"Huldigung an das Berliner Milieu"
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Der Kohlenträger, die Postbotin, der alte Mann auf dem zerwühlten Bett- die Fotos von Gundula Schulze Eldowy sind Zeugnisse einer untergegangenen Zeit. 1983 endet ihre erste Ausstellung in Ost-Berlin im Eklat. Heute hat das MoMA Bilder von ihr.
Die schonungslose Offenheit, das Ungeschminkte der Bilder von Fotografin Gundula Schulze Eldowy, das ist einerseits faszinierend, gleichzeitig verlangen sie dem Betrachter viel ab.
Da sind die Aufnahmen aus dem Kreißsaal, der Schlachterei, und da sind die Fotografien der Menschen am Rande der Gesellschaft – Arme, Kranke und Alte, Verrückte, Säufer und Träumer. Szenen aus Ost-Berlin, vor allem der 1970er und 1980er Jahre. Zeugen einer Zeit, die es so nicht mehr zu geben scheint.
"Ostdeutsche Fotografie interessiert mich nicht"
"Sozialdokumentarische Fotografie" nennt Schulze Eldowy das. Ein Vergleich mit den Bildern von Helga Paris oder Harald Hauswald drängt sich auf, doch in dieser Reihe sieht die 67-Jährige sich nicht. "Ich kann sagen, dass mich die ostdeutsche Fotografie überhaupt nicht interessiert hat. Ich hatte mich nur an der Straight Photographie orientiert."
Die "Straight Photographie" steht für sachliche, realistische Bilder und hat ihre Ursprünge in New York. Paul Strand, Robert Frank, Diane Arbus oder auch Lee Friedlander prägten diese Stilrichtung, so Schulze Eldowy. In ihnen sieht sie ihre Vorbilder. Was die gebürtige Erfurterin an deren Bilder schätzt, ist die "wunderbare Sympathie für das Leben und einer unglaublichen Warmherzigkeit und Tiefe. Das hat mir gefallen".
Berliner Mitte als Kulisse
Den berühmten Robert Frank lernt die Fotografin noch zu DDR-Zeiten in Ost-Berlin kennen. Es entsteht eine langjährige Brieffreundschaft.
Nach dem Mauerfall lebt sie eine Zeit bei ihm in New York. Frank war es, der ihr Kontakte zum Museum of Modern Art vermittelt. Heute gehören zur Sammlung des MoMA auch Fotografien von Gundula Schulze Eldowy.
Was Frank und viele anderen an ihren Bildern bewegt, sind die Menschen, die hier verewigt sind. Wie Elsbeth Kördel, von allen nur Tamerlan genannt. Schulze Eldowy lernt sie 1979 kennen, begleitet sie über Jahre. Man sieht sie in ihrer verwahrlosten Wohnung, mehrfach im Krankenhaus, im Pflegeheim.
Ihre Motive findet die Fotografin in der Nachbarschaft oder beim Einkaufen. Vor allem Berlins Mitte, die noch lange die Spuren des Krieges trägt, bildet die Kulisse für ihre Bilder.
"Ich erinnere mich, ich bin durch die Mulackstraße gegangen, da ging die Tür von einer Kneipe auf. Da stand der Dicke vor mir, der nahm den ganzen Türrahmen ein. Die meisten waren, das muss ich sagen, so völlig anders, als die DDR sich selbst präsentierte. Sie waren komplett authentisch, voller Humor, voller Witz und überhaupt nicht festgelegt auf irgendetwas. Das hat mir so gut gefallen an ihnen. Ich war genauso."
"Keine Sozialkritik"
Ihre realistische Darstellungsweise brachte Schulze Eldowy immer wieder auch Kritik ein. "Weniger von den Behörden, sondern eher von den Leuten, die super überzeugt waren", erinnert sich die Fotografin.
Dabei habe sie ihre Bilder weniger als "Sozialkritik" verstanden, vielmehr "als Reminiszenz und eine Huldigung an das Berliner Milieu, das mir so gefiel".
Häufig ließen sich die Menschen von ihr auch vollkommen unbekleidet fotografieren. Ursprünglich wollte Schulze Eldowy ihre Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig damit gestalten.
Dann habe sie erkannt, "dass in dieser ganzen Ideologie, in der die Menschen eingewebt waren, das Nackte auch immer ein Zeichen für das Eigene und die Authentizität ist. Ich wollte so eine Art Dokument schaffen, was der Mensch in dieser Zeit ist".
Die Stasi und die erste Ausstellung
Ihre erste Ausstellung 1983 endet für die Fotografin mit einem Eklat. Die Stasi, erzählt Schulze Eldowy, schickte eine Frau und einen Mann. Sie sollten die Schau "entschärfen".
Doch beiden sei es schwergefallen, Fotos zu entfernen. "Da habe ich denen quasi diktiert, was abgehängt werden kann. Das waren alle unwichtigen Bilder. Hinterher haben sie sich dann gerecht, haben ein riesiges Parteiverfahren inszeniert."
Ab den 1990er-Jahren zieht es Schulze Eldowy um die Welt. Sie lebt für mehrere Jahre in Ägypten, in Japan, später in Peru. Dort lernt sie ihren Mann kennen. Heute pendelt sie zwischen Berlin und Südamerika.
"Ich bin ja eine Nomadin. Und es ging bei meinen Reisen mehr darum, dass ich mich selbst kennenlerne. Verschiedene Seiten in mir, die in mir schlummerten, wären nicht zum Ausdruck gekommen, wäre ich in Berlin oder in Erfurt geblieben."
Jetzt wird Gundula Schulze Eldowy noch ein wenig in Deutschland bleiben, denn im November werden einige Fotografien in der Berliner "Galerie Pankow" zu sehen sein.
(ful)