020
Akademie der Künste, Berlin
Schnörkellose Chronik des DDR-Alltags
05:51 Minuten
Helga Paris wurde mit ihren Fotografien von Kneipenbesuchern, Müllfahrern, Künstlern und Punks in Ost-Berlin und Leipzig zur Chronistin des DDR-Alltagslebens. Jetzt ist eine umfangreiche Ausstellung ihres Werks in der Berliner Akademie der Künste zu sehen.
Ende der 70er-Jahre tauchen im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg die ersten Punks auf: Mädchen mit bunten Haaren, Jungs mit Lederjacken und Sicherheitsnadeln im Ohr. "Und ich hatte Angst vor denen, weil die so ein martialisches Äußeres hatten - und dann dauerte es natürlich gar nicht lange, dass meine Kinder auch grüne und rote Haare hatten, und die Freunde von ihnen hierher kamen."
Helga Paris, geboren 1938 im heute polnischen Gollnow, aufgewachsen in Zossen bei Berlin, hat die grauen Haare im Nacken zu einem Knoten gesteckt. Schmunzelnd betrachtet sie ihre Bilder: "Und da habe ich erst gesehen, was das für zarte Wesen sind."
Almö zum Beispiel, der Junge mit den blonden hochfrisierten Haaren: "Da habe ich dann viel später erst entdeckt, dass der 'ne Zigarette in der einen Hand hat und die andere Hand hält er drunter, damit die Asche nicht auf meinen Fußboden fällt - und das fand ich so rührend."
Kein Markt in der DDR für die Autodidaktin
Gut 275 Fotos in vier Sälen zeigt die Ausstellung. Es ist die bislang größte Würdigung der Autodidaktin Helga Paris, für deren Werk es in der DDR nie einen Markt und nur wenige Ausstellungsmöglichkeiten gab. Ein Umstand, der ihr natürlich auch große Freiheit verschaffte. Sie habe, sagt Helga Paris, immer nur fotografiert, was ihr am Herzen lag.
"Und das ist eben auch etwas, das sie so interessant macht. Sie hat nie Ideologie fotografiert oder nie ideologisch fotografiert", sagt Kuratorin Inka Schube. "Man wird bei ihr höchstens mal einen DDR-Wimpel im Hintergrund finden, aber es ging nie darum zu zeigen, so sieht jetzt aber DDR aus. Ich glaube so etwas hat Helga Paris tatsächlich nie interessiert. Es ging darum, was es bedeutet, jetzt hier an diesem Ort zu sein, in dieser Geschichte."
Zum Beispiel Halle: Ab 1983 beginnt Helga Paris den Verfall des historischen Stadtkerns zu dokumentieren. Sie fotografiert vom Einsturz bedrohte Fachwerkhäuser, kaputte Dächer, ganze Straßenzüge, die wirken als hätte der Zweite Weltkrieg gerade erst aufgehört. Und sie porträtiert die Menschen, die hier leben. "Häuser und Gesichter" nennt Helga Paris diese Serie, für die sie zwei Jahre lang zwischen Berlin und Halle pendelt.
"Das war sehr anstrengend, mit meinen Trabant da runterfahren, das war wirklich..., aber ich habe es gemacht, weil ich mich verantwortlich fühlte, dass das nicht alles zusammenbricht und dann gibt es nichts mehr", erinnert sie sich.
Einfangen, was da ist
Eins ihrer Halle-Bilder zeigt eine ältere Dame in Mantel und Hut. Sie ist offenbar gerade von einem Spaziergang heimgekehrt. Jetzt steht sie in einer menschenleeren Straße, schaut direkt in die Kamera, die linke Hand in der Manteltasche. Die rechte, in Brusthöhe, hält eine etwa 40 cm lange Fasanenfeder kerzengerade in die Luft. Ein Bild der Selbstbehauptung - unter allen Umständen. Die Serie soll Mitte der 80er Jahre in einer Galerie am Marktplatz gezeigt werden. Doch kurz vor der Eröffnung, der Katalog ist schon gedruckt, wird die Ausstellung verboten. Vier Jahre später fällt die Mauer.
Helga Paris begann ihr fotografisches Werk denkbar unspektakulär: Die ersten Fotos, das zeigt die chronologisch aufgebaute Ausstellung, gelten dem Privatesten: ihren Kindern, Anfang der 1960er Jahre. Da ist sie Mitte 20. Es folgen Portraits der Nachbarfamilien, die mit ihr im gleichen Haus leben. Später, als alleinerziehende Mutter, macht sie Fotos von den umliegenden Geschäften, beginnt ihre Kneipenserie, die Müllfahrerreportage. Schließlich fotografiert sie ganz Ost-Berlin, wird zur Chronistin des Alltags in der DDR. Bis 1989.
Wendezeit und Mauerfall wollte sie nicht fotografieren
Wendezeit und Mauerfall aber finden in ihren Bildern nicht statt. Die Dinge seien ihr damals alle viel zu laut vorgekommen, erzählt Paris. Gleichzeitig sei sie erleichtert gewesen: "Ich war erlöst, dass jetzt aus aller Welt die Journalisten die DDR durchkämmten. Und alles wurde fotografiert. Ich brauchte nicht bis an mein Lebensende diesen Zusammenbruch fotografieren."
Nach der Wiedervereinigung widmet sich Helga Paris wieder ganz dem Privaten. Und vielleicht zum ersten Mal überhaupt beschäftigt sie sich nur mit sich selbst, mit ihrer Herkunft, ihren Ängsten. Es entsteht die Serie "Erinnerung an Z". Sie zeigt Zossen, die Stadt in der sie das Ende des Krieges erlebt - in einer Familie von lauter Frauen, Männer gibt es keine mehr. Eine Kindheit in unmittelbarer Nachbarschaft auch zu 60.000 sowjetischen Soldaten, die nach dem Krieg in Zossen stationiert werden.
Die Fotos die Helga Paris hier Anfang der 90er Jahre macht, zeigen lachende junge Männer an einem See in merkwürdig altmodischen Badehosen, offenbar heimlich aufgenommene Uniformierte in einem Wäldchen, bedrohlich wirkende Kasernen-Mauern, die verstörende Aufnahme eines Affenkopfes. Auch den Abzug der Roten Armee 1994 hält Helga Paris fest.
In einem Dokumentarfilm im Eingangsbereich der Ausstellung sieht man die Fotografin an einer Straßenbiegung stehend. Jedes Mal, wenn eins der russischen Militärfahrzeuge an ihr vorüber kommt, drückt sie auf den Auslöser. Sie wirkt heiter, fast gelöst.
Hören Sie hier auch unser Gespräch mit Helga Paris: