"Ich wollte den Zuschauer ein bisschen verwirren"
Den Eifelturm, den Arc de Triomphe und andere Pariser Wahrzeichen gibt es nicht nur in Frankreich. Sie stehen auch im chinesischen Tianducheng. Wie ähnlich sich beide Welten sind, zeigt der französische Fotograf Francois Prost.
Deutschlandfunk Kultur: Vor zehn Jahren haben die Chinesen sich also ein eigenes "Paris" gebaut. Wissen Sie, warum eigentlich?
Francois Prost: Ich habe keine genaue Antwort darauf, aber es gibt seit etwa zehn, fünfzehn Jahren eine architektonische Bewegung, die auch als Dupliceture bezeichnet wird. Die versucht Elemente der europäischen Kultur und ihrer verschieden Epochen zu reproduzieren. Also etwa aus Paris oder Venedig. Oder österreichische Dörfer. Also so Vorzeigeorte aus Europa.
Deutschlandfunk Kultur: Was denken Sie, was verbinden Chinesen mit Paris? Bewunderung für die französische Hauptstadt? Romantische Vorstellung von Paris als "Stadt der Liebe"?
Prost: In diesem Wunsch Paris nachzubilden, sind sie in der Tat an den Klischees interessiert. Also Paris, als Stadt der Liebe und der Kunst. Alles sehr klassisch – und wirklich nicht sehr tiefgehend. Die Interessiert die Oberfläche, also das romantische Bild der Stadt.
Das Klischeehafteste rausgepickt
Deutschlandfunk Kultur: Natürlich ist Tianducheng kein komplett nachgebautes Paris, sondern die Chinesen haben sich ganz bestimmte Gebäude und Wahrzeichen herausgepickt. Könnte man sagen: die klischeehafteste Seite von Paris?
Prost: Um zu verstehen, wie die Chinesen Paris bei sich rekonstruiert haben, ist ein Blick auf den Plan der Stadt ganz hilfreich: Dieses Viertel besteht aus drei Teilen. Also den Eifelturm, als Leuchtturm in der Mitte von so einem Kreisverkehr. Dahinter dann Hausmannsche Viertel mit Gebäuden, die eben typisch sind für diese Epoche. Da gibt es auch einen riesigen Boulevard, der das Viertel wie eine Schneise teilt. Und dann noch einen großen Park auf einem Hügel. Es gibt eine Replik der Gärten von Versailles und da ist dann auch noch ein kleines französisches Bergdorf. Es werden also verschiedene Epochen durchgespielt.
Der Eifelturm erinnert an die Weltausstellung im 19./20. Jahrhundert, dann Hausmannsche Architektur des 19. Jahrhunderts und Versailles ist noch älter. Auf mich wirkt das so, als hätten die Chinesen einen großen Katalog der französischen Architektur durchgeblättert und sich das Klischeehafteste rausgepickt. Wobei sie in ihren Imitationen immer auch noch ein paar andere Klischees aus Paris untergemischt haben.
Deutschlandfunk Kultur: In China ist der Vorgang des Kopierens nicht unbedingt etwas Schlechtes. Urheberrecht und kreative Originalität haben dort nicht immer den gleichen Stellenwert wie bei uns. Ist eine Reise nach Tianducheng also für die Chinesen genauso bedeutend wie eine Reise nach Paris?
Prost: Ich kann jetzt nicht die Antwort eines Chinesen geben, weil ich keiner bin. Aber dieses Viertel wurde, so wie ich das verstanden habe, konstruiert, um Zugang zu verschaffen. Paris ist ja 15.000 Kilometer von Peking entfernt und nach Tianducheng kann man einfach schneller und billiger reisen. Frisch Vermählte fahren da zum Beispiel hin, um Fotos vor dem Eifelturm zu machen. Die haben halt nicht unbedingt das Budget um eine Woche Urlaub in Paris zu machen und lassen sich da dann fotografieren. Es gibt auch ein paar normale Touristen. Aber nicht so viele. Vor Ort sind vor allem junge Paare, und dann eben die Einwohner.
"Beide Orte repräsentieren etwas"
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben das originale Paris und das nachgebaute chinesische besucht und die Fotos von, zum Beispiel dem Eiffelturm oder ähnlichen Gebäuden nebeneinander gestellt. Welches Paris gefällt Ihnen besser? Ist das chinesische Paris vielleicht sogar "besser", weil es eine Art Essenz der Stadt eingefangen hat?
Prost: Die Gegenüberstellung von Original und Kopie ist für mich eine Möglichkeit von der Faszination "Paris" zu sprechen. Für mich ein Beleg, dass das ursprüngliche Paris auch dekorativ ist. Natürlich wurde es ursprünglich aus funktionalen Gründen erbaut, ist heute aber auch Deko, die eine bestimmte Zeit spiegelt. Und das ähnelt dem, was die Chinesen gemacht haben. Nur haben sie es eben rekonstruiert. Beide Orte repräsentieren etwas - nur ist das eine Original und das andere eine Reproduktion. Aber wenn die gut gemacht ist, ist die ja nicht uninteressant und wenn man die Bilder gegenüberstellt, dann kann man sich schon mal fragen, was eigentlich was ist und was das am Ende bedeutet. Ich wollte den Zuschauer ein bisschen verwirren mit diesen ähnlichen Bildern.
Deutschlandfunk Kultur: Und was hat sie an Ihrem "Paris Syndrome"-Fotoprojekt gereizt?
Prost: Das, was ich mitbekommen habe war, dass viele Leute das ein bisschen billig fanden oder auch übertrieben. Die waren ein bisschen schockiert, dass man so etwas überhaupt reproduzieren will. Obwohl man das ja kennt dieses kleine Paris in Las Vegas zum Beispiel – nur ist das eben ein Unterhaltungspark. Aber hier ist das natürlich extremer, weil man eine echte Stadt nachgebaut hat, in der auch echte Leute ein echtes Leben leben. In Dubai oder Las Vegas hat man eher diesen Freizeitaspekt.
Deutschlandfunk Kultur: Viele Menschen dürften erst durch Ihr Projekt von der chinesischen Paris-Kopie erfahren haben. Was für Reaktionen gab es? Die Franzosen sind vermutlich nicht so begeistert, oder?
Prost: Das, was ich gesehen habe und was mich ein bisschen beruhigt hat, ist, dass es den französischen Lebensstil nur in Form dieser architektonischen Umsetzung gibt. Ich habe eine Mittelklasse dort erlebt, die dort wohnt und in der Nachbarstadt arbeitet. Und die Leute leben da wie in jeder anderen Stadt in China. Ich hatte mir vorgestellt, dass da vielleicht ein paar französische Läden wären, aber die gibt es da nicht. Nur typisch chinesische Läden und Restaurants mit typisch chinesischen Produkten, die man eben überall findet. Das fand ich beruhigend, dass eine Stadt eben nicht durch die Architektur bestimmt wird, sondern durch die Menschen, die dort leben.