Fotografin Natalia Kepesz
Militärische Übungen werden in Polen immer beliebter. © Natalia Kepesz
Bilder vom Krieg in den Köpfen
34:26 Minuten
Halbwüchsige mit Gasmasken und in Uniform: Die Bilder der Fotografin Natalia Kepesz aus einem militärischen Trainingscamp für Kinder und Jugendliche in Polen sind verstörend. Ihre preisgekrönten Fotos sollen zum Nachdenken anregen.
Schwerbewaffnete Jugendliche stürmen ein Haus, in dem sich "Terroristen" verschanzt haben, in den Fluren liegen blutüberströmte Kinder: Bilder aus dem Fotoband "Niewybuch", zu deutsch "Blindgänger", von Natalia Kepesz. Die Aufnahmen hat die Berliner Fotografin in einem Freizeitcamp in ihrer polnischen Heimat gemacht, in dem junge Menschen Krieg spielen – unter Anleitung Erwachsener und täuschend realistisch.
Die Waffen der Kinder und Jugendlichen sind nicht echt, das Blut auch nicht. Doch echt ist der Ernst, mit dem die Kids das Kämpfen und Töten üben. Traurig mache sie das, sagt Natalia Kepesz und fragt sich: "Was werden das für Erwachsene später?"
Militärcamps für Kinder im Trend
Militärcamps für junge Menschen lägen in Polen sehr im Trend, berichtet Natalia Kepesz, angeboten wird das martialische Training überwiegend von privaten Veranstaltern. Aber auch in staatlichen Schulen gebe es teilweise wieder Wehrkundeunterricht, der nach dem Systemwechsel in Polen aus den Lehrplänen verschwunden gewesen sei.
Das liege wahrscheinlich daran, dass die national-konservative PiS-Regierung in Polen verstärkt patriotische Werte propagiert, vermutet Kepesz. Hinzu käme ein nicht verarbeitetes "Kriegstrauma": Viele ihrer Landsleute idealisierten und romantisierten den bewaffneten Kampf gegen deutsche und sowjetische Besatzer. Es sei ein unkritischer Blick in die Geschichte, der eigene Mitschuld – etwa bei der Verfolgung von Juden – ausblende. Für viele Polen befinde sich ihr Land in gewisser Weise immer noch im Krieg.
Fotos, die Fragen stellen, aber nicht beantworten
Warum das so ist, dem spürt Natalia Kepesz in ihren Bildern nach, auf subjektive Weise. Sie wolle mit ihren Fotos Fragen stellen, aber nicht beantworten. Das überlasse sie den Betrachter*innen. Einen dritten Preis beim renommierten "World Press Photo Contest" hat sie für "Niewybuch" bekommen, außerdem mehr als zwei Dutzend weitere Auszeichnungen.
"Goldberg" heißt eine weitere Bilderserie von Natalia Kepesz, der deutsche Name ihres Heimatorts Złotoryja in Niederschlesien. Für die deutsche Bezeichnung habe sie sich entschieden, um an die Geschichte ihrer Stadt zu erinnern, an die vielen deutschen Spuren, die dort zu finden sind.
Schatz- und Heimatsuche
Als Kind sei sie in verlassenen ehemals deutschen Häusern und Schlössern auf "Schatzsuche" gegangen. Immer wieder finde man dort Gegenstände, welche die vormaligen Besitzer bei der Flucht 1945 zurückgelassen haben.
Diese Schatzsuche sei gleichzeitig eine Suche nach Heimat angesichts eines Gefühls von Wurzellosigkeit. Denn die polnischen Bewohner von Goldberg/Złotoryja sind zumeist Vertriebene oder deren Nachfahren aus dem nach dem Krieg von der Sowjetunion annektierten Ostpolen. So stammen die Großeltern von Natalia Kepesz aus der heutigen Ukraine und aus Ungarn. Es ist eine Suche nach Identität in melancholischen Landschafts- und Porträtbildern.